Im Stuttgarter Gerichtsviertel in der Urbanstraße befand sich von 1933 bis 1945 eine Institution, die wie keine zweite außer dem Volksgerichtshof für den nationalsozialistischen Unrechtsstaat steht. Hier hatte das Sondergericht Stuttgart seinen Sitz. In den zwölf Jahren seiner Existenz verhängte es in rund 2.600 Verfahren etwa 150 Todesurteile, häufig wegen politischer Vergehen, ab 1939 aber auch verstärkt wegen Tatbeständen, die aufgrund des Kriegsbeginns neu geschaffen wurden. Unter die erste Kategorie fiel beispielsweise das sogenannte Rundfunkverbrechen, also das Hören von Sendern der Kriegsgegner Deutschlands, aber auch „Kriegswirtschaftsverbrechen“ wie das „Schwarzschlachten“, also die Verwertung von Nutzvieh außerhalb der vorgeschriebenen behördlichen Registrierung. Darüber hinaus verhandelte das Sondergericht auch Fälle, die in der rassistischen Ausrichtung der NS-Justiz begründet lagen, wie zum Beispiel intime Beziehungen von Deutschen zu Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeitern, die als „Rassenschande“ geahndet wurden. Zur Institutionalisierung dieser Gerichtsbarkeit trugen maßgeblich die „Heimtücke-Verordnung“ – sie erging zeitgleich mit der Einführung der Sondergerichte am 21. März 1933 – sowie die Schaffung des Volksgerichtshofes am 24. April 1934 bei. Der Volksgerichtshof war zuständig für Fälle von „Hoch- und Landesverrat“, verhandelte im Krieg aber auch über Taten, die als „Feindbegünstigung“ oder „Wehrkraftzersetzung“ erkannt wurden. Im Innenhof des Stuttgarter Sondergerichts in der Urbanstraße befand sich die zentrale Hinrichtungsstätte für Südwestdeutschland. Dort wurden mehr als 400 Menschen hingerichtet.
Dass der Vorsitzende des Sondergerichts, Hermann Cuhorst, 1946 nach Nürnberg überstellt wurde und sich 1947 als einer von nur drei NS-Richtern auf der Anklagebank der Juristenprozesse wiederfand, lag an seinem berüchtigten Ruf, der sich bis in die USA herumgesprochen hatte. Eine Strafe gegen Cuhorst verhängte der Internationale Militärgerichtshof jedoch nicht, vielmehr sprach er ihn wegen Mangels an Beweisen frei – auch, weil kaum Prozessakten vorhanden waren. Das Urteil löste in Stuttgart heftige Proteste aus. Wenige Tage danach wurde Cuhorst aufgrund des Befreiungsgesetzes erneut inhaftiert und kam vor die Spruchkammer in Württemberg. Beim Entnazifizierungsverfahren wurde er gänzlich anders bewertet und als „Hauptschuldiger“ eingestuft. Cuhorst bekam sechs Haft und Berufsverbot. Sein Vermögen wurde eingezogen, die Beamtenversorgung nicht zuerkannt. 1950 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen, weil ihm die Kriegsgefangenschaft angerechnet wurde.
Geboren wurde Cuhorst 1899 in Ellwangen. Als sein Vater 1903 zum Staatsanwalt berufen wurde, zog die Familie mit ihm und seinem Bruder Fritz nach Stuttgart, wo er 1917 das Abitur ablegte. Unmittelbar danach wurde er Soldat, erhielt an der Westfront das Eiserne Kreuz II. Klasse und blieb bis Juli 1919 bei der Reichswehr, wo er bis zum Leutnant aufstieg. Im Zivilleben schlug Cuhorst denselben Berufsweg ein wie sein Vater und sein Großvater: Er wurde Jurist. Cuhorst studierte Jura in Tübingen und war bereits während seines Studiums in nationalen Vereinigungen und Freikorps aktiv. Sein nationalkonservativ gesinnter Vater, seit 1920 Erster Staatsanwalt in Stuttgart, tat sich in den 1920er Jahren besonders in Prozessen gegen Vertreter der Linken hervor. 1929 trat Cuhorst in den württembergischen Justizdienst ein und arbeitete auf verschiedenen Posten in Ulm und Stuttgart, bis er am 1. Oktober 1929 in Stuttgart zum Amtsrichter berufen wurde. Von 1933 bis 1934 war er als Oberregierungsrat im Justizministerium des Landes tätig. In dieser Funktion beschäftigte sich Cuhorst vorrangig mit dem Entzug von Zulassungen für die jüdischen Anwälte im Land. Der NSDAP war Cuhorst bereits 1930 beigetreten und betätigte sich seit 1931 als Kreisredner, später als Gauredner, spielte also eine aktive Rolle und galt deswegen als „alter Kämpfer“, also als jemand, der der NSDAP aus Überzeugung und nicht aus Karrieregründen beigetreten war. Der SS gehörte Cuhorst seit Januar 1934 als förderndes Mitglied an. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eröffnete dem frühen Parteimitglied neue Aufstiegsmöglichkeiten: Im November 1934 wurde der damals 35-Jährige zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht Stuttgart befördert und übernahm dort einen Zivilsenat. Zum 1. Oktober 1937 wurde Cuhorst zum Vorsitzenden des Sondergerichts Stuttgart und in Personalunion zum Vorsitzenden des 1. Strafsenats berufen.
Mit der Sondergerichtsbarkeit, der Cuhorst nun als Richter angehörte, wollte das NS-Regime parallel zur herkömmlichen Rechtsprechung eine rechtsformale Möglichkeit zur Verfolgung und rücksichtslosen Ahndung oppositioneller Handlungen oder Äußerungen gegen den NS-Staat schaffen, ein Kernanliegen der nationalsozialistischen Rechtspolitik. Politische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus konnte nun zum Verbrechen erklärt und mit Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt werden.
Hinzu kam die Einführung völlig neuer Tatbestände, die ausschließlich der Erfüllung der politischen und rassistischen Ziele des NS-Regimes diente sowie die Einführung des „gesunden Volksempfindens“ als neuer Rechtsnorm. Dieser Umstand erlaubte es, herkömmliche Tatbestände neu zu definieren und damit ein Strafmaß zu verhängen, das in keinem Verhältnis zum Vergehen stand. In engem Zusammenhang damit wurde auch der Grundsatz aufgegeben, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleichbehandelt werden müssten. Entscheidend war nun nicht mehr allein, welche Tat verübt worden war, sondern vor allem, wer sie verübt hatte. Ab Inkrafttreten der „Verordnung über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte“ am 20. November 1938 konnte jede Tat durch willkürliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft an ein Sondergericht verwiesen werden, unabhängig davon, ob der Sache nach Amts- oder Landgericht dafür zuständig gewesen wären. Alle Verfahren zeichneten sich in negativer Weise dadurch aus, dass die Rechte der Verteidigung stark eingeschränkt waren. In aller Regel konnten Todesurteile sofort verhängt und schnell vollstreckt werden, da die Urteile der Sondergerichte sofort nach Verkündung rechtskräftig wurden und keine Rechtsmittel zugelassen waren.
Cuhorsts Verhandlungsführung fügte sich exemplarisch in dieses Bild. Er beschnitt die Rechte der Verteidiger, wo er konnte, so zum Beispiel dadurch, dass die Angeklagten ihre Anwälte oft erst kurz vor der Verhandlung kennenlernen durften, zog Verfahren im Eiltempo durch und beleidigte die Prozessbeteiligten. Bei etwa der Hälfte der 2.600 Verfahren vor dem Sondergericht führte er den Vorsitz. In 120 Fällen wurden dabei Todesurteile gefällt. Bei einem der bekanntesten Verfahren erging ein Urteil, das exemplarisch sowohl die Arbeit der Sondergerichte wie die rassistische Ausrichtung des NS-Rechtssystems wie auch Cuhorsts Amtsauffassung widerspiegelt: Ein 26-jähriger Pole wurde während des Krieges zum Tode verurteilt. Das Verbrechen des jungen Mannes: Er hatte intime Beziehungen zu einer deutschen Frau unterhalten. Das Urteil erging nach dem sogenannten Sonderstrafrecht für Polen. Belegt ist aber auch das Todesurteil, das Cuhorst gegen einen Metzger wegen nicht genehmigten Schlachtens von Tieren verhängte, die dadurch der Lebensmittelrationierung entzogen werden sollten. Zwei weitere Todesurteile verhängte Cuhorst in einem Fall, bei dem ein Angestellter des städtischen Wirtschaftsamtes Kleiderkartenpunkte unterschlagen und weiterverkauft hatte. Während des Krieges war der Bezug von neuer Kleidung ausschließlich über solche Karten möglich.
Die Härte und Gnadenlosigkeit, mit der Cuhorst in allen diesen Fällen vorging – allerdings auch gegen korrupte Vertreter von Staat und Partei –, wurde ihm in der jüngeren Forschung gelegentlich sogar als Ausdruck richterlicher Unabhängigkeit ausgelegt. Insofern kann aus heutiger Sicht durchaus von einer differenzierten Beurteilung der Person Cuhorsts gesprochen werden. Unzweifelhaft war er aber ein überzeugter Nationalsozialist, der für seine Neigung zum „kurzen Prozess“ bekannt war. Die zahlreichen verhandelten Fälle und verhängten Todesstrafen sprechen jedenfalls dafür, ebenso Denunziationen selbst im Bekanntenkreis. Andererseits sollen ihm Angeklagte, wie zum Beispiel Mitglieder der Familie der Geschwister Scholl aus dem Widerstandskreis „Die Weiße Rose“, durchaus eine angemessene Verhandlungsführung bescheinigt haben. Erstaunlich ist auf jeden Fall, dass Cuhorst im November 1944 vom Reichsjustizminister mit der Begründung zur Wehrmacht versetzt wurde, er fälle zu milde Urteile. Cuhorst, der aber schon zuvor eine Versetzung verfolgt haben soll, geriet bei Kriegsende in Gefangenschaft.
Auch im privaten Bereich pflegte er das familiäre Erbe: Wie Vater und Großvater war er im Deutschen Alpenverein aktiv. In der NS-Zeit spielte Cuhorst dort eine wichtige Rolle. So leitete er von 1933 bis 1945 die große Sektion Schwaben und war von 1934 bis 1938 Mitglied des in Stuttgart angesiedelten Verwaltungsausschusses des Gesamtvereins als Referent für Vereinsrecht, Satzungsänderungen und Unfallversicherung. Unter anderem entwarf Cuhorst eine neue, für alle Alpenvereinssektionen verbindliche Mustersatzung. 1933 betrieb er mit Nachdruck den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem Verein.
Bis zu seinem Lebensende versuchte Cuhorst ebenso verbissen wie vergeblich, sich beruflich rehabilitieren zu lassen. Die Rückkehr in den Staatsdienst wurde dem ehemaligen Richter verweigert und ihm bis zuletzt nur eine Berufsunfähigkeitsrente zugestanden. Cuhorst starb am 5. August 1991 in Kressbronn am Bodensee. Als in einer Todesanzeige in der „Stuttgarter Zeitung“ am 10. August das Bibelwort „Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich“ zitiert wurde, kam es zu einem Protest der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).