Am 21. Mai 1380 wurde der Grundstein der Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen gelegt. Fünf Jahre später folgte die Weihe des Hauptaltars. Gestiftet wurde die Kapelle von Reinhard von Mühlhausen für seinen verstorbenen Bruder Eberhard.

Über dem Nordportal der Veitskapelle steht in gotischen Minuskeln folgender Satz zu lesen: „do man zalt von gottes geburt M CCC LXXX jar an dem mendag vor sant Urbans dag wart dis capell angehebt von dem erb[ar]n man renhart von mulhusen burger zu prag“. Zwischen der Inschrift befindet sich das Wappen der Herren von Mühlhausen in Gestalt von drei übereinanderliegenden Mühleisen, bekrönt von Helm und Helmzier. Über dem Südportal ist die gleiche Inschrift in lateinischer Sprache angebracht, jedoch mit dem gleichen Wappen. Die Grundsteinlegung der Kapelle erfolgte gemäß dieser Inschrift also am 21. Mai 1380. Der Stifter Reinhard stammte aus dem Mühlhauser Ortsadel und war mit seinem Bruder Eberhard Bürger von Prag geworden. Eberhard stand zudem in Diensten von Kaiser Karl IV., in dessen Auftrag er Finanzgeschäfte tätigte. Reinhards sehr gute finanzielle Situation ermöglichte es ihm, nach dem Tod seines Bruders 1380 für diesen eine Kapelle errichten zu lassen.

Nach dendrochronologischen Untersuchungen stammt das Dachwerk der Kapelle von 1382/1383. Dementsprechend wurde die Kapelle sehr schnell nach der Grundsteinlegung, wohl unter der Ägide von Meistern der Prager Dombauhütte, aufgerichtet. Nach ihrer Fertigstellung ließ sie der Stifter mit einem kostbaren Altar aus der bedeutenden Werkstatt des Meisters Theoderich in Prag ausstatten. Am 28. September 1385 wurde der Hauptaltar der Kapelle zu Ehren von St. Wenzeslaus, St. Veit und St. Sigismund feierlich eingeweiht. In geöffnetem Zustand zeigt der Flügelaltar im Schrein stehend den heiligen Wenzeslaus als Herzog mit Kettenpanzer und dem böhmischen Reichsadler auf Fahne und Schild. In den beiden Flügeln wird er von den Heiligen Veit als Märtyrer mit Palmzweig und Reichsapfel sowie Sigismund als Kaiser mit Zepter und Reichsapfel flankiert. Im geschlossenen Zustand zeigt der Altar in der Mitte die Verkündigung an Maria, bekrönt von einer Darstellung von Braut und Bräutigam, links Christus als Schmerzensmann, vor dem der Stifter huldigt und rechts den Gekreuzigten mit Maria und Johannes. Auf der Rückseite befindet sich eine zweite Kreuzigungsdarstellung, die Stifterinschrift und die Ganzfigurenbildnisse der beiden Brüder Reinhard und Eberhard. Auffallend dabei ist, dass nicht der Titelheilige der Kapelle, sondern der böhmische Nationalheilige im Schrein in der Mitteltafel erscheint. Dies wurde damit begründet, dass dem Stifter die besondere Verehrung des heiligen Wenzeslaus in Mühlhausen wichtig gewesen war. Das wiederum erklärt sich durch eine gute Beziehung zwischen dem Stifter, seinem Bruder, zu dessen Ehren er den Altar anfertigen ließ und Böhmen. Da der Altar, der auch „Prager Altar“ genannt wird, bereits 1510 durch den heute in der Kirche befindlichen Altar ersetzt wurde, gelangte der „Prager Altar“, der versteckt in der Veitskapelle aufbewahrt wurde, 1902 in den Besitz der Staatsgalerie in Stuttgart.

Der heute in der Kapelle befindliche Altar von 1510 wird der Stuttgarter Werkstatt unter Einfluss der Ulmer Weckmannswerkstatt zugeschrieben. Es handelt sich um einen Flügelaltar mit Predella und aufwändig gestaltetem Gesprenge. Im Schrein sind fünf skulpierte männliche heilige Figuren angeordnet, die alle auf einem gestuften Podest stehend angeordnet und frontal ausgerichtet sind. In der Mitte befindet sich der heilige Veit, flankiert von Wenzeslaus und Sigismund innen, sowie St. Hippolyt mit fehlendem Attribut links außen und Modestus, der Erzieher des jungen Veit, rechts außen. Die Flügel zeigen in Tafelmalerei die Lebensgeschichte des Titelheiligen, wobei auf jedem Flügel die Hauptszene im Vordergrund von einer Nebenszene im Hintergrund begleitet wird. Im linken Flügel ist die Taufe des heiligen Veit dargestellt, während im Hintergrund eine Prügelszene zu erkennen ist. Im rechten Flügel ist im Vordergrund der heilige Veit vor einem Richter zu sehen, umsäumt von Schergen, die größtenteils ihre Fäuste mit den Keulen erhoben haben, um ihn zu schlagen, während der links stehende Scherge die Keule aufgrund seiner erlahmten Arme sinken lässt. Im Hintergrund ist zu erkennen, wie der Heilige auf der Flucht aus seiner Heimat von hinten erfasst wird, um ihn dann dem Richter vorzuführen. Bei geschlossenen Flügeln ist links die Heilung des Heiligen zu sehen, dahinter erscheint er als Jüngling, der vor Tanz und Musik flieht. Auf dem rechten Flügel sind das Martyrium von Veit und Modestus, die Zerstörung der Marterinstrumente und im Hintergrund der Sarg des Heiligen zu sehen. Die Predella zeigt Christus zwischen den Aposteln. Auf der Rückseite des Altars befinden sich zusätzlich die Kopien der Bildnisse des Stifters und seines Bruders mitsamt den dazugehörigen Inschriften von der Rückseite des „Prager Altars“ von 1385. Im Gesprenge ist der Heilige in einem Kessel mit siedendem Öl dargestellt, denn der Legendenbericht des heiligen Veit erzählt davon, dass er dieses Martyrium unversehrt überlebt habe. Er wird von den Heiligen Stephanus und Laurentius flankiert.

Da es sich bei Mühlhausen um ein reichsritterschaftliches Dorf handelte, das erst 1806 an das Herzogtum Württemberg fiel, war die Kapelle einschließlich ihrer Ausstattung von den Bilderstürmen der Reformation nicht betroffen. Auch der im Sinne des Stifters täglich in der Kapelle abgehaltene Gottesdienst wurde bis 1783 gefeiert und erst vollständig eingestellt, nachdem die Kapelle 1813 russischen Soldaten als Magazin gedient hatte. Ab 1831 nutzte man sie zur Aufbewahrung von Getreide und Stroh sowie als Wirtschaftsgebäude. In der Folge drohte die Kapelle zunächst zu zerfallen, wurde aber dann anlässlich des 500-jährigen Jubiläums von den Freiherren von Palm, in den Jahren 1874 bis 1880 erstmalig restauriert. Die Freiherren hatten das Rittergut 1728 erworben und waren bis 1927 im Besitz der Kapelle. Weitere Restaurierungen erfolgten 1948 bis 1952, 1974, 1986 bis 1989 und 2010 bis 2012.

Die Kapelle besteht aus einem vierseitigen saalartigen Kirchenschiff, dem sich westlich ein vierseitiger Turm und östlich ein einjochiger Chor mit abschließendem Chorpolygon im 3/6-Schluss anschließt. Während das Kirchenschiff flachgedeckt ist und deshalb ohne Strebepfeiler auskommt, ist der Chor kreuzrippengewölbt und dementsprechend von massiven Strebepfeilern umstellt. Die Nord- und Südseite des Kirchenschiffes birgt als Eingang in den Kirchenraum jeweils ein Spitzbogenportal mit der bereits erwähnten Inschrift. Die Tympana der Spitzbogenportale ruhen auf Konsolen, die mit Laubwerk und Masken verziert sind, die einen Einfluss der Parler-Werkstatt in Prag erahnen lassen. Die Saalkirche birgt auf der Nord- und Südseite der Ostwand je ein vierseitiges Ziborium, das im Süden kreuzrippengewölbt, im Norden hingegen mit einem Netzgewölbe versehen ist. Das südliche wurde wahrscheinlich noch im 15. Jahrhundert, das nördliche erst im 16. Jahrhundert eingebaut. Neben dem südlichen Ziborium wurde 1455 eine Nische in die Wand gebrochen, ob zur Aufstellung eines Beichtstuhls oder der Mariä-Ohnmachtsgruppe, die sich seit 1996 wieder in der Kirche befindet, ist unklar.

Die Kapelle ist mit mittelalterlichen Wandmalereien versehen, die den gesamten Chor mitsamt seinem Gewölbe sowie sämtliche Wände des Langschiffes schmücken. Sie entstanden vermutlich kurz nach der Weihe der Kapelle und wurden abschnittsweise bis in die 40er Jahre des 15. Jahrhunderts hinein angebracht. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verwendung der Farben, zu Farbauftrag und Datierung lieferte die vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg 2010 bis 2012 in Auftrag gegebene Bestandsaufnahme. Demnach sind die Darstellungen von Christus, den Aposteln und den Propheten mit Spruchbändern an der östlichen Chorbogenwand des Kirchenschiffes als die ältesten Wandmalereien der Veitskapelle anzusehen, die jedoch teilweise von den bereits erwähnten Ziborien des 15. und 16. Jahrhunderts auf der Nord- und Südseite der östlichen Kirchenschiffswand verdeckt werden. Diesen Wandmalereien folgt die Chorausmalung, die inschriftlich auf das Jahr 1428 zurückgeht. Dargestellt sind das Jüngste Gericht, die Engel mit den Leidenswerkzeugen, die Krönung Marias, die Evangelistensymbole sowie Darstellungen der Kirchenväter Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und Bernhard von Clairvaux, des Weiteren Petrus, die Schutzmantelmadonna, Szenen aus dem Marienleben, Heiligendarstellungen und Szenen aus der Veitslegende. Kurz nach 1440 entstand im Kirchenschiff außerdem ein Zyklus mit über 60 Bildszenen aus dem Leben Christi.

Auch bei diesen Wandmalereien handelt es sich nicht um klassische Fresken, bei denen die Pigmente meist ohne Bindemittel auf den frisch aufgebrachten Kalkputz aufgetragen werden, sondern um eine allein für die Malerei angefertigte Kalkschlemme mit Zugabe organischer Bindemittel. Die erste Restaurierung der Wandmalereien im 20. Jahrhundert erfolgte zwischen 1948 und 1952 und beschränkte sich auf die Restaurierung des Chorraumes. 1974 folgten dann die Wandmalereien im Kirchenschiff. Bei der jüngsten Restaurierung von 2010 bis 2012 mussten die Fehler der vorigen Restaurierungen korrigiert werden sowie Verschmutzungen, Schimmelsporen und unsachgemäße Mörtelergänzungen aus früheren Restaurierungsphasen abgenommen und schließlich Sicherungsmaßnahmen an aufstehenden und schwach gebundenen Mal- und Tüncheschichten vorgenommen werden. Darüber hinaus wurden Fehlstellen gekittet und Malereimörtel, der sich gelöst hatte, mit besonderen Injektionen wieder an das Mauerwerk angebunden. Es galt ferner auch Altretuschen zu reduzieren und Neuretuschen auf Fehlstellen neu auszufüllen.

Text: Anette Pelizaeus
Schlagwort: Stuttgart-Mühlhausen
Literaturhinweise:

Volker Himmelein, Evangelische Veitskapelle Stuttgart-Mühlhausen (Große Baudenkmäler 254), München/Berlin 41998.
Dörthe Jakobs, Eine ganz besondere Baustelle. Die Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege 42 (2013), Heft 3, S. 145-152.
Anette Pelizaeus, Die ältesten Kirchen in Stuttgart – Ein Wettstreit um ihre zeitliche Abfolge, in: BWKG 114 (2014), S. 333-336.
Manfred Reyle, Die Veitskapelle, in: Heimatbuch Mühlhausen am Neckar seit 1933 Stuttgart-Mühlhausen, hg. von Mühlhausener Bank eG und Evangelischer Kirchengemeinde Stuttgart-Mühlhausen, Stuttgart 1993, S. 44-51.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Anette Pelizaeus, Veitskapelle Mühlhausen, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/1e086f2f-a730-4a1d-88e5-7154aa318f61/Veitskapelle_Muehlhausen.html