Mit dem Abriss des evangelischen Steiggemeindehauses im Stadtteil Altenburg in den Jahren 2016/17 bot sich die Möglichkeit, in den Boden eines historisch ausgesprochen interessanten Gebietes zu blicken: Unmittelbar nördlich des exponierten Felssporns schließt das seit Anfang des 20. Jahrhunderts von der Dragonerkaserne überbaute römische Reiterkastell an. Westlich des Areals befindet sich der historische Steigfriedhof, auf dessen Gelände sich bis ins 16. Jahrhundert die Kirche St. Martin befand, deren Ursprung spätestens in karolingischer Zeit zu suchen ist.
Neben den örtlichen Bezeichnungen ermöglicht die schriftliche Überlieferung tiefere Einblicke: Der Codex Hirsaugiensis nennt im 12. Jahrhundert einen „Hermann von Altpurg“ im Kontext von Gütererwerbungen an Orten in der näheren Umgebung des heutigen Bad Cannstatt, darunter Altenburg am Neckar sowie die heutigen Stuttgarter Stadtbezirke (Unter-)Türkheim am Neckar und Stammheim. Nach dieser singulären Erwähnung tritt ab Mitte des 13. Jahrhunderts in Urkunden und weiteren Belegen mehrfach ein Geschlecht Fliner von Altenburg auf, das bis ins 14. Jahrhundert regelmäßig genannt wird. Eine Beziehung zwischen Hermann von Altpurg und letztgenannten ist jedoch nicht gesichert.
Eine Befestigung Altenburg selbst findet in den Quellen keine explizite Erwähnung. Doch lässt sich aufgrund der üblichen Benennung von Adelsgeschlechtern nach ihrem Sitz auf die einstige Existenz einer Altenburg schließen. Wie eine erstaunliche Vielzahl an weiteren Ministerialengeschlechtern im Cannstatter Becken und Stuttgarter Talkessel des 12. und 13. Jahrhunderts führten auch die „von Altenburg“ einen Schrägbalken im Wappen. Dieser Umstand verweist auf den hochadeligen Herren dieser Geschlechter – den Markgrafen von Baden. Verschiedene Zweige dieses Geschlechts sind bis in jüngste Zeit nachverfolgbar. Die Altenburg lässt sich zudem mit weiteren Zeugnissen in Beziehung setzen: So bekundete der Kanoniker Konrad von Wurmlingen in den „Annales Sindelfingenses“, König Rudolf von Habsburg habe im Jahr 1287 sieben Burgen im Umkreis der Orte Cannstatt, Brie und Berg zerstören lassen.
Zu diesen im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Eberhard I. und dem römisch-deutschen König zerstörten Burgen zählte wahrscheinlich auch die Altenburg. In der Folgezeit ist noch die Rede von einer Vogtei Altenburg. Zudem werden für das 14. Jahrhundert noch einzelne Häuser des Ortes Altenburg genannt, der vermutlich in enger Beziehung zur Altenburg stand. Ab dem Ende desselben Jahrhunderts existierte wohl nur noch das Pfarrhaus bei der Martinskirche. Allerdings sollen nach Jacob Frischlin im 16. Jahrhundert noch Reste der Altenburg zu sehen gewesen sein. Spätestens seit der Verlegung der Martinskirche Anfang des 16. Jahrhunderts an ihren heutigen Standort in der Neckarvorstadt scheint das Gelände bis ins 19. Jahrhundert hinein keine regelmäßige Besiedlung mehr erfahren zu haben.
Von der einstigen Ausdehnung der Altenburg zeugten bis zur jüngsten Neubebauung des Sporns lediglich flache doch starke Mauerzüge. Die 1,80 Meter breiten, massiv gemörtelten Mauern bildeten eine 18 x 27 x 5 Meter breite, grob quadratische bis langrechteckige Form, deren östliches Ende zur Neckaraue hin nicht mehr erfasst werden konnte. Aufgrund des Erhaltungszustandes ist eine genaue Rekonstruktion des Gebäudes zwar nicht mehr möglich, doch handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein festes Haus. Diese Form trat schwerpunktmäßig im Hochmittelalter auf und diente Adelsfamilien als Wehr-, Wohn- und Repräsentationsbau. Dass die an der Altenburger Steige entdeckten Mauerzüge in diese Zeit datieren, bestätigt die Untersuchung des Mörtels mittels Radiokarbonmethode. Demnach erfolgte die Errichtung der Altenburg zwischen der zweiten Hälfte des 12. und der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Die Funde aus dem Umkreis der Burg vermitteln das Bild eines Personenkreises in gehobener sozialer Stellung. Neben einzelnen Metallfunden handelt es sich überwiegend um keramisches Fundmaterial. Das Spektrum umfasst sowohl die im Mittelalter als gewöhnliche Gebrauchskeramik weithin geläufige „Jüngere Drehscheibenware“, als auch die „Rotbemalte Schwäbische Feinware“, welche zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert die Spitze der Qualitätskeramik im mittleren Neckarraum darstellte. Nicht nur die qualitätvolle Geschirrkeramik lässt auf begüterte Personen schließen, hinzu tritt eine große Anzahl an Ofenkeramik in Form von „Becherkacheln“ – Ausdruck eines gehobenen Wohnkomforts auf der Altenburg, der bis ins späte Mittelalter hinein keine Selbstverständlichkeit war.
Bemerkenswert ist zudem ein deutschlandweit seltenes Fundstück: Ein aus Bronze gefertigter, scheibenförmiger Anhänger eines Pferdegeschirrs. Offenbar zierte man die Pferde im Umfeld der Altenburg mit prächtigem Reitgeschirr.
Ob die Altenburg ihren Bewohnern lediglich als repräsentativer Wohnbau diente oder ihr darüber hinaus die Überwachung der örtlichen Verkehrswege zukam – insbesondere der Altenburger Steige, die im 13. Jahrhundert eine wichtige Verkehrsverbindung darstellte – , lässt sich nicht mehr mit Gewissheit sagen. Doch handelt es sich bei den Überresten der Altenburg zweifellos um bedeutende Zeugnisse der Stadtgeschichte Stuttgarts und der lokalen herrschaftlichen Strukturen im Mittelalter.