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Edwin Redslob war von Oktober 1919 bis Mai/Juni 1920 Direktor der Stuttgarter Museen. Obwohl er nur wenige Monate in Stuttgart tätig war, hat er ein wichtiges Erbe hinterlassen.

Edwin Redslob wurde am 1. Oktober 1919 als Galeriedirektor der württembergischen Kunstsammlungen in Stuttgart berufen. Zuvor hatte er sieben Jahre lang das städtische Angermuseum in Erfurt als jüngster Museumsdirektor seiner Zeit geleitet.

Sowohl in seinen Memoiren als auch in seiner Biografie wird diese Episode in Stuttgart nur kurz abgehandelt; seine Tätigkeit als erster und einziger Reichskunstwart der Weimarer Republik dominiert im historischen Rückblick. Dabei wurde bisher nicht deutlich, dass er 1919/1920 drei Aufgaben wahrnahm, deren Amtszeiten sich überschnitten: Von Oktober 1919 bis Mai/Juni 1920 war er Vorstand der württembergischen Kunstsammlungen; bis zum 31. Dezember 1919 blieb er zugleich Direktor des Angermuseums in Erfurt. Zusätzlich wurde er mit Wirkung zum 1. Januar 1920 zum Reichskunstwart ernannt, trat dieses Amt in Berlin aber erst am 1. Juli 1920 an. Fortan widmete er sich bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 seinen umfassenden Aufgaben als Reichskunstwart. Dazu gehörte vor allem die künstlerische Neugestaltung des Staatswappens und verschiedener politischer Symbole für die neue Weimarer Republik.

Redslob war nicht nur eine schillernde Persönlichkeit mit vielseitigen Interessen und Begabungen, sondern er trat auch sein Amt in Stuttgart in einer ungemein interessanten Phase des politischen Umbruchs an. Der Erste Weltkrieg war verloren, die Monarchie hatte abgedankt, in vielen deutschen Städten gab es Demonstrationen und Straßenkämpfe. Auf Redslob warteten also spannende Herausforderungen.

In seinem Arbeitsvertrag, den er erst am 18. Oktober 1919 unterschrieb, wurden mehrere Aufgaben festgelegt. Dazu zählten vor allem die Leitung der Gemäldegalerie, der Kupferstichsammlung und der Sammlung von Plastiken (heute: Staatsgalerie Stuttgart) sowie der kunsthistorischen Abteilung der Altertümersammlung (heute: Landesmuseum Württemberg). Zusätzlich sollte er einen Lehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste übernehmen.

Bei seinem Amtsantritt in Stuttgart hatte Redslob zunächst ein recht banales Problem: Man hatte ihm eine Dienstwohnung im Neuen Schloss zugesagt, in der jedoch Friedrich von Graevenitz (1892-1959), im Ersten Weltkrieg General der Infanterie und letzter Generaladjutant des württembergischen Königs, mit seiner Familie lebte. König Wilhelm II. hatte zwar 1918 abgedankt und das Schloss verlassen, aber Teile seines Hofstaates lebten 1919 immer noch dort. Die Wohnung wurde nicht rechtzeitig frei, sodass Redslob bis Ende des Jahres 1919 sein Amt von Erfurt aus führen musste. Erst 1920 bezog er eine andere Wohnung im linken Flügel des Neuen Schlosses und richtete sich dort ein Büro ein. In diesem Flügel befanden sich auch die Finanzverwaltung, verschiedene Polizeidienststellen, der Landesausschuss der Arbeiter- und Bauernräte, das Deutsche Ausland-Institut, sowie die rechtsextreme Schwäbische Liga zum Schutze der deutschen Kultur – allein die Einträge im Stuttgarter Adressbuch von 1920 zeigen eindrucksvoll die politische Gemengelage dieser Zeit.

Nach dem Ende der Monarchie wurden die verschiedenen Schlösser und Immobilien des württembergischen Königshauses in Stuttgart Eigentum des Volksstaates Württemberg. Redslob ließ sich vom Ministerium für Kirchen- und Schulwesen mit dem Anstellungsvertrag die Pläne des Neuen Schlosses zuschicken; das Ministerium stellte ihm weitere Pläne des Alten Schlosses und von Schloss Rosenstein in Aussicht. Im Januar 1920 forderte er in einer Grundsatzrede zu Museumsfragen in Stuttgart die kulturelle Nutzung dieser Immobilien.

Da Redslob nur kurze Zeit in Stuttgart war und die Akten der Stuttgarter Museen vor 1945 nicht mehr überliefert sind, lassen sich nur wenige Spuren seines Wirkens nachweisen. Sofern sich Ankäufe auf ihn nachweislich zurückführen lassen, handelte es sich meist um Kunstwerke des 19. Jahrhunderts; diese hatten überdies eine „fürstliche“ oder sogar „königliche“ Provenienz. So erwarb er z.B. über den Berliner Kunsthändler Karl Haberstock 1920 neun Zeichnungen von Anselm Feuerbach aus der Sammlung des Großherzogs von Oldenburg, der 1919 ins niederländische Exil gegangen war. Heute befinden sich noch fünf dieser Zeichnungen im Bestand der Staatsgalerie Stuttgart.

Zwischen dem 27. und dem 29. November 1919 erwarb er auf einer Auktion bei Felix Fleischhauer in Stuttgart zwei Gemälde des 19. Jahrhunderts aus dem Eigentum des früheren württembergischen Königshauses. Es handelte sich dabei um Werke des Stuttgarter Malers Karl Friedrich Heinzmann (1795-1846) mit Szenen lagernder Soldaten im Elsass. Die Auktion des ehemaligen Hofkunsthändlers Fleischhauer fand ebenfalls im Neuen Schloss statt; um Schaulustige abzuschrecken, hatte man ein Eintrittsgeld von 100 Mark. festgesetzt, das allerdings einen reservierten Sitzplatz gewährleistete und im Falle einer Erwerbung rückvergütet wurde.

Trotz dieser Erwerbungen regionaler Künstler erntete Redslob in der Stuttgarter Tagespresse viel Kritik. Es gab empörte Leserbriefe, weil die Porträts von Bismarck und Wilhelm II. sowie mehrere Schlachtenbilder aus dem deutsch-französischen Krieg 1870 abgehängt worden waren. Ein Feuilletonist schrieb treffend, diese Leser gingen nicht ins Museum, um Kunst zu erleben, sondern um alte Bekannte zu treffen.

Von zeitgenössischen, vor allem expressionistischen Künstlern erwarb er nur relativ wenig für die Stuttgarter Sammlungen: Es sind z.B. fünf Druckgrafiken von Erich Heckel im Inventarbuch nachweisbar, die jedoch als Schenkung Redslobs 1921, also nach seinem Wechsel nach Berlin, ins Haus kamen.

Im Januar 1920 hielt er im Kunstgebäude bei einer Veranstaltung des Württembergischen Kunstvereins eine programmatische Rede zur Zukunft der Stuttgarter Museen, die in den „Schwäbischen Flugschriften“ im selben Jahr veröffentlicht wurde. Die Ausstellung in der Württembergischen Kunstsammlung erschien ihm veraltet; vor allem kritisierte er die Gipssammlung, die zu Studienzwecken für die Schüler der Akademie angelegt worden war, und bezeichnete sie als „in Gips gegossene Bildung“. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst bezeichnete er dagegen als „Schicksalsfrage“. Dann legte er seine Vision für die württembergischen Kunstsammlungen dar: Statt zu versuchen, hastig eine große Sammlung von internationalem Rang wie in anderen Großstädten aufzubauen, sollte man die Sammlung schwäbischer Kunst erweitern, um damit einerseits ein unverwechselbares Profil als Museum zu erhalten, andererseits die Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Museum zu fördern.

Redslob wollte das Bodenständige, Schwäbische an dieser Sammlung herausstreichen und ausbauen. In diesem Sinne ist es durchaus nachvollziehbar, dass er den Bestand an Schwäbischer Malerei des 19. Jahrhunderts erweiterte und sich weniger um den Erwerb zeitgenössischer Kunst bemühte. Zwar schätzte er die Künstler der 1919 in Stuttgart gegründeten Üecht-Gruppe (Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Gottfried Graf u.a.) sehr und präsentierte ihre Arbeiten im Mai 1920 in einer Ausstellung in den Räumen des Museums in Stuttgart – zur Verblüffung der Behörden, die er „vergessen“ hatte zu informieren. Aber bei der Erwerbungspolitik für die Staatlichen Sammlungen blieb er eher konservativ. Mit der Betonung des „Schwäbischen“ baute er bewusst eine Brücke zum Stuttgarter Publikum. Redslob selbst hat in seinen Memoiren rückblickend vom „Chauvinismus“ der Schwaben gesprochen, die den Thüringer als „norddeutschen Flachländer“ (!) diffamiert hätten. Sein Bezug von Kunst auf die Landschaft, in der sie entstanden ist, zieht sich dagegen durch seine gesamten Publikationen.

Trotz der kurzen Amtszeit von etwa acht Monaten hat Redslob ein wichtiges Erbe hinterlassen – genauer gesagt einen Erben. Im Oktober 1919 kontaktierte ihn der Maler Alexander Kanoldt (1881-1939), der von Redslobs Ernennung in Stuttgart erfahren hatte, und empfahl ihm als Mitarbeiter „den jungen F.“, einen „Reutlinger“. Dabei handelte es sich um den Kunsthistoriker Otto Fischer (1886-1948), der mit den Künstlern Alexander und Johanna Kanoldt (1880-1940) eng befreundet war.

Otto Fischer nahm ebenfalls im Oktober 1919 Kontakt mit Redslob auf und bot seine Mitarbeit an. Vermutlich protegierte ihn Redslob als seinen Nachfolger in Stuttgart. Nach dem Weggang Redslobs im Sommer 1920 wurde zunächst Hans Buchheit (1878-1961) für wenige Monate Galeriedirektor, gab dieses Amt aber 1921 an Otto Fischer ab. Fischer führte in seiner Amtszeit eine Neuhängung der Galerie durch und veröffentlichte ein neues Bestandsverzeichnis. Mittlerweile hatte auch die Familie von Graevenitz ihre Wohnung geräumt, sodass Otto Fischer die Dienstwohnung im Neuen Schloss beziehen konnte. 1922 setzte er die bereits von Redslob geplante Ausstellung mit Zeichnungen von Moritz von Schwind und anderen Romantikern um. Auch er musste sich mit negativen Presseberichten über die weiterhin magazinierten Schlachtenbilder auseinandersetzen; offensichtlich gab es politische Kräfte, die sich beim Besuch des Museums an die „gute, alte Zeit“ vor dem Zusammenbruch des Kaiserreiches erinnern wollten. Fischers größte Leistung lag sicherlich in dem Aufbau einer neuen expressionistischen Abteilung, darunter Werke von Max Beckmann, George Grosz, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde u.a.

Fischers Erwerbungen zeitgenössischer Grafiken in Stuttgart wurden 1938 im Rahmen der NS-Aktion „Entartete Kunst“ größtenteils vom Deutschen Reich beschlagnahmt; etwa die Hälfte erwarb der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895-1956). Heute befinden sich noch mindestens acht Grafiken aus Stuttgart im Nachlass Gurlitt im Kunstmuseum Bern.

Text: Anja Heuß
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Wissenschaftsfestival
Quellenhinweise:

Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, Nachlass Edwin Redslob, I, A, 5a sowie I, C-2, C-12, C-14, C-27, C-28.
Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar, Nachlass Edwin Redslob, 155/81.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart M 660/95 Bü 47.

Wissenschaftsfestival

Literaturhinweise:

Edwin REDSLOB, Steht Stuttgart vor einer neuen künstlerischen Entfaltung?, in: Schwäbische Flugschriften, Heft 1, Stuttgart (Februar) 1920, hier S. 5 ff.
Edwin REDSLOB, Von Weimar nach Europa. Erlebtes und Durchdachtes, Berlin 1972.
Stuttgarter Adreßbuch 1919/1920.
Christian WELZBACHER, Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009.

GND-Identifier: 118743759
Publiziert am: 25.06.2019
Empfohlene Zitierweise:
Anja Heuß, Edwin Redslob (1884-1973), publiziert am 25.06.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/1a67721b-8d37-401a-8e06-00ef09acfcf7/Edwin_Redslob_%281884-1973%29.html