Otto Jung wurde als Maler der Stadt Stuttgart und der Schwäbischen Alb im Stil der „Schwäbischen Impressionisten“ bekannt. Er porträtierte viele Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst, Politik und Wirtschaft im Raum Stuttgart, Albstadt-Ebingen und Gießen.

Otto Jung wurde am 28. März 1867 in Ostdorf bei Balingen als zweites von neun Kindern des Bauwerkmeisters Johannes Jung (1833-1916) und seiner Gattin Johanna Herre-Jung (1841-1924) geboren. Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Böhmen, wo Johannes Jung in der Region um Prag Eisenbahnanlagen und -brücken baute. Die Familie kehrte 1874 nach Stuttgart zurück in die Paulinenstraße 67, die spätere Weimarstraße 39. Nach Abschluss des Realgymnasiums 1882 durchlief Jung an der Württembergischen Kunstgewerbeschule eine Lehre zum Holzschneider, in der er Vorlagen für Drucke und Illustrationen herstellte. Allerdings sagte ihm die Feinarbeit auf Dauer nicht zu und so wechselte er an die Königliche Kunstschule Stuttgart, der späteren Akademie der bildenden Künste, wo er – vermutlich gegen den Willen des Vaters – eine Ausbildung zum Kunstmaler begann. Jung stand unter großem Druck durch den dominanten Vater, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hatte. Es wurde von ihm erwartet, dass er sich seinen Lebensunterhalt selbst sicherte, auch als Maler.

Jung blieb bei seinem Entschluss und beendete sein Studium in Karlsruhe, da die dortige Ausbildung aus seiner Sicht freisinniger und moderner war. Sein Frühwerk zeigt deutliche Einflüsse seiner Karlsruher Professoren Gustav Schönleber (1851-1917), Claus Meyer (1856-1919) und Caspar Ritter (1861-1923). Otto Jung erwies sich als begnadeter Zeichner und Porträtist. Von Casper Ritter lernte er, in der Manier Franz von Lenbachs (1836-1904), Bildnisse nach Fotografien zu malen. Die Technik ermöglichte mehr Lebensnähe und ein gezielteres Hervorheben individueller Eigenschaften. Damit traf er einen Nerv der Zeit, denn solch „fotografische Porträts“ in Öl erfreuten sich bei der gehobenen Kundschaft innerhalb der großbürgerlichen Gesellschaft großer Beliebtheit.

Der Wechsel nach Karlsruhe geschah vermutlich auf Anraten seiner Mitstudentin Bertha Malzacher (1866-1935), die er Anfang 1891 an der Kunstschule Stuttgart kennengelernt hatte. Das Paar verlobte sich 1894 und teilte nach Otto Jungs Rückkehr aus Karlsruhe ein Atelier in der Werastraße 15. Neben dem Unterrichten privater Malklassen stellte Jung regelmäßig im Württembergischen Kunstverein sowie 1896 und 1913 im Münchner Glaspalast aus. In den Jahren um die Jahrhundertwende lockerte er seine Malweise unter dem Eindruck von Gemälden französischer Impressionisten und integrierte Elemente des Jugendstils. Er durchmischte seinen in der Regel eher nüchternen Stil vermehrt mit symbolistisch unterlegten Motiven. Zu selben Zeit entstanden zahlreiche städtische Ansichten aus Stuttgart, die mit ihren „schmutzigen“ Ockertönen an die Werke der sogenannten „Schwäbischen Impressionisten“ Hermann Pleuer (1863-1911) und Otto Reiniger (1863-1909) erinnern. Seine große Passion entdeckte Jung in der Freiluftmalerei. Auf seine Streifzüge in die Natur nahm er oft auch einen fotografischen Apparat mit. So entstanden zahlreiche Aufnahmen, in denen er die damalige Stadt Stuttgart und vor allem auch das ländliche Leben in den umliegenden Dörfern einfing. In den 1910er Jahren fand er zu einer stark reduzierten und gleichzeitig großzügigen Pinselführung, die in Richtung der fast expressiven Malauffassung eines Felix Hollenberg (1868-1945) führte.

1898 heiratete Otto Jung seine langjährige Verlobte Bertha Malzacher, die sich ebenfalls als Künstlerin in Stuttgart etabliert hatte. In den Jahren 1899, 1901 und 1904 brachte sie drei Kinder zur Welt, was das Malerpaar dazu bewegte, mehrmals die Wohnung zu wechseln. Sie zogen von der Hasenbergsteige in die Rotebühlstraße und um 1904/05 in ein modernes Doppelhaus mit neugotischer Fassade in der Reinsburgstraße 169, das heute unter Denkmalschutz steht. Um 1909/10 erwarben Bertha und Otto Malzacher-Jung schließlich ein von der renommierten Stuttgarter Architekturgemeinschaft Schmohl & Stähelin neu erbautes Jugendstil-Stadthaus am oberen Herdweg 118, wo sie bis zu ihrem Tod wohnen blieben.

Nach der Geburt der Kinder fand Otto Jung seine Motive häufiger im Familienkreis. Er erhielt vermehrt Aufträge aus dem Umfeld seiner beiden wohlhabend verheirateten Schwestern, die in der aufstrebenden Industriestadt Albstadt-Ebingen wohnten. Neben den Kinder- und Familienbildnissen hatte er auch großen Erfolg mit Auftragsporträts von Gelehrten, Politikern und Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur, wie dem Fabrikanten Paul Jäger (1870-1955), der in Stuttgart gerade seine eigene Firma für Grundierungen und Farblacke gegründet hatte, oder Max Loës, Inhaber der Stuttgarter Schokoladenfabrik Waldbauer. Im Bildbestand des Stadtarchivs Stuttgart befindet sich mit dem Doppelporträt der Freundinnen Elisabeth Susanna Hornmann und Emma Gutersohn ein charakteristisches Beispiel seiner früheren Porträts.

Jung blieb aufgrund seiner familiären Situation immer von Auftragsarbeiten abhängig, die stark vom damaligen Zeitgeschmack geprägt sind. 1910 trat er der Freimaurerloge „Wilhelm zur aufgehenden Sonne“ bei. Über neue Bekanntschaften in Humanisten- und Gelehrtenkreisen lernte er den hessischen Universitätsprofessor August Messer kennen. Die großbürgerliche Gesellschaft der Universitätsstadt Gießen an der Lahn fand in den folgenden Jahren ebenfalls Gefallen an Jungs Porträts und Landschaftsbildern. Die stetig zunehmende Anzahl an Bildnisse des süddeutschen Großbürgertums liefern ein einzigartiges Abbild der damaligen Gesellschaft. Jung avancierte zum äußerst erfolgreichen Porträtisten, ließ aber die Familie oft mehrere Wochen alleine zurück, worunter die Ehe zunehmend litt.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der anschließenden Wirtschaftskrise verschlechterten sich die Auftragslage und die finanzielle Situation der Familie Jung-Malzacher. Von seiner eigentlichen Passion, der Freiluftmalerei, ließ Otto Jung sich aber nicht abbringen und zog sich zunehmend aus dem familiären und gesellschaftlichen Leben zurück, um in der Natur zu malen. In seinem Spätwerk verfolgte er seine frühen expressionistischen Ansätze nicht mehr weiter. Dagegen konzentrierte er sich wieder verstärkt auf eine radikal „entschlackte“ Landschaftsmalerei, die in ihrer monochromen Stille seinen unverwechselbaren Malstil auszeichnete.

Auch die Stadt Stuttgart wurde erneut zu einem seiner favorisierten Motive. Immer wieder zog es ihn ins Zentrum der Stadt zur Stiftkirche, die er gegen Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre in mehreren Variationen malte. 1925 entstand ein großes Gemälde des Schillerplatzes, das sich heute in der Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart befindet. Das Stadtarchiv Stuttgart besitzt eine der zahlreichen Vorstudien. 1930 vollendete Jung ein weiteres, etwas melancholisches Gemälde des nächtlich erleuchteten Schillerplatzes mit der Stiftskirche im Hintergrund. Im Vordergrund wandert eine einsame Gestalt im langen schwarzen Mantel über den Platz. Erzählungen zufolge handelt es sich um den Maler selbst.

Otto Jung starb 1935 in Stuttgart im Alter von 68 Jahren an Herzversagen. Seine Werke wurden in den 1980er Jahren in einzelnen, umfassenden Retrospektiven wiederentdeckt. Vor allem seine monochromen, fast schon abstrahierten Landschaften und frühen Frauenporträts markieren seinen sehr eigenen Stil.

Text: Tanja Warring
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Literaturhinweise:

Julius Baum u.a. (Bearb.), Die Stuttgarter Kunst der Gegenwart, Stuttgart 1913.
Tanja Warring, Zwischen Belle Époque und Neuer Zeit – Das Künstlerpaar Bertha Malzacher-Jung und Otto Jung, Basel 2022.

GND-Identifier: 1012403718
Publiziert am: 28.09.2022
Empfohlene Zitierweise:
Tanja Warring, Otto Jung (1867-1935), publiziert am 28.09.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/6d11de6b-8733-4f69-a9fe-61974d27d3da/Otto_Jung_%281867-1935%29.html