Die junge kommunistische Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann wurde 1938 hingerichtet, weil sie Informationen über die Aufrüstungspolitik NS-Deutschlands weitergegeben hatte. Das Urteil des Volksgerichtsgerichtshofs sorgte damals international für Empörung. In Stuttgart war die Erinnerung an Herrmann jedoch lange umstritten.

Minna Paulina Liselotte (meist Lilo) Herrmann wurde am 23. Juni 1909 als Tochter eines Ingenieurs in Berlin geboren. Durch die Tätigkeit des Vaters war die Familie finanziell gut gestellt, musste aber häufig umziehen, sodass Herrmann an vier verschiedenen Orten die Schule besuchte. Diese schloss sie 1929 in Berlin-Wilmersdorf ab, um anschließend ein Laborpraktikum zu absolvieren und zwischen 1929 und 1931 in Stuttgart Chemie zu studieren.

Bereits während ihrer Schulzeit hatte Herrmann dem Sozialistischen Schülerbund angehört, auch während ihrer Stuttgarter Studienzeit engagierte sie sich im Kommunistischen Jugendverband und hatte in deren örtlichen Organisation das Amt der Kassiererin inne. Noch 1931 erfolgte der Eintritt in die Rote Gewerkschaftsorganisation (RGO) sowie in die KPD. Im gleichen Jahr wechselte sie von Stuttgart nunmehr für ein Studium der Biologie nach Berlin. Im Sommer 1933 wurde sie jedoch aufgrund ihres politischen Engagements relegiert.
Danach arbeitete Herrmann als Kinderschwester. 1934 wurde sie selbst Mutter eines Sohnes mit Namen Walter. Vater des Kindes war der KPD-Funktionär Fritz Rau (1904-1933), ein gebürtiger Stuttgarter, der in seiner Heimatstadt auch zeitweilig Redakteur der „Süddeutschen Arbeiterzeitung“ gewesen war, und den Herrmann in Berlin versteckt hatte. Rau wurde noch 1933 ergriffen und starb während der Haft. In der offiziellen Lesart hatte er sich selbst getötet, tatsächlich aber war er zu Tode geprügelt worden. Die Identität des Vaters von Walter hielt Herrmann selbst vor Gesinnungsgenossen geheim. Erst 1991 sollte der damals 57-jährige erfahren, wer sein Vater war.

Noch im Jahr 1934 kehrte Herrmann nach Stuttgart zurück, wo sie als Schreibkraft im Ingenieurbüro ihres Vaters arbeitete. Zugleich trat sie mit Stefan Lovasz (auch Lowatsch, 1901-1938) in Kontakt, der die Aufgabe hatte, als Bezirksleiter die illegal operierende KPD zu reorganisieren. Für Lovasz erledigte Herrmann Schreibarbeiten und fertigte Analysen. Zugleich arbeitete sie für den Antimilitärischen Apparat der KPD: Von politischen Mitstreitern erhielt sie Informationen über die militärische Aufrüstung, unter anderem bei Dornier in Friedrichshafen. Diese Informationen leitete sie an einen kommunistischen Instrukteur in der Schweiz weiter, der sich seinerseits um die Veröffentlichungen kümmerte. Ziel der Kommunisten war es freilich, die Behauptung Hitlers von den angeblich friedlichen Absichten der Nationalsozialisten zu widerlegen. Herrmann konnte die entsprechenden Informationen relativ unauffällig in die Schweiz weiterleiten, da sie ihren Vater oftmals auf Dienstreisen dorthin begleitete.

Lovasz wurde bereits im Juni 1935 durch zwei Spitzel innerhalb der KP-Organisation enttarnt. Am 7. Dezember 1935 kam es auch zu einer Hausdurchsuchung in der Wohnung Herrmanns bzw. ihrer Eltern in der Hölderlinstraße 22. Bei dieser wurden kommunistisches Schrifttum sowie der Plan einer Munitionsfabrik in der Nähe von Celle entdeckt. Herrmann wurde verhaftet und musste die nächsten 19 Monate im Polizeigefängnis in der Büchsenstraße sowie im Frauengefängnis in der Weimarstraße verbringen. Zugleich wurde sie immer wieder in der Stuttgarter Gestapo-Zentrale verhört. Im Gefängnis sah sich Herrmann mit schlechten hygienischen Verhältnissen konfrontiert, außerdem wurde sie zu harter körperlicher Arbeit gezwungen. Immer wieder wurde auf sie in den Verhören psychisch Druck ausgeübt mit dem Ziel, von Herrmann Informationen über ihre politischen Mitstreiter zu erhalten. Doch blieb sie standhaft und gab kein Wissen preis, mit dessen Hilfe andere Widerstandskämpfer hätten überführt werden können.

Der Prozess gegen Herrmann und vier weitere Oppositionelle fand zwischen dem 8. und 12. Juni 1936 vor dem Volksgerichtshof statt. Herrmann wurde „wegen Landesverrats, begangen in Tateinheit mit Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Beim Prozess war die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden. Gleichwohl wurde das Urteil durch die in Basel erscheinende „Rundschau über Wirtschaft, Politik und Arbeiterbewegung“ bekannt. In der Folge solidarisierten sich im Ausland eine Vielzahl, in erster Linie sozialistische, zum Teil aber auch christliche und bürgerliche Organisationen, Gewerkschaften und Frauenverbände mit der jungen Mutter. Unter anderem legte die französische Gewerkschaft CGT, die immerhin über 1,5 Millionen Mitglieder verfügte, Protest ein. Ihr schlossen sich die „Union der jungen Mädchen Frankreichs“ wie auch die „Vereinigung der Republikanischen Jugend Frankreichs“ an. Aus Norwegen meldete sich die dortige Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in Schreiben an den Volksgerichtshof sowie an die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink (1902-1999) zu Wort und forderte eine Revision des Urteils bzw. die Begnadigung von Herrmann. Schließlich wählte die „Europäische Konferenz für Recht und Freiheit in Deutschland“ am 13. und 14. November 1937 in Paris Herrmann neben weiteren Verfolgten des NS-Regimes zur Ehrenpräsidentin.

All diese Proteste konnten nicht verhindern, dass Herrmann – knapp ein Jahr nach dem Urteilsspruch und kurz vor ihrem 29. Geburtstag – am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Nach der Urteilsverkündung war sie ins Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin verlegt worden. Ihre letzten Lebenswochen musste Herrmann dann in der Todeszelle in Berlin-Plötzensee verbringen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vor allem in der DDR an Herrmann erinnert. Der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953), der zeitweilig in Stuttgart praktiziert und möglicherweise Herrmann persönlich kennengelernt hatte, verfasste ein Poem, das durch Paul Dessau (1894-1979) vertont wurde. Dieses Gedicht ist jedoch zuallererst ein literarisches Werk, Wolf hat die von ihm vorgestellte Lilo Herrmann auch mit den Schicksalen anderer Frauen aus seinem persönlichen Umfeld vermengt.

In Stuttgart erinnerte zunächst 1970 der ehemalige KPD-Stadtrat Willi Bohn (1900-1985) in seinem Buch „Stuttgart: Geheim!“ an das Schicksal von Herrmann und ihrer politischen Weggefährten. Zwei Jahre später wurde immerhin eine Straße im Fasanenhof nach Herrmann benannt. Diese ist gleichwohl wenig repräsentativ: Es handelt sich lediglich um eine Zufahrt zu Parkplätzen bzw. Parkhäusern, Wohnanschriften gibt es hier nicht. 1974 waren es schließlich die Bewohner des Wohnheims Pfaffenwaldring 42-48, die den Wunsch äußerten, ihr Wohnheim solle nach Herrmann benannt werden. Im gleichen Jahr konstituierte sich an der Universität ein „Initiativkreis Lilo Herrmann“, dem unter anderem zwei Fachschaften, die AStAs der Kunstakademie und der FH-Technik, angehörten und der sich für ein Erinnern an seine Namensgeberin im Umfeld der Universität einsetzte. Wenig später beantragte die Studentische Fachschaft Geschichte bei der Fakultät für Geschichts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, eine Gedenkstätte für Herrmann einzurichten. Als Antwort hierauf richtete die Universität Stuttgart eine Kommission unter dem Vorsitz des Professors für Neuere Geschichte Eberhard Jäckel (1929-2017) ein. Jäckel machte sehr früh deutlich, dass im Senat der Universität lediglich eine allgemeine Ehrung der Opfer und Gefallenen der Universität während der Jahre 1933 bis 1945 durchgesetzt werden könne. Danach geschah zwölf Jahre lang nichts.

Im zeitlichen Umfeld des 50. Todestags Herrmanns im Jahr 1988 unternahmen der Stadtjugendring und der Verein für die Verfolgten des Nationalsozialismus einen neuen Anlauf und forderten die Schaffung einer Gedenktafel an der Universität zur Erinnerung an Lilo Herrmann. Das Ansinnen wurde von den Ratsfraktionen der SPD wie auch der Grünen sowie dem DGB unterstützt. Auch Oberbürgermeister Manfred Rommel (1928-2013) befürwortete die Anbringung einer Gedenktafel an der Universität grundsätzlich. Erneut setzte die Universität eine Kommission unter Leitung Jäckels ein. Dieser räumte abschließend ein, die Erinnerung an Herrmann solle gepflegt werden, jedoch solle kein eigenes Denkmal für sie geschaffen werden. Im Gegenzug wollte die Universität nur ein Denkmal schaffen, mit der Inschrift „Für die immer neu zu erringende Freiheit“. Jäckel betonte dabei, dass Herrmann nur einen entfernten Bezug zur Universität besessen habe. Auch bezweifelte er ihre Vorbildhaftigkeit, da sie im Dienst einer Ideologie gestanden habe, die die Freiheit von Lehre und Forschung verneine. Diese Argumentation traf auf lebhaften Widerspruch. So entgegnete der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, dass die unselige Einteilung in guten und bösen Widerstand inzwischen der Vergangenheit angehören solle. Diese Position wurde auch durch den Ersten Bürgermeister der Stadt Stuttgart, Rolf Thieringer (1927-2022), CDU, geteilt, der seinerseits betonte, bei Herrmann handle es sich um eine herausragende Persönlichkeit in der Geschichte des deutschen Widerstandes. Sie habe schon lange vor den Männern des 20. Juli 1944 Unrecht erkannt und den Mut besessen, dies beim Namen zu nennen. Ihr Engagement habe auf den Erhalt des Friedens gezielt. Es habe sich um den Kampf gegen Unrecht und für Menschenwürde und Menschenrecht gehandelt sowie für den Frieden – und ein solches Engagement kenne kein Parteibuch. Letztendlich platzierte der Stadtjugendring anlässlich des 50. Todestages einen Gedenkstein im Stadtgarten in unmittelbarer Nähe zur Universität, der dort geduldet wurde.

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges erfolgte ein deutlich entspannterer Umgang mit dem Andenken an Herrmann als historische Persönlichkeit. Im Jahr 2008 wurde vor dem Elternhaus Herrmanns in der Hölderlinstraße 22 ein Stolperstein zum Gedenken an sie verlegt; außerdem besteht seit 2012 in Heslach ein linkes Kulturzentrum, das den Namen Herrmanns trägt. Traurig stimmt freilich die Tatsache, dass der Gedenkstein an Herrmann im Stadtgarten 2016 geschändet wurde. An der Wiederherstellung hat sich nunmehr auch die Universität beteiligt. In der Zwischenzeit liegt zudem umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu Herrmann vor. Ihr Name findet sich in einer ganzen Reihe von Nachschlagewerken zur Geschichte Baden-Württembergs, zur Geschichte des Widerstandes im Südwesten wie auch zu starken Frauenpersönlichkeiten der Region.

Text: Michael Kitzing
Schlagwort: Stuttgart-West
Literaturhinweise:

Willi Bohn, „Hochverräter!“, Frankfurt am Main 1984, S. 92-103.
Ditte Clemens, Schweigen über Lilo. Die Geschichte der Liselotte Herrmann, Rostock 2002.
Paul Dessau, Lilo Herrmann. Ein biographisches Poem von Friedrich Wolf, Melodram, Berlin-Ost 1977.
Eberhard Görner, Gebt frei die Liesel Herrmann! Eine Erinnerungsreportage zum 50. Todestag von Lilo Herrmann, Stuttgart 1988.
Gabriele Katz, Liselotte Herrmann, in: Gabriele Katz, Stuttgarts starke Frauen, Darmstadt 2015, S. 174-184.
Lothar Letsche (Bearb.), Lilo Herrmann, eine Stuttgarter Widerstandskämpferin, 2. Aufl. Stuttgart 1993.
Lothar Letsche, Herrmann, Minna Pauline Liselotte (Lilo), Widerstandskämpferin: 23.6.1909 Berlin-20.6.1938 Berlin (Plötzensee), in: Württembergische Biographien, Bd. 1, Stuttgart 2006, S. 106-108.
Lothar Letsche, Liselotte (Lilo) Herrmann (1909-1938) – eine Stuttgarter Kommunistin gegen Aufrüstung und Krieg, in: Angela Borgstedt/Sibylle Thelen/Reinhold Weber (Hg.), Mut bewiesen: Widerstandsbiographien aus dem Südwesten, Stuttgart 2017, S. 81-90.
Roland Müller, Stuttgart in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1988.
Karl Schweizer, Arbeiter im Widerstand – das antifaschistische Netzwerk um Stefan Lovász, Josef Steidle, Artur Göritz und Lilo Herrmann, in: Friedrichshafener Jahrbuch für Geschichte und Kultur 5 (2013), S. 58-91.

GND-Identifier: 118549987
Publiziert am: 02.03.2023
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Liselotte "Lilo" Herrmann (1909-1938), publiziert am 02.03.2023 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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