Stuttgart verfügte von 1890 bis 1904 über ein Schaugebäude zur Präsentation von Panoramen. In dem Ausstellungshaus, das im Stil der Neorenaissance gestaltet war, wurden unter anderem Monumentalgemälde zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gezeigt.

Panoramen bilden seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Form der populären Kunstunterhaltung. Die großformatigen Rundbilder, die zumeist Städte, (exotische) Landschaften, bedeutende historische Ereignisse oder biblische bzw. nationale Mythen in Szene setzen, werden in eigens dafür errichteten Gebäuden, meist Rotunden, präsentiert. Konstruktion und Einrichtung der Ausstellungshäuser sind darauf ausgerichtet, den Betrachtern der Panoramen die Illusion zu vermitteln, sich tatsächlich in der bildlich repräsentierten Situation bzw. Umgebung zu befinden. Die Illusionswirkung der Gemälde wird zudem durch technische Arrangements, z.B. eine entsprechende Beleuchtung, sowie eine plastische Gestaltung des Vorgeländes, sogenanntes Faux Terrain, unterstützt.

Der Anstoß zur Ausstellung von Panoramen in Stuttgart ging von den Backnanger Leberfabrikanten Gottlieb Eckstein (1849–1909) und Otto Esenwein (1844–1919) aus. Die beiden Unternehmer hatten – eventuell mit weiteren Teilhabern – in den 1880er Jahren eine Panoramagesellschaft gegründet. Die Backnanger Firma pachtete im Frühjahr 1889 in Stuttgart ein Grundstück und beauftragte anschließend den Bau eines Ausstellungsgebäudes sowie eines Riesenrundbildes, das nach der Fertigstellung des Schauhauses der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte.

Die Errichtung des Stuttgarter Panoramagebäudes fiel in eine Zeit, in der das Bildmedium Panorama im Deutschen Reich einen Boom erlebte. Nachdem eine erste Welle der Panoramamalerei gegen 1850 abgeflaut war, weckte vor allem die Pariser Weltausstellung von 1878 das Interesse an den kolossalen Rundbildern neu. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche Monumentalgemälde angefertigt und in den deutschen Großstädten einem Massenpublikum gezeigt. Der Unterhalt eines Panoramagebäudes, in dem die Rundgemälde ausgestellt werden konnten, galt in dieser Zeit auch als ein Indiz für die Modernität einer Kommune. Einige deutsche Städte, beispielsweise Frankfurt am Main und Berlin, verfügten in den 1880er Jahren sogar über mehrere Panoramagebäude. Sehr häufig setzte man auf den Panoramen im ausgehenden 19. Jahrhundert Ereignisse des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 ins Bild. Daneben wurden jedoch auch Riesenrundbilder zu anderen, z.B. zu biblischen Themen angefertigt.

Der Standort des Stuttgarter Panoramagebäudes lag zwischen der Gewerbehalle und der Garnisonkirche, im Bereich der heutigen Holzgartenstraße. Verantwortlich für die Ausführung des Baus war der Hofwerkmeister Albert Hangleiter (1848–1916). Die architektonische Planung des Ausstellungshauses übernahm das damals aufstrebende Büro Eisenlohr & Weigle. Laut Bauantrag vom 10. Mai 1889 war das Gebäude zunächst für einen Zeitraum von „ca. 8 Jahren“ konzipiert.

Das Panoramagebäude wurde als polygonaler Bau im Stil der Neorenaissance errichtet. Es wies einen Durchmesser von 32 Metern und eine Höhe von 22 Metern auf. Diese Maße entsprachen denjenigen vergleichbarer Schauhäuser in anderen Städten – die standardisierten Maße sollten einen Austausch von Rundgemälden erleichtern, die häufig nacheinander an mehreren Orten gezeigt wurden. Die Umfassungswände des Stuttgarter Baus waren als Fachwerk ausgeführt und mit Backstein gefüllt. Im Innenraum befand sich eine 3,5 Meter hohe hölzerne Plattform, von der aus die Besucher das jeweilige Rundbild betrachten konnten. Das Dach des Gebäudes war in der Form eines Ringpultdachs gestaltet und von einer runden Laterne gekrönt. Es wies im unteren Bereich ein Fensterband zur Beleuchtung des Innenraums auf. Den Eingangs- und Kassenbereich des Panoramagebäudes, gelegen an der Lindenstraße 51, zierte ein Renaissance-Portal. Um dem Ausstellungshaus einen einladenden Charakter zu verleihen, wurden auf dem Vorplatz gestalterische Arbeiten durchgeführt, unter anderem eine Begrünung durch das Anpflanzen von Bäumen.

Einen optischen Eindruck von dem Stuttgarter Panoramagebäude und seiner unmittelbaren Umgebung erhält man durch zeitgenössische Postkarten, die zu Werbezwecken produziert wurden. Im Jahr 2010 entstand im Rahmen einer Diplomarbeit an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ein Modell des Baus. Dieses Modell wird heute im Hällisch-Fränkischen Museum in Schwäbisch Hall aufbewahrt.

Das erste in Stuttgart präsentierte Kolossalgemälde veranschaulichte – hierbei die vorherrschende Zeitströmung aufgreifend – eine Episode des Krieges gegen Frankreich 1870/71. Das Schlachtengemälde „Die Württemberger bei Champigny-Villiers“ von Louis Braun trug der spezifischen Erinnerungskultur an den Deutsch-Französischen Krieg in Schwaben Rechnung. In dem dargestellten Gefecht vom 30. November 1870, das sich am südöstlichen Stadtrand von Paris zugetragen hatte, war es einer württembergischen Brigade gemeinsam mit sächsischen Verbänden gelungen, einen französischen Ausbruchsversuch aus der von deutschen Truppen belagerten Hauptstadt zurückzuschlagen. Die Schlacht bei Champigny und Villiers hatte am 2. Dezember mit einem deutschen Gegenangriff ihre Fortsetzung gefunden; anschließend war die französische Armee wieder hinter die Pariser Festungsanlagen zurückgewichen. In Württemberg prägten die Kämpfe vom 30. November und 2. Dezember 1870, die erhebliche Blutopfer gefordert hatten, nach 1871 stärker als andere Schlachten die kollektive Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg.

Der aus Schwäbisch Hall stammende Louis Braun (1836–1916), der das erste in Stuttgart präsentierte Riesenrundbild schuf, galt um 1890 als führender deutscher Panoramakünstler. Braun wurde von seinen Zeitgenossen als „Vater des deutschen Panoramas“ gefeiert. Seit 1870 in München ansässig, hatte der Künstler den Boom der Panoramamalerei im Deutschen Reich in den beiden letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts maßgeblich mitausgelöst. Sein Rundbild über die Schlacht bei Sedan, das im September 1880 in Frankfurt am Main anlässlich des zehnten Jahrestages des deutschen Sieges gezeigt wurde, erwies sich als riesiger Publikumserfolg, der andere Künstler zur Nachahmung anregte. Bei der Arbeit an dem für Stuttgart bestimmten Gemälde über die Schlacht bei Champigny und Villiers wurde Braun von dem Landschaftsmaler Edmund Berninger (1843–1929) und dem früheren württembergischen Offizier und nunmehrigen Maler Karl Schott (1840–1911) unterstützt.

Das Schlachtengemälde „Die Württemberger bei Champigny-Villiers“ von Louis Braun, das ein Format von 10 x 94 m aufwies, war ab dem 6. März 1890 – dem 67. Geburtstag von König Karl von Württemberg (1823–1891) – im Stuttgarter Panoramagebäude insgesamt zwei Jahre lang zu sehen. Anschließend wanderte es in andere Städte weiter, zunächst nach Nürnberg, dann nach Frankfurt am Main, München und Zürich. In Stuttgart präsentierte die Panoramagesellschaft Eckstein und Esenwein nach dem Abbau des Bildes Brauns folgende Panoramen: „Helgoland“ von Hans von Petersen (1891–1893), „Jerusalem und Christi Kreuzigung“ von Karl Hubert Frosch, Joseph Krieger und William Robinson (1893–1896) sowie „Flottenparade vor Kaiser Wilhelm im Kieler Hafen“ von Hans von Petersen (1897). Anschließend kehrte man zu Panoramen über einzelne Episoden des Deutsch-Französischen Krieges zurück. Präsentiert wurden die Bilder „Schlacht von Champigny“ von Alphonse de Neuville und Edouard Detaille (1898/99) sowie „Schlacht bei Nuits“ von Carl Becker (1900). Nach der Ausstellung des Panoramas „Schlacht bei Lützen“ von Louis Braun und einem gleichzeitig gezeigten Diorama zum Boxerkrieg (1901/02) folgte das Panorama „Sturm auf Champigny“ von Heinrich Nisle und Ludwig Putz (1903). Auf diesem Bild war der am 2. Dezember 1870 ausgefochtene Straßen- und Häuserkampf in der Stadt Champigny zu sehen. Schließlich wurde 1904 im Schaugebäude an der Lindenstraße nochmals ein Panorama mit religiöser Thematik präsentiert: das Gemälde „Bethlehem – Geburt Christi“ des aus der Nähe von Ravensburg stammenden Gebhard Fugel.

Das Stuttgarter Panoramagebäude existierte bis zum Jahr 1904, also erheblich länger, als im Bauantrag von 1889 vorgesehen gewesen war. Ein Jahr vor der Schließung des Betriebs, im März 1903, war das Eigentum an dem Ausstellungshaus auf die Deutsche Rundgemäldegesellschaft in Karlsruhe übergegangen. Im Hintergrund dieser Veränderung standen wirtschaftliche Schwierigkeiten der bisherigen Eigentümer Eckstein und Esenwein, deren Backnanger Lederfabrik 1901 in Konkurs gegangen war. Ob die Insolvenz mit eventuellen Verlusten der Panoramagesellschaft in Verbindung stand, lässt sich nicht mehr klären. Unabhängig davon spiegelt der Abriss des Stuttgarter Panoramagebäudes nach der Jahrhundertwende einen allgemeinen Trend: Nach 1900 ließ das Publikumsinteresse an den Panoramen im Deutschen Reich spürbar nach. Neue Medien, zunächst vor allem die Fotografie, später der Film, befriedigten mehr und mehr die visuellen Bedürfnisse der Massen. Den Panoramagesellschaften fehlte damit die wirtschaftliche Basis für den weiteren Betrieb der Schauhäuser, die zumeist abgerissen wurden.

Das Grundstück, auf dem das Stuttgarter Panoramagebäude gestanden hatte, blieb in der Folge unbebaut. Es ist heute Teil der Parkanlagen, die zwischen verschiedenen Dienstgebäuden der Universität Stuttgart – Universitätsbibliothek, Sprachenzentrum, Mensa – im Bereich der Holzgartenstraße angelegt wurden. 

Text: Wolfgang Mährle
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

StadtA 116/1 Baurechtsamt A 438

Literaturhinweise:

Merveldt-Newzella, Cäcilia von: Panoramamalerei des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Panoramas „der Schlacht von Villiers und Champigny“ von Prof. Louis Braun für die Stadt Stuttgart im Jahre 1889, Diplomarbeit Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart 2010 (unveröffentlicht).
Der Panoramamaler Louis Braun 1836-1916. Vom Skizzenblatt zum Riesenrundbild, Schwäbisch Hall 2012.
Nation im Siegesrausch. Württemberg und die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71, hg. und bearb. von Wolfgang Mährle, Stuttgart 2020, S. 342-347.

GND-Identifier: 4557175-2
Publiziert am: 20.05.2021
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Mährle, Panoramagebäude, publiziert am 20.05.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/1047a37f-0056-4e2a-9b1f-27ad2597c9f6/Panoramagebaeude.html