Der in der Weimarer Republik begonnene Bau der Siedlung Steinhaldenfeld, die vor allem sozial Schwachen Wohneigentum ermöglichen sollte, wurde ab 1933 fortgeführt, aber auch für propagandistische Zwecke missbraucht. Diese Siedlung, die im Zweiten Weltkrieg erhebliche Schäden davontrug, besteht in veränderter Form bis heute fort.

Im Ortsteil Steinhaldenfeld des heutigen Stadtbezirks Bad Cannstatt befindet sich die erste Stadtrandsiedlung, die in der Landeshauptstadt errichtet wurde. Baubeginn war der 25. Januar 1932. Am 24. Februar beschloss der Stuttgarter Stadtrat, dort 128 Siedlerstellen in Erbpacht zu vergeben, um die sich bald 500 Menschen bewarben. Zusammen mit Reisach im Stadtteil Weilimdorf mit 100 Siedlerstellen bildete Steinhaldenfeld zugleich ein anschauliches Beispiel für das damalige Konzept der sogenannten Reichskleinsiedlungen. Der Plan für solche Siedlungen war 1931 in der Weimarer Republik entwickelt worden, um der zunehmenden Wohnungsnot zu begegnen. Aufgrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise war seit 1932 die Investorentätigkeit bei großen Mietshausbauprojekten stark zurückgegangen. Nun sollten 48 Millionen Reichsmark für den „Bau von vorstädtischen Kleinsiedlungen für Erwerbslose“ die Situation entspannen und vor allem den Arbeitslosen helfen.

Mit den Bauarbeiten für die neuen Siedlungen wurde – wie im Fall Steinhaldenfelds – sehr zügig begonnen. Fertiggestellt wurden die meisten Projekte, darunter auch das in Steinhaldenfeld, jedoch erst, nachdem Hitler an die Macht gekommen war. Die Nationalsozialisten nahmen diesen Umstand als willkommene Gelegenheit, sich nach früherer heftiger Opposition an diesen Plänen nun lobend über den Gedanken der Reichskleinsiedlungen zu äußern, dem erst sie zum Durchbruch verholfen hätten.

Bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gab es in München bereits drei dieser Reichskleinsiedlungen, die als Muster für weitere Bauvorhaben dieser Art in ganz Deutschland dienen sollten. Das zugrunde liegende Konzept eignete sich dazu, mit der NS-Wohnungsbauideologie verbunden zu werden, die sich traditionell gegen die „Massenquartiere“ der Großstädte richtete und „Kleinhäuser“ propagierte. Außerhalb der Stadt auf eigenem Grund und Boden sollten die Menschen von den in den Augen der Nationalsozialisten schädlichen Einflüssen der Metropolen abgeschirmt werden. Zu diesen Einflüssen zählten vor allem die vielfältigen politischen und kulturellen Strömungen der Moderne.

Auch der beschäftigungspolitische Effekt des Kleinsiedlungsprogramms wurde von den Nationalsozialisten geschätzt – ähnlich wie bei den Reichsautobahnen. Arbeitslose sollten auf diese Weise wieder Arbeit bekommen und wie andere Einkommensschwache die Möglichkeit erhalten, ein Eigenheim zu erlangen. Eigenleistung war zwingend vorgeschrieben: Die ersten Münchener Siedler mussten beispielsweise etwa 2.000 bis 3.000 Stunden beim Bau der Häuser erbringen, aber auch zur Straßenherstellung und Erschließung beitragen. Am Stuttgarter Steinhaldenfeld arbeiteten die Siedler, die von karitativen Verbänden aus den 500 Bewerbern ausgesucht worden waren, für einen Stundenlohn von 50 Pfennig. Der Anmarsch zur Arbeitsstelle erfolgte zu Fuß, Verpflegung gab es nicht, die Arbeiter mussten sich von zu Hause etwas mitbringen. Wer dreimal unentschuldigt beim Arbeitseinsatz fehlte, musste damit rechnen, seine Anwartschaft auf ein Eigenheim zu verlieren.

Da es sich bei den Neusiedlern aber in der Regel um Arbeitslose und Kurzarbeiter handelte, sahen sie eine große Zukunftschance in ihrer Tätigkeit. Eines der ersten der insgesamt 65 Häuser kostete rund 8.000 Reichsmark, die meist mittels Darlehen von Reich und Kommune aufgebracht wurden. Eine andere Verwendung für das Gebiet gab es übrigens kaum: Aufgrund seines steinigen Untergrunds war Steinhaldenfeld unbrauchbar für eine gewerbsmäßige Landwirtschaft und wurde mundartlich deshalb „Stoiknittel“ genannt. Als Trägerin des Siedlungskerns in Steinhaldenfeld fungierte die eigens zu diesem Zweck 1931 gegründete Schwäbische Siedlungsgemeinschaft. Sie betreute auch die später entstandene sogenannte Privatsiedlung Steinhaldenfeld. Hier konnten Leute bauen, die über ein festes Einkommen verfügten, und 3.000 Reichsmark – 50 % des Gesamtpreises eines Hauses – aufzubringen vermochten. Sie erwarben dafür auch den dazugehörigen Grund und Boden. Am Bau weiterer Siedlerstellen für Arbeitslose beteiligten sich später zusätzlich der „Bau- und Heimstättenverein“ sowie der „Christliche Notbund“.

Ausgelegt waren die künftigen Eigenheime für die Erwerbslosen von Anfang an so, dass die Haltung von Kleintieren und der Anbau von Gemüse nicht nur möglich, sondern sogar ausdrücklich erwünscht war. Ihre Bewohner sollten sich dadurch in Notzeiten auf Selbstversorgung bei bestimmten Nahrungsmitteln stützen können. Somit eignete sich dieses Programm auch für die gesellschaftspolitische Ideologie der Nationalsozialisten: In den neuen Siedlungen sollten sozial befriedete und damit regimetreue Volksgenossen leben. Diese tiefergehende Absicht der Nationalsozialisten offenbarte sich beispielhaft auch in Steinhaldenfeld, wo festgelegt worden war, dass seinen Vertrag zurückzugeben habe, wer sich dafür als ungeeignet oder unwürdig – aus welchen Gründen bleibt offen – erweise.

Einen Wendepunkt erreichte das Kleinsiedlungsprogramm 1935. Anlass dafür gab die veränderte ökonomische Situation. Angesichts des Hochlaufs der Rüstungskonjunktur sowie der Einführung von Wehr- und Arbeitsdienst wurde der beschäftigungspolitische Effekt des Siedlungsbaus nach und nach uninteressant. Adressaten für das Programm waren nun nicht mehr Erwerbslose, sondern Industriearbeiter. Als erster Schritt wurde deshalb die Finanzierung der Kleinsiedlungen auf eine neue Basis gestellt. Bis dahin waren diese Siedlungen die nahezu einzige Form des Wohnungsneubaus gewesen, für die noch größere Summen an öffentlichen Mitteln bereitgestellt worden waren. Im sogenannten Ablösungserlass des Reichsarbeitsministers vom 12. Februar 1935 wurden nun die Reichsdarlehen für neue Siedlungsvorhaben auf 1.000 Reichsmark je Stelle begrenzt. Die Mittel für die neuen Darlehen sollten über die teilweise oder vollständige Ablösung bisher gewährter Reichsdarlehen aufgebracht werden. Um diese Ablösung mussten sich allerdings die Siedlungsträger, Gemeinden und Wohnungsunternehmen, selbst kümmern, wohingegen sich das Reich auf die Rolle als Bürge zurückzog. Der Effekt: Das notwendige Kapital für Kleinsiedlungsprogramme stieg und die Zahl der Siedlerstellen ging reichsweit zurück.

Bis 1935 war Steinhaldenfeld nacheinander mit einer eigenen Schule, einem Kindergarten, einer evangelischen und einer katholischen Kirche und einem Volksheim für die Vereine sowie einem Haus für die NSDAP ausgestattet worden. Finanziert wurden diese Bauten größtenteils mit staatlichen Mitteln, nicht nur, weil die nationalsozialistische Stadtführung den propagandistischen Wert der Siedlung erkannt hatte, sondern vor allem aus sachlichen Notwendigkeiten. Dass die Stadtrandlage auch Erschwernisse mit sich brachte, musste sogar der Vertreter der Stadt bei der Inbetriebnahme des Schulhauses zugeben, wenn er betonte, dass in dieser Lage zwangsläufig großstädtische Einrichtungen fehlen mussten. Vor dem Bau einer eigenen Schule am Ort hatten die Steinhaldenfelder Kinder einen Weg von vier Kilometern einfach zurückzulegen gehabt. Die Infrastruktur mit Läden, Handwerkern und Dorfgaststätte wuchs schließlich parallel zu der größer werdenden Bevölkerung, wenn auch die gleichgeschaltete Presse schon zuvor von buntem Leben auf den Straßen gesprochen hatte.

Zum durchschlagenden Erfolgsrezept wurde das Kleinsiedlungsprogramm in der NS-Zeit trotzdem nicht: Zwischen 1933 und 1939 entstanden dadurch 147.500 Kleinsiedlerstellen im Deutschen Reich (ohne Österreich) – was lediglich 7,5 % des gesamten Zuwachses bei den Wohnungen entsprach. Auch in Stuttgart war der Beitrag des Programms zur Linderung der Wohnungsnot dementsprechend überschaubar: In Steinhaldenfeld wurden 411 Stellen geschaffen. In den anderen Siedlungsprojekten wie Hoffeld bestanden zuletzt 151 Stellen, wobei 145 allerdings schon während der Weimarer Republik gebaut worden waren, in Neuwirtshaus bestanden 976 Stellen, und in Weilimdorf 100. Der Bedarf für Wohnraum am Neckar blieb jedoch immer gleich hoch: In dem Industriezentrum Stuttgart, das ständig neue Fachkräfte anzog, kamen in diesen Jahren etwa 50 Bewerber auf eine Wohnung.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Steinhaldenfeld, das zwischen 1943 und 1945 durch Luftangriffe größtenteils zerstört worden war, wiederaufgebaut. In diesem Zuge wurde das Viertel auch besser erschlossen und ausgebaut: 1948 bekam der Stadtteil eine Busanbindung, 1952 entstanden die ersten Wohnblöcke mit Ladenstraße und Arztpraxen, 1971 entstand eine Turn- und Versammlungshalle. Bis 1961 hatte die Bebauung bereits die Grenze zu Schmiden erreicht. Bis Ende der 1970er Jahre überschattete jedoch ein heftiger Streit zwischen Stadt und Siedlern das Klima. Die Stadt forderte einen höheren Zins für die alten Erbbauverträge, die Siedler wollten dafür eine Verlängerung ihrer Verträge bis 1995. Da in dieser Zeit keine Um- und Ausbauten der betroffenen Häuser gestattet wurden, zogen zahlreiche Bewohner weg und die Bevölkerung von Steinhaldenfeld halbierte sich fast: Sie sank von rund 6.000 Menschen auf etwa 3.500. Erst 1979 wurde ein Kompromiss gefunden und die Laufzeit der Erbbauverträge wurde bis 2040 verlängert.

Text: Peter Poguntke
Schlagwort: Stuttgart-Bad Cannstatt
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart Zeitungsausschnittsammlung N 6.51 Steinhaldenfeld.

Literaturhinweise:

Ulrike Haerendel, Wohnungspolitik im Nationalsozialismus, in: Sozialreform 45 (1999), Heft 10, S. 843-879, hier S. 843.
Roland Müller, Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1988.

Publiziert am: 30.07.2019
Empfohlene Zitierweise:
Peter Poguntke, Siedlung Steinhaldenfeld, publiziert am 30.07.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7f067c40-9eab-427c-be1f-ce55d66c3d68/Siedlung_Steinhaldenfeld.html