Die katholische Stadtpfarrkirche St. Eberhard, seit 1978 Konkathedrale des Bistums Rottenburg-Stuttgart, war im 19. Jahrhundert auch Hof- und katholische Garnisonskirche. Sie hat eine bewegte Vorgeschichte auf der Solitude Herzog Carl Eugens im 18. Jahrhundert.

Auf dem Areal der 1763 begonnenen Solitude wurde 1769 der Schlossausbau fertiggestellt, gleichzeitig entstanden die Orangeriegebäude, die u.a. die Wohnung der Familie Kaspar Schillers beherbergten, und „äußere Pavillons” um den Monumentplatz. Dessen Mittelpunkt, das zwei Jahre später errichtete Reiterstandbild Karl Eugens aus vergoldetem Gips über Eisen-Kupfer-Kern (1812 eingestürzt) von Nicolas Guibal, gab auf monumentalem Sockel dem Platz den Namen. Dahinter stand einst eine Prachtfassade mit korinthischen Steinsäulen, einer von mehreren Schloss-Nebenbauten, der mit seiner Gliederung an den Mitteltrakt der Ecole Militaire in Paris erinnerte. Als Entwerfer der Fassade, die als einziger Quaderbau inmitten von Fachwerk-Nachbarn zu einer (nie fertiggestellten) Kirche bzw. einem Reithaus gehört hat, gilt Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer. Heute sind vom Monumentplatz nur noch bescheidene Reste zu sehen: Das Graevenitzhaus (Solitude 24 mit Mansarddach) für das herzogliche Gefolge an der Hauptzufahrt (Kastanienallee) und schräg gegenüber in der Pferdekoppel das letzte Stallgebäude (Solitude 28 mit Walmdach) können die Randbebauung des quadratischen Platzes andeuten, wie zeitgenössische Pläne zeigen. Der Entwurf einer großen „Evangel. Lutherischen Hof-Staats Kirche” von Landoberbauinspektor Johann Adam Groß d. J. 1769 mit Zweiturmfassade, die nicht realisiert wurde, weist auf eine ursprünglich andere Bestimmung des Gebäudes mit der Prachtfassade, der später sogenannten Solitude-‚Kirche‘ hin.

Eine evangelische Kirche sei, von der Solitude in die Königstraße versetzt, zur katholischen Kirche „übergetreten“, ohne mittelalterlich-katholische Stile zu imitieren, wurde später kolportiert. Mit Ausnahme der Fassade und des kleinen Uhrturms war aber für Stuttgart ein viel kürzerer Bau vorgesehen, als auf den Lageplänen der Solitude verzeichnet ist. Drei Pläne, undatiert und unsigniert, nachträglich Johann Jakob Morff 1773 zugeschrieben, zeigen einen fast quadratischen Bau mit einer Fassade wie St. Eberhard und innen umlaufender Galerie (Treppe außen!), der als Reithaus bezeichnet wurde und der Vorgänger der geplanten, aber nie begonnenen Neuen Reitschule neben dem halbfertigen Marstall war. Zeitweilig evangelisches Kirchen-, dann Akademieprovisorium war dieses Neubau-Fragment mit hölzernem Uhrturm über einer Steinfassade, rund 20 Jahre ohne, dann 18 Jahre mit Dach zunächst nur Architektur-Kulisse für das Reitermonument Karl Eugens bis zur Translozierung in die Königstraße.
     
Wie kam es zum Bau der ersten katholischen Kirche in Stuttgart nach der Reformation? Erst seit 1798 waren offiziell in den Residenzstädten Ludwigsburg und Stuttgart katholische Bethäuser ohne kirchenähnliche äußere Gestalt erlaubt. Mit dem Religionsedikt von 1806 stellte der König die römisch-katholische und die reformierte Konfession der evangelisch-lutherischen, d.h. der bisher in Altwürttemberg alleinigen Staatskirche, gleich. Der Anstieg des Stuttgarter katholischen Bevölkerungsteils durch Zuzug aus den neuerworbenen Landesteilen sowie dem Militär war Anlass, um Abhilfe bei den bisher eher provisorischen Einrichtungen für den Gottesdienst zu bitten. Der König wollte damals parallel zur Schlossgartenplanung die untere Königstraße begradigt und mit repräsentativen Bauten aufgewertet wissen. Vom 30. Oktober 1807 stammt sein erstes Dekret zur Translozierung eines überflüssig gewordenen Bauwerks als Kirche. Nach Nennung des reservierten herrschaftlichen Bauplatzes, der Termine und der Anforderung eines Kostenanschlags sollte, vom Hofbaudepartement redigiert, Vorlage beim König erfolgen, der dann persönlich mit detailliertem Kommentar Anweisungen erteilte. Die Wünsche des Katholischen Geistlichen Rats nach Vergrößerung und Korrekturen der künftigen Ausstattung hätten die Wiederaufbausumme von 16.850 Gulden fast verdoppelt; sie wurden abgelehnt. Die Endabrechnung ergab dann das Dreifache.
     
Abbruch und Transport von Marstall und ‚Kirche‘ der Solitude erfolgten bis Oktober 1808 mit 13 Gespannen über eine Strecke von rund neun Kilometern, zwar größtenteils bergab, aber bei den damaligen Straßenverhältnissen sicher gefahrvoll und mühsam. Der logistische Aufwand mag groß gewesen sein: Die Quader einzeln zu nummerieren, sorgfältig abzubauen, zu transportieren, zu lagern und schließlich wieder solide aufzuführen war kein Alltagsgeschäft.
     
Am 7. September 1808 wurde der Grundstein gelegt – wie vom König gewünscht ohne öffentliches Aufsehen. Der Stein wurde 1953 bei Baggerarbeiten zum Fundamentaushub für die neue Eberhardskirche gefunden und wieder eingemauert. Beigegeben war eine Kupferplatte mit Fassade und Grundriss sowie der Dedikationsinschrift: „FRJDERJCH usw. hat diesen Tempel neu erbaut und der Gottesverehrung der catholischen Einwohner in Stuttgart geweiht im Jahre MDCCCVIII.“ Der Baumeister Carl Uber musste schon bald danach seine Entlassung hinnehmen. Grund dafür waren Schludrigkeiten beim gleichzeitig errichteten Marstallbau, zu geringer Nachdruck bei der Abwicklung des Bauwesens – fünf Meister streikten, d.h. sie waren wegen ausbleibender Zahlungen den Baustellen ferngeblieben –, sowie zögerliche Baukostenkontrollen. Seine Anfragen nach Geld für den Lohn der ihm unterstellten Handwerker und Taglöhner wirken auf den heutigen Leser sympathisch. Aber „aus dem Gehorsam treten“ war gefährlich und angelastet wurde es dem unmittelbar Vorgesetzten, nicht der zahlungsunfähigen Baubehörde oder gar dem Auftraggeber. Uber wurde nach Ermittlungen einer Untersuchungskommission aller Ämter enthoben, mit Stadtarrest belegt und musste sich an den Verfahrenskosten beteiligen. Seine (teilweise) Rehabilitierung gelang ihm erst 1818, bald nach Regierungsantritt König Wilhelms I.
  
Sein Nachfolger Nikolaus Thouret hatte eine Art Ausnahmestellung und verstand es rasch auf Forderungen des Königs zu reagieren. Er erfreute sich seiner Protektion mit dem Ruf eines im Klassizismus erfahrenen Hofbaumeisters. Allerdings war die Eberhardskirche im Rohbau schon weit fortgeschritten und Änderungen waren deshalb nur bedingt möglich. Es konnte noch der Altarraum mit einer großen Apsis erweitert und die dünnen Emporenpfeiler des Langhauses durch stattliche Säulenreihen mit ionischen Stuckkapitellen ersetzt werden, was mit der kassettierten Tonnenwölbung ein anspruchsvolleres Inneres ergab als der zunächst geplante karge Kastenraum. Zum feierlich-strengen Tempelcharakter trug die Ausmalung ganz in weißer Leimfarbe bei. Die vom König zunächst abgelehnte oder zumindest nur im Erdgeschoß vorgesehene „Tribune“ wurde nun doch im zweiten Emporenjoch eingerichtet, der „Fürstenstand“ für den Hofstaat auf der Süd- und die „Gesandtenloge“ für das diplomatische Corps auf der Nordseite – alles sehr zurückhaltend, dennoch dem Bau einen Hauch von Hofkirche verleihend.

Thouret war auch verantwortlich für die Ausstattung, die kostengünstig aus aufgehobenem Klostergut stammen sollte. Den Hochaltar mit Dreifaltigkeitsgemälde sowie die Kanzel durfte Thouret neu entwerfen. Letztere fand entgegen dem früheren Verdikt Friedrichs („ist gegen den katholischen Ritus“) über dem Seitenaltar der Evangelienseite Platz und war damit rein zufällig einer von nur drei ‚katholischen‘ Kanzelaltären in Deutschland. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstand durch Glasmalereien, Chorausmalung und neue Altarbilder eine buntere, volksfromme Stimmung. Dass der Sakralraum besonders an Festtagen viel zu klein war und ein größerer gefordert wurde, fand Gehör bei König Wilhelm II., der 1910 den Abbruch der bestehenden Kirche genehmigte, weshalb sie auch nicht ins Landesverzeichnis der Baudenkmale aufgenommen wurde. Statt Abbruch und Neubau erfolgte 1933 nur eine Vergrößerung des Chorraums durch Hugo Schlösser. Alles ging bei zwei Bombenangriffen 1944 durch Brand- bzw. Sprengbomben unter.

Der heutige Bau wurde 1953/55 durch Hugo Schlösser am alten Ort errichtet. Die sparsam gegliederte Sandsteinfassade setzt zwischen Büro- und Geschäftshäusern der Königstraße einen merkbaren Kirchenakzent. Das Innere, in den 1990er Jahren renoviert, ist bestimmt von den Emporen der Seitenschiffe, ein im katholischen Kultus seltenes Motiv, das dem Vorgängerbau geschuldet ist. Dominant das Mosaik der Altarwand (Christus des Weltgerichts, Otto Habel 1961) bei sonst zurückhaltender Ausstattung, eine Kirche als Ruhepunkt in der City, die private Einkehr wie große Liturgie ermöglicht. Alt-St. Eberhard war über 130 Jahre als herausragender Bau des Klassizismus die Hauptkirche der Katholiken in der Residenz- und Landeshauptstadt. Ihr Untergang im Zweiten Weltkrieg sollte als Mahnung auch in Zukunft nicht vergessen werden.

Text: Richard Strobel
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Adolf Brinzinger, Die katholische Stadtpfarrkirche St. Eberhard in Stuttgart, Stuttgart 1911.
Egon Hopfenzitz (Hg.), Kirche im Herzen der Stadt, Ostfildern 2006.
Georg Ott, Zur Baugeschichte der St. Eberhardskirche in Stuttgart, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 6 (1987), S. 195-220.
Richard Strobel, St. Eberhard in Stuttgart und seine Translozierung von der Solitude 1808, in: ZWLG 67 (2008), S. 249-312.

GND-Identifier: 943293995
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Richard Strobel, Domkirche St. Eberhard, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7047a9a0-e6bd-451a-b218-ad53afc9c542/Domkirche_St._Eberhard.html