Die zunehmende Industrialisierung und eine voranschreitende Landflucht sorgten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für ein erhebliches Bevölkerungswachstum Stuttgarts. Die Bestandswohnungen konnten diesen Zuwachs nicht ausreichend decken, so dass Wohnbauinitiativen unterschiedlicher Träger die Situation kompensieren sollten. In den Jahrzehnten vor der Reichsgründung kam es daher, wie auch andernorts deutschlandweit, zur Errichtung von Werks- und Arbeitersiedlungen. Neben dem industriellen Sektor sollten zudem auch Staatsbedienstete der niederen Einkommensschichten in den Genuss der Bauprogramme kommen. Eisenbahner sowie Beschäftigte der Post und des Telegraphenwesens waren die Nutznießer. So auch im Stuttgarter Postdörfle, das ab 1869 errichtet wurde, nachdem ein Jahr zuvor staatliche Mittel in Höhe von 500.000 Gulden bereitgestellt worden waren.
Der Name leitet sich von der Aufgabe ab, als Siedlung für Angestellte der Post und der Eisenbahn zu dienen. Beide Betriebe waren im 19. Jahrhundert viel enger verwoben als heute und hatten in Stuttgart einen hohen Stellenwert, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Verlagshäuser. Deren Bücher wurden per Post mit der Bahn versendet, im Jahr 1869 waren dies 25.350 Zentner (also 1.267 Tonnen). Obwohl die Postdörfle-Gebäude somit beiden Berufsgruppen – auf der Südseite Bahn, auf der Nordseite Post – dienten, setzte sich die Bezeichnung Postdörfle durch. Der um 1900 noch verbreitete Name „Kleinhemmingen“, den Architekt Georg von Morlok 1890 in seinen Aufzeichnungen überliefert, geht zurück auf den amtierenden Minister Karl von Varnbüler von und zu Hemmingen (1809-1889), der sich sehr für den Bau eingesetzt hatte. Offiziell war meist von „Dienstwohnungen der Verkehrsanstalten“ oder „Eisenbahnersiedlung“ die Rede, wobei bereits kurz nach der Fertigstellung die heutige Bezeichnung durchaus üblich war. So berichtet Eduard Mörike am 7. August 1874 in einem Brief an die befreundete Künstlerin Luise Walther (1833-1917) von einem abendlichen Spaziergang in Richtung „Postdörfchen“. Die schwäbische Variante „Postdörfle“, die oft Weinbergs Stadtführer von 1906 zugeschrieben wird, findet sich erstmals bereits 1882 in einer Abhandlung über „Moderne Stadtbäder“.
Zum Zeitpunkt der Errichtung 1869 bis 1871 war die Charakterisierung als „Dorf“ keineswegs abwegig, denn die Häuser standen noch ca. 300m vor der Stadt, was eines der Auswahlkriterien für den Baugrund war. Die Nähe zu den Arbeitsplätzen bei Eisenbahn und Post dürfte der entscheidende Faktor gewesen sein. Ein Baugrundstück im Westen der Stadt, wo die Erschließung gerade Fahrt aufnahm, wäre logistisch weniger sinnvoll gewesen. Außerdem versprach die Lage an einem Südhang viel Licht, was im Kontext der aufkommenden Bewegung zum „gesunden Bauen“ durchaus relevant war. Ein weiteres Argument dürfte schließlich der günstige Preis gewesen sein. Es gab nur wenige Vorbesitzer, was kaum Bodenspekulationen zuließ. Der größte Teil, eine „Thürlen“ genannte Weinberglage mit einer Streuobstwiese, gehörte einem Johann Friedrich Dietz. Mit der Standortwahl waren die Bauherren jedenfalls nicht an die im Stadtbereich festgelegten Baulinien gebunden.
Diesen Vorteilen standen gewisse Herausforderungen bei der Bewältigung der Bauaufgabe entgegen. Als Weinberg bot das Gelände eine beachtliche Steigung von 12 Prozent. Morlok nutze diese Lage, um die Gebäude terrassenartig in sieben Zeilen anzuordnen, die parallel zur damaligen Bahnhofstraße (heute Heilbronner Straße) ausgerichtet waren. Seine Planungen sahen indes keine strenge Zeilenbauweise vor, sondern waren den Berg hinauf durch Freiflächen aufgelockert. Neben Mehrfamilienhäusern in Einzel- und Doppelbauweise entstand ein aus fünf Baukörpern verdichteter U-förmiger Riegel an der Südwestecke, da an der gegenüberliegenden Seite eine Parzelle nicht erworben und bebaut werden konnte. Innerhalb der Anordnung entstanden so ca. 200 Wohnungen, die Platz für 1.000 Bewohnerinnen und Bewohner boten. An der untersten Terrasse wurden zwei größere Bauten für gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen platziert. Zwischen ihnen eröffnete eine breite Freitreppe den Zugang zur Siedlung, deren Hauptweg sich mittig den Berg hinauf durch die einzelnen Terrassen fortsetzte, während Querwege zu den Häusern rechtwinklig abzweigten. Deren standardisierte Mietwohnungen in zwei Kategorien – mit zwei oder drei Zimmern – bewegten sich auf dem jeweils gleichen, vergleichsweise hohen Komfortniveau. Sie waren allesamt mit einer eigenen Toilette und einer Küche ausgestattet, hatten einen Kellerraum sowie ein Gartenstück.
Viele Eigenschaften der später sogenannten aufgelockerten Zeilenbebauung, oder die Kernforderungen des Neuen Bauens nach Licht und Luft, lagen hier mustergültig vor. Die Freiflächen zwischen den Häusern waren als Nutzgärten gedacht. Zudem wurde Wert auf eine gewisse Privatsphäre gelegt, trotz mehrerer Räume, die allen Anwohnern zur Verfügung standen. Das herausragende Element waren zweifellos die beiden Gemeinschaftshäuser am Fuß der Siedlung, parallel zur Straße. Sie boten den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Reihe moderner Annehmlichkeiten, darunter eine Halle mit dampfbetriebenen Waschmaschinen, aber auch eine Großküche sowie eine Badeanstalt mit Wannen, einem Duschkabinett und einem angeschlossenen Schwimmbad. Damit formulierte die Siedlung nicht nur technisch, sondern auch sozioökonomisch einen bemerkenswert hohen Anspruch.
Architektursemantisch und stilistisch orientierte man sich bei der Gestaltung der Häuser am Formenrepertoire der Deutschen Renaissance. Von den Vorbildern war einerseits noch Anschauungsmaterial in Stuttgart vorhanden, andererseits war es für Wohnbauten der bevorzugte Stil unter den sogenannten Revivals der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dass die beiden oberen Geschosse in Fachwerk ausgeführt wurden, hatte indes wenig mit Stilfragen zu tun, sondern diente der Kostenersparnis. Für den ersten Stock wurde dies ebenfalls diskutiert, aber verworfen.
Der Architekt der Anlage, Georg von Morlok, war kein Spezialist für den Wohnungsbau, sondern kam aus dem Ingenieurbau und war dort mit der Infrastrukturplanung von Bahntrassen befasst. Da dazu auch Arbeiten im Hochbau, wie die Umgestaltung des Alten Bahnhofs von Carl Etzel (1812-1865) zählten, war er mit Großprojekten gleichermaßen vertraut. Unmittelbar vor dem Postdörfle hatte er mit der Arbeitersiedlung in Kuchen 1857 bis 1869 zudem Erfahrungen auf dem Gebiet sammeln können. Als Bauherr trat offiziell der württembergische Staat auf, jedoch darf dahinter Karl von Varnbüler als treibende Kraft gesehen werden. Varnbüler – Minister für die beiden Ämter Auswärtige Angelegenheiten und Eisenbahnbau – hatte nach seinem Dienstantritt 1864 Vorschriften zu Baumaßnahmen erlassen, die neben technischen Belangen auch die Sozialverhältnisse verbessern sollten, was beileibe nicht als selbstlose Aufgabe angesehen wurde. Das klar formulierte Ziel war tatsächlich, eine emotionale Bindung der Arbeiter an das Staatsunternehmen herbeizuführen, um die Qualität der Produkte zu verbessern und nachhaltig die Branche für künftige Arbeiter interessanter zu gestalten. Neben sogenannten Menagen, also Gebäuden zur Unterkunft von ledigen, meist ausländischen (bzw. nicht württembergischen) Arbeitern, ging der Auftrag zur Errichtung der Wohnquartiere direkt auf Varnbüler zurück. Seine Leistung bestand unter anderem in der administrativen Rationalisierung und Systematisierung des Bauprozesses bei gleichzeitiger Qualitätssicherung. Der Import von Know-How bei der Falzziegelproduktion aus dem Elsass nach Württemberg ist nur ein Beispiel dafür. Das Diktum möglichst niedriger Mieten beruhte gleichwohl auf seiner Vorgabe.
Aufgrund der rasanten Stadtentwicklung wurde das Postdörfle relativ schnell in die Stadt einbezogen, und in der direkten Nachbarschaft entstand mit der Eisenbahnersiedlung auf der Prag – analog auch Eisenbahnerdörfle genannt – ein Folgeprojekt. Beide Stadtquartiere zogen andere Bauvorhaben nach sich. Die 1906 bis 1910 von Theodor Fischer (1862-1938) errichtete Erlöserkirche wäre ohnedies kaum an dieser Stelle gebaut worden. Gleichzeitig erfolgten im Postdörfle Umbauten in den Gemeinschaftshäusern, z.B. wurde das Schwimmbad erneuert und der Stuttgarter Spar- und Konsumverein baute 1909 die Räumlichkeiten der Küche um.
Ansonsten bestand das Postdörfle als weitgehend einheitliches Ensemble bis zum Zweiten Weltkrieg. Seine Lage zwischen Bahnhof und den Industrieanlagen machte es zu einem Ziel der Luftangriffe, bei denen die Gebäude größtenteils zerstört wurden. Lediglich die beiden Gemeinschaftsbauten an der Heilbronner Straße blieben beschädigt erhalten. Die Häuser der übrigen sechs Terrassen wurden in den 1950er Jahren wiederaufgebaut, zwar teilweise auf den alten Sockelgeschossen, jedoch im vereinfachten Stil. Einige dieser Nachkriegsbauten wurden später ersetzt. Ab 2005 errichtete eine Stuttgarter Wohnungsbau-Gesellschaft in mehreren Abschnitten Neubauten, die aufgrund der Lage beliebt, aber eher hochpreisig einzuordnen sind. Dennoch hat sich der städtebauliche Grundcharakter der Siedlung erhalten, bis hin zum Wegrondell in der Mitte der Anlage.
Parallel zu dieser Entwicklung wurden auch die beiden Gemeinschaftshäuser nach der Jahrtausendwende von 2005 bis 2007 tiefgreifend umgestaltet, um als Hotelkomplex dienen zu können. Dabei wurden Ideen aufgegriffen, welche die Deutsche Bahn als Eigentümerin bereits 2002 für einen Umbau ins Auge gefasst hatte, z.B. ein architektonischer Lückenschluss zwischen den beiden Bauten sowie die Rekonstruktion der straßenseitigen Giebel. Die Eingriffe waren nicht unumstritten. Letztlich blieben die prägnanten Fassaden an der Straßenseite erhalten und wurden teilweise sogar reduziert wiederaufgebaut, der rückseitige Raum jedoch vollständig neu errichtet. Gleichermaßen diskutabel, wenngleich kreativ, war die Lösung zum Einbau der Hotellobby. Der Zwischenraum zwischen den Baukörpern wurde mit einem Neubautrakt versehen, der sich deutlich von den Neorenaissanceelementen abhebt und mit seinem Dreier-Giebel als postmodernem Zitat an historische Stadtlandschaften erinnern soll. Im Inneren rezipiert ein Treppenaufgang die alte Freitreppe des 19. Jahrhunderts. Verantwortlich für die Lösung zeichneten der bekannte Wiener Designer Harald Schreiber und der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler.