Das 1751 fertiggestellte, heute als „Altes Rathaus“ bezeichnete Gebäude, ein qualitätvolles Beispiel barocker Rathausarchitektur, war bis zur Eingemeindung nach Stuttgart im Jahr 1942 Verwaltungssitz der Gemeinde Plieningen.

Das „Alte Rathaus“ in Plieningen wurde in den Jahren 1747 bis 1751 erbaut. Es entstand ein stattlicher Bau in der damals zeitgemäßen barocken Bauweise, insgesamt verputzt, mit massivem Erdgeschoss und Fachwerkaufbau unter Satteldach, geprägt von regelmäßig gereihten Fensteröffnungen und giebelseitigen, korbbogigen Portalen mit Werksteingewänden. Dieses äußere Erscheinungsbild des Baus ist bis heute weitgehend erhalten.

Plieningen erlebte um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Zeit wirtschaftlichen Wohlstands. Die Leinenweberei hatte sich zu einem wichtigen Erwerbszweig entwickelt. Hinzu kam, dass Plieningen 1725 als einziger Ort auf den Fildern das Marktrecht erhielt und damit eine überörtliche Bedeutung bekam. Mit dem Recht, eine Reihe verschiedener Märkte abzuhalten, stiegen die Einnahmen in der Gemeindekasse und so kam der Rathaus-Neubau vermutlich auch einem entsprechenden neuen Repräsentationsbedürfnis nach.

Auf dem vorgesehenen Bauplatz stand bereits ein Rathaus, dessen Entstehungszeit nicht bekannt ist. Es befand sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts in einem schlechten baulichen Zustand und war für die Bedürfnisse der Gemeinde räumlich unzureichend. Dem Amtsvogt wurde berichtet, dass weder die große Stube (Ratssaal) die zahlreiche Einwohnerschaft fassen noch auf der Bühne (Dachboden) der ertragreiche Getreidevorrat untergebracht werden könne. Nach einer Inaugenscheinnahme durch Bausachverständige und Prüfungen einer eventuell weiteren Reparatur oder der Möglichkeit, einen Neubau angesichts der zu erwartenden Kosten aufzuschieben, kam man zu dem Ergebnis, dass ein Neubau unabdingbar sei.

Für ein größeres Rathaus war eine Ausdehnung des Grundstücks erforderlich, wofür ein benachbartes Gebäude zugekauft und abgebrochen wurde. Zwei weitere Häuser wurden aufgekauft, abgetragen und an anderer Stelle wiederaufgebaut. Es gibt bislang keine Erkenntnisse, ob das Grundstück auch in Richtung des 1865 aufgelassenen Kirchhofs erweitert wurde, in den das heutige Alte Rathaus mit seiner Nordostecke weit hineinragt.

Die Gemeinde ergriff zur Mittelbeschaffung allerlei Maßnahmen: Es wurden nicht nur Kredite bei der Stuttgarter Amtspflege, sondern auch bei Amtspersonen und Plieninger Bürgern aufgenommen. Außerdem wurden Häuser aus dem Gemeindebesitz an Privatpersonen verkauft. Werkmeister Johannes Schmid aus Stuttgart, der mit dem Abbruch des althergebrachten Rathauses beauftragt worden war, ließ alle brauchbaren Materialien wie Steine, Holzwerk, Ziegelkacheln, Treppen etc. abtragen und für eine Weiterverwendung aufbewahren. Bauteile wie beispielsweise eine alte Türe, eine Eichensäule, außerdem Bretter, Vertäfelungen und Fensterläden wurden verkauft. Werkmeister Schmid bekam dann auch den Auftrag, den Plan für den Neubau anzufertigen.

Der Grundstein wurde am 14. Juni 1748 in Anwesenheit von Amtsvogt Rieger, Pfarrer Beringer, Werkmeister, Schultheiß, Gericht und Rat gelegt. Zum Inhalt der darin eingemauerten sogenannten Zeitkapsel gehörten eine Platte aus englischem Zinn mit eingraviertem Gedicht, zwei Flaschen Wein – rot und weiß –, eine Flasche mit Getreidekörnern sowie die damals üblichen Münzen. Zur Feier des Tages warf man Geldstücke im Wert von drei Gulden, vor allem unter die jungen Zuschauer. Aus den bauzeitlichen Quellen ist ferner zu erfahren, dass Mauersteine aus dem Plieninger Steinbruch, die bearbeiteten Hausteine und Platten aus dem Stuttgarter Steinbruch beschafft und Kalk aus Musberg und Echterdingen herangeschafft wurde.

Vom 15. bis 17. Juli 1748 wurde das Rathaus „aufgerichtet“, womit sicher das Fachwerk-Geschoss und das Dachwerk gemeint waren. Da die Bürgerschaft wegen der Ernte nicht mit Fronarbeit belastet werden konnte und nicht jeder wegen der gefährlichen Höhe und Größe des Baus für eine solche Tätigkeit geeignet war, ließ Werkmeister Schmid seine zwölf Gesellen die Arbeit ausführen, unterstützt von sechs Taglöhnern. Außerdem halfen 18 Gemeinderäte und Richter bei der Auswahl und Aufrichtung der Konstruktion. Für die Deckung des Daches vom 1. bis 5. August 1748 mit 18.000 Ziegeln mussten dem Werkmeister „große Buben“ für die Arbeit abgeordnet werden. Tatsächlich kamen täglich 30 Buben, die Brot und Most und am letzten Tag Wein zur Verköstigung erhielten.

Einige Hinweise in den Quellen erlauben Rückschlüsse auf die Nutzungen sowie bauliche und gestalterische Merkmale des Ursprungsbaus: Im Erdgeschoss befand sich neben dem Öhrn (Hausflur) ein Stall – oder ein Raum im Charakter eines Stalls? – mit freistehenden Säulen und teilweise gepflastertem Boden. Er diente der Aufbewahrung von Feuerspritzen. Im Obergeschoss gab es die „kleine Stube“ (Gerichtsstube) und die „große Stube“ (Ratssaal), dazu neben dem Hausflur eine Kammer für die Registratur und eine Küche mit Herd. Zwei Kamine wurden bis über den Dachfirst aufgemauert. Die Bühne mit drei Böden (Ebenen) diente als Fruchtkasten, in denen sämtliche Fugen und Spalte mit Gips geschlossen wurden.

Auch wenn das Gebäude bereits im August 1748 gedeckt war, so scheint der innere Ausbau noch einige Zeit in Anspruch genommen zu haben. Das Rathaus wurde innen gestrichen und das Balkenwerk in Stuben, Fluren und Bühne zwecks Haltbarkeit behandelt und nach dem Anstrich (Färben) mit einem blauen und schwarzen Begleitstrich eingefasst. Die Küche war mit roter Farbe gestrichen. Steinplatten bedeckten Flure und Küche. Auch ein neuer Ortsarrest sollte an der Rückseite des Rathauses angebaut werden. Er befand sich möglicherweise in dem kleinen Anbau an der Südostecke, wie er in der Flurkarte der Württembergischen Erstvermessung von 1826 dokumentiert ist.

Ab dem 19. Jahrhundert und vor allem dem 20. Jahrhundert gab es verschiedene Veränderungen an dem Gebäude. So verweisen bauliche Merkmale wie die giebelseitigen Fenster in den oberen Dachgeschossen – Serliana und Rundfenster – sowie das verkröpfte Traufgesims auf eine Überformung im frühen 19. Jahrhundert hin. Beim Umbau 1928 verlagerte man das Feuerwehrmagazin in die Zehntscheune und richtete im Erdgeschoss Amtsräume für das Notariat, die Gemeindepflege und die Polizei ein.

Mit der Eingemeindung nach Stuttgart am 1. April 1942 verlor Plieningen schließlich seine Selbständigkeit, das Rathaus blieb jedoch weiterhin Sitz des Ortsamts bzw. ab 1947 des Bezirksamts. In das Jahr 1949 datiert der Einbau einer Dienstwohnung und zusätzlicher Amtsräume im Dachgeschoss. Erst mit dem Neubau des Bezirksrathauses 1973 verlor das zum „Alten Rathaus“ gewordene Gebäude seine angestammte Funktion als Verwaltungsstelle. Nutzungsänderungen folgten: Plieninger Vereinen wurden die Räume im Erdgeschoss zur Verfügung gestellt, das Heimatmuseum fand Platz im Obergeschoss.

Mit umfassenden baulichen Maßnahmen verbunden war die im Jahr 2012 abgeschlossene erneute Umnutzung des Alten Rathauses. Die Musikschule und der Plieninger Werkraum für Kinder und Jugendliche sind nun hier untergebracht. Der frühere Ratssaal wird heute für Veranstaltungen und Sitzungen genutzt. Das Gebäude hat somit auch mit den neuen Funktionen eine für das Gemeindeleben große Bedeutung.

Text: Edeltrud Geiger-Schmidt
Schlagwort: Stuttgart-Plieningen
Quellenhinweise:

Baurechtsamt der Stadt Stuttgart, Bürgerservice Bauen, Stuttgart Goezstraße 1, Altes Rathaus Plieningen, Bauakten von 1949, 1974, 2010.
Stadtarchiv Stuttgart 859/1 Bezirksamt Plieningen-Birkach.
Stadtarchiv Stuttgart 917 Plieningen 404.
Stadtarchiv Stuttgart 917 Plieningen 1369.

Literaturhinweise:

Bürgerverein Plieningen e.V. (Hg.), 850 Jahre Plieningen. 1142-1992, Plieningen 1992.
Evangelische Kirchengemeinde Plieningen-Hohenheim (Hg.), Die Martinskirche in Plieningen. Geschichte – Ausstattung – Erhaltung, Plieningen-Hohenheim, 2016.
f² Frey Architekten GmbH Stuttgart, Erläuterungen zur Hausgeschichte anlässlich der Einweihung nach dem Umbau im Juni 2012, Maßnahmenkatalog.
Königlich topographisches Büro (Hg.), Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Stuttgart 1851.
Friedrich Mezger, Plieningen einst und jetzt, Plieningen 1906, S. 16/17.
Horst Schöck, Plieningen. Ein Dorf lebt nicht vom Kraut allein, Stuttgart 1988.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Edeltrud Geiger-Schmidt, Altes Rathaus in Plieningen, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/0ad16b6b-ba81-4083-b03a-a0a2977bed26/Altes_Rathaus_in_Plieningen.html