Der Initiator des Vagabundentreffens war Gregor Gog (1891-1945). Geboren und aufgewachsen in Schwerin an der Warthe (heute: Skwierzyna in Polen) entfloh er dem streng religiösen Elternhaus, indem er 19-jährig zur Marine ging. Des Drills überdrüssig verließ er das Militär und ließ sich 1913 als Gärtner in Pforzheim nieder. Während des Ersten Weltkrieges wurde er eingezogen, aber wegen gesundheitlicher Probleme 1917 entlassen. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und kam 1918 als Hilfsarbeiter zum Stuttgarter Forstamt. Noch im gleichen Jahr zog er weiter nach Urach, das sich zu einem Zentrum der Vagabundenbewegung entwickelt hatte. Hier kam er mit christlich-revolutionären und anarchistischen Gedanken in Berührung.
Nach Stationen in Thüringen und Brasilien kam Gog mit seiner zweiten Ehefrau Anni Geiger-Gog, einer erfolgreichen Kinderbuchautorin, im September 1924 nach Stuttgart zurück und ließ sich in einem selbst gebauten Holzhaus in Sonnenberg nieder. Die Hütte mit der späteren Adresse Im Betzengaiern 3 lag zwar nahe bei Degerloch, südlich der Dornhalde, führte auch die Postadresse „Sonnenberg, Post Stuttgart-Degerloch“, zählte allerdings damals noch nicht zum Stuttgarter Stadtgebiet, sondern zur Gemarkung Möhringen. Sie ist deshalb im Stuttgarter Adressbuch nicht nachzuweisen, jedoch in demjenigen von Vaihingen/Möhringen. Dort wird Gog 1926 mit der Berufsbezeichnung „Schriftsteller“ geführt.
Gog betätigte sich nun als Autor revolutionärer Texte, schrieb Aphorismen, die das Leben auf der Landstraße aufnahmen. 1927 gründete er die „Bruderschaft der Vagabunden“ und wurde Herausgeber der Zeitschrift „Der Kunde“ – so die Selbstbenennung der Tippelbrüder. Sie erschien, wie auch ein entsprechendes Buchprogramm, in Gogs hiesigem Verlag.
Auf den 14. April 1928 lud Gog zu einem Vagabundenabend nach Stuttgart ins Gewerkschaftshaus „Zum Bären“ in der Esslinger Straße. Für musikalische Stimmung sorgten eine „Kunden-Kapelle“ und ein „Zigeunervirtuose“ an der Gitarre. Texte trugen unter anderem der später berühmt gewordene Journalist Josef Eberle, damals unter dem Pseudonym Tyll tätig, der fahrende Puppenspieler, Schriftsteller und „Zigeunerforscher“ Engelbert Wittich und auch Gog selbst vor.
Wenig später gründete Gog zusammen mit den Malern Hans Tombrock und Hans Bönninghausen die „Künstlergruppe der Bruderschaft der Vagabunden“; sie planten eine Ausstellung mit Werken der „Kunden“ und riefen die Künstler der Landstraße auf, Arbeiten dafür einzusenden. In diesem Zusammenhang entstand wohl auch die Idee für ein großes Vagabundentreffen, und zwar zu Pfingsten 1929 in Stuttgart. Die Organisatoren um Gog erhofften sich bis zu 3.000 Teilnehmer. Als die Presse davon erfuhr, berichtete sie deutschlandweit – zum Leidwesen der Stuttgarter Behörden. Das Nachrichtenamt bat in einer Pressemitteilung, die geplante Veranstaltung nicht anzukündigen, allerdings vergeblich.
Trotzdem kamen – die Schätzungen schwanken naturgemäß etwas – insgesamt nicht mehr als etwa 500 Vagabunden nach Stuttgart. Den ersten Programmpunkt bildete am 21. Mai 1929 um 10 Uhr vormittags die Eröffnung einer Vagabunden-Kunstausstellung im Kunsthaus Hirrlinger in der Gartenstraße 7-9 (heute Fritz-Elsas-Straße). Neben den Arbeiten der Initiatoren und kaum bekannter „Kunden“ waren auch Bilder der Tänzerin und Autorin Jo Mihàly sowie sozialkritische Werke des später vor allem als abstrakten Künstler bekannten Max Ackermann zu sehen. Die Schau stieß allgemein auf großes Interesse.
Nachmittags um 16 Uhr begann dann das eigentliche Treffen im Garten der Freidenkerjugend auf dem Killesberg, gleich hinter der Kunstgewerbeschule, der heutigen Akademie der Bildenden Künste. Gekommen waren mehrere Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen und Vorstellungen: Intellektuelle, die freiwillig oder gezwungen auf der Straße lebten oder gelebt hatten, Angehörige der Wandervogelbewegung, politische Agitatoren, Angehörige der hiesigen Bohème, Schwärmer, Künstler der nahen Akademie, Tippelbrüder, Obdachlose. Die einführende Rede hielt Gregor Gog, er erläuterte die Ziele der Bruderschaft der Vagabunden. Danach sprach der Arbeiterdichter Heinrich Lersch über den „Kampf um die Freiheit“. Musikvorträge lockerten das Programm auf, für Verpflegung war gesorgt. Manche Teilnehmer übernachteten in Quartieren in der Stadt, andere auf dem Tagungsgelände im Freien.
Am zweiten Tag standen Vorträge im Vordergrund; Gog ließ sie alle mitstenografieren und veröffentlichte sie später in bearbeiteter Form in der Zeitschrift „Der Kunde“. Zunächst sprach der Schriftsteller und Journalist Alfons Paquet ein Grußwort, der Malervagabund Hans Tombrock schlug in seiner Rede über „Landstraße – Kunden – Vagabunden“ anarchistische Töne an, der weitgereiste Willi Hammelrath referierte über „Kapitalistische Gesellschaft und Kunde“. Der Rechtsanwalt Dr. Philipp Hainz sprach über den quasi natürlichen Widerspruch zwischen „Justiz und Kunde“, Rudolf Geist sagte in seiner Ansprache mit dem Titel „Der Kunde als revolutionärer Agitator“ die baldige Weltrevolution voraus. Auch der „Naturapostel“ Gusto Gräser, der Hermann Hesse und andere Dichter inspiriert hatte, ergriff das Wort.
Am 23. Mai sprach der von den Wandervögeln kommende Schweizer Pfarrer Dr. Jakobus Weidenmann über „Die Heimat der Heimatlosen“, ehe Studienrat a. D. Karl Roltsch aus eigenem Erleben berichtete: „Von unterwegs. Sozialpolitische Erfahrungen eines akademischen Tippelfreiwilligen“. Den Abschluss des Treffens bildete abends um 21.30 Uhr ein „Vagabunden-Abend“ im Funkhaus, das der Süddeutsche Rundfunk direkt übertrug. Lersch hielt eine Ansprache, Gog trug Landstreicherlyrik vor, die „Musikschar deutscher Vagabunden“ sang und spielte „Wilde Gesellen“. Immerhin acht Positionen umfasste das Programm. Bald darauf zerstreuten sich die Teilnehmer des Kongresses wieder in alle Welt.
Trotz umfangreicher Berichterstattung blieb das Treffen weitgehend folgenlos. Gog, der sich nach einer Russlandreise dem orthodoxen Kommunismus zuwandte, gelang es nicht, die Landstreicher für den revolutionären Kampf zu gewinnen. Als eigenständige Subkultur geriet die Bewegung in Vergessenheit. Seit den 1980er Jahren werden immerhin gelegentlich ihre kulturellen Leistungen gewürdigt.
Die Nationalsozialisten brachten Gog im April 1933 ins KZ Heuberg in „Schutzhaft“, schwerkrank wurde er im November entlassen. Über die Schweiz floh er 1934 in die Sowjetunion; von Moskau aus hielt er Kontakt mit emigrierten Mitgliedern der „Bruderschaft“ und war weiterhin literarisch tätig. Wie andere Emigranten auch musste er die Stadt 1941 verlassen und kam nach Usbekistan, später zum Arbeitseinsatz in Kasachstan. 1943 kehrte er krank nach Taschkent zurück und starb dort im Oktober 1945.