Auf dem Gebiet des früheren Degerlocher Exerzierplatzes entwickelte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts eines der wichtigsten Stuttgarter Sportfelder, das Heimat der Stuttgarter Kickers und zahlreicher anderer Vereine wurde.

Als räumliche Einheit definiert wurde die spätere Waldau Ende der 1860er Jahre, als die Württembergische Armee mit der Anlage eines Exerzierplatzes im Stuttgarter Armenkastenwald zwischen den Straßen von Degerloch nach Ruit und nach Kleinhohenheim (heute Königsträßle und Kirchheimer Straße) begann. Dieses Areal erwies sich für raumgreifende Manöver jedoch schon bald als zu klein. Daher erfolgte 1892 die Auflösung des bestehenden Pachtvertrags mit der Stadt Stuttgart. Durch die militärische Vornutzung war das nunmehr gerodete Gelände prädestiniert für Ausflugs- und Erholungsaktivitäten, die schon zuvor etwa in Form von Waldfesten verschiedener Stuttgarter Vereine stattgefunden hatten. Befördert wurde die Entwicklung noch durch den Wandel Degerlochs, das sich im späten 19. Jahrhunderts mit seinem östlichen Villenviertel zu einem exklusiven Wohnort und zugleich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelte. Dies kam in der Eröffnung von Gartenlokalen ebenso zum Ausdruck wie in der Anlage von Spazierwegen und der Herausgabe von Wanderkarten. Der Degerlocher Ziegeleibesitzer Karl Kühner schuf mit seinem direkt an einer Haltestelle der seit 1884 verkehrenden Zahnradbahn gelegenen Aussichtsturm, der sich rasch zu einem beliebten Postkartenmotiv entwickelte, das Symbol dieser Entwicklung. Hintergrund war die für das späte Kaiserreich typische Herausbildung einer urbanen Freizeitkultur mit dem zugehörigen Konsumverhalten, an der sich nun auch breitere Schichten beteiligen konnten. Leibesübungen, Sport und Hygiene waren Teil dieses kulturellen Wandels, was auch die Gründung von solchen Zwecken gewidmeten Vereinen nach sich zog. Diese vermehrten sich in Stuttgart insbesondere im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und nahmen die Möglichkeit, auf dem früheren Degerlocher Militärgelände Grundstücke für ihre Zwecke zu pachten, gerne an.

Die beiden ersten Vereine, die sich auf der Waldau dauerhaft niederließen, waren 1904 der Luftbad-Verein und 1905 die Stuttgarter Kickers. Beide verkörperten auf ihre Art das Neuartige in der Bewegungs- und Körperkultur der Zeit: Während die zuvor am Stöckach ansässigen Kickers sich dem englischen Rasensport, genauer gesagt dem Fußball widmeten und hierfür Platz benötigten, schuf sich das Luftbad als Teil der Lebensreformbewegung Raum für die von ihm praktizierte Freikörperkultur. Unter den Vereinen, die es in den folgenden Jahren auf die Waldau zog, waren noch weitere Vertreter der neuen englischen Sportbewegung, die sich ähnlich wie die Kickers erst kurz zuvor gegründet hatten, so die Stuttgarter Sportfreunde 1896, der Sportverein Eintracht 1896 und der Rasensportverein Wacker. Die landschaftlich reizvolle Umgebung und die gute Luft brachten darüber hinaus traditionelle Turnvereine wie den Turnerbund Stuttgart und den Heslacher Turnverein Karlsvorstadt dazu, auf der Waldau Plätze zu pachten, obwohl sie diese nicht unbedingt für ihren eigentlichen Übungsbetrieb benötigten. Hierbei spielten auch Aspekte der Geselligkeit eine Rolle, Vereinsfeste belebten die Anlagen ebenso wie die sportlichen Wettkämpfe, die neben den eigenen Mitgliedern auch zunehmend ein größeres Publikum anzogen. 1914 waren 13 Vereine auf der Waldau präsent, 1925 bereits über 20, womit das Areal nach dem Cannstatter Wasen das zweitgrößte Sportfeld im Stuttgarter Stadtgebiet darstellte. Sie repräsentierten ein breites soziales Spektrum der Stadtgesellschaft: Traditionelle bürgerliche Vereine fanden sich hier ebenso wie die der Arbeiterbewegung verpflichtete Freie Turnerschaft, konfessionell gebundene Vereine wie die Deutsche Jugendkraft oder Pioniere des Betriebssports wie der Beamtenturnerbund des Allgemeinen Deutschen Versicherungsvereins, Vorläufer des heutigen TSV Georgii Allianz e.V.

Neben den Plätzen selbst prägten zunehmend auch Gebäude der einzelnen Vereine die Waldau. Diese wurden, nachdem man sich anfangs mit kleinen Hütten und Unterständen beholfen hatte, bald größer und repräsentativer gestaltet. So hatte bereits die 1912 beantragte „Spielplatzhütte“ des Stuttgarter Turnvereins bei einer Länge von über 33 Metern nach Geschlechtern getrennte Umkleiden, einen integrierten Turnsaal und ein Gesellschaftszimmer. Andere Vereine schufen sich, auch durch intensiven Arbeitseinsatz der Mitglieder, ähnlich großzügige Bauten. Ebenso wurde die Infrastruktur schrittweise verbessert. Bei der Trinkwasserversorgung, die anfangs nur durch einzelne Brunnen sichergestellt war, kooperierten die Vereine bis in die 1920er Jahre durch den Bau gemeinsamer Privatleitungen, in ähnlicher Weise geschah dies später bei der Gasversorgung.

Die Ausweitung von Sport- und Freizeitbetrieb wurde auch durch die Verkehrsanbindung der Waldau möglich. Neben der Zahnradbahn fuhr seit 1904 eine Straßenbahn auf der Neuen Weinsteige und hielt an der Haltestelle „Hohenwaldau“. Anfang der 1930er Jahre erreichte dann die Straßenbahnlinie 10 die Ruhbank. Die Sportstätten selbst erhielten durch den Bau einer Stichbahn, die über den Georgiiweg zu einer Wendeschleife am Königsträßle führte, vorübergehend eine direkte Schienenanbindung, die bis zum Zweiten Weltkrieg bestand. Dieser Zustand wurde erst wieder mit der Eröffnung der U-Bahnhaltestelle Waldau in den 1990er Jahren erreicht.

Neben den Sportplätzen prägen eine Reihe besonderer Gebäude und Einrichtungen das Bild der Waldau. Dabei kann das Stadion der Stuttgarter Kickers auf eine über 100-jährige Tradition zurückblicken. Bereits 1910 errichtete der Verein auf seinem Sportplatz eine Tribüne für 600 Zuschauer. Ein Jahr später war hier der Schauplatz eines der ersten Fußballländerspiele Deutschlands, ausgetragen gegen die Schweiz. 1913 wurde eine noch größere Tribüne errichtet, die der ersten Tribüne des Highbury Stadium in London in verkleinerter Form nachempfunden war. Diese historische Holzbühne wurde 1978 abgerissen und durch einen modernen Bau ersetzt.

Eislauf wurde auf der Waldau von Beginn an betrieben. Schon im Jahr 1901 hatte sich ein Komitee, 1903 dann ein erster Verein gegründet, der sich laut Satzung der „Pflege der Eislaufbelustigung“ widmete und in Eigenarbeit eine Eisbahn anlegte. Mit der Gründung des Tennis- und Eislaufclubs Waldau 1918 wurde das Eislaufen als Sport etabliert. Kern der heutigen Eiswelt Stuttgart war eine 1961 angelegte vereinseigene Freiluftbahn, die ein Jahr später von der Stadt übernommen und 1977 überdacht wurde.

Ab 1939 unterhielt die Stuttgarter Straßenbahnen AG bzw. ein hierfür gegründeter Verein ein Waldheim am heutigen Friedrich-Strobel-Weg, nachdem ein älteres Heim auf dem Killesberg aufgegeben werden musste. Dies war der Ursprung des heutigen SSB-Veranstaltungszentrums Waldaupark. Das großzügig gestaltete Gebäude spielte nach dem Krieg im Stuttgarter Kulturleben vorübergehend eine wichtige Rolle, weil sein unzerstörter Saal 1.250 Personen Platz bot. 1988 wurde er abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Als letzter noch freier Bereich der Waldau wurde das südwestliche Teilareal im Winkel zwischen Georgiiweg und Königsträßle für den Sportbetrieb nutzbar gemacht, da hier zunächst eine städtische Baumschule angelegt worden war. Deren schrittweise Verlegung zugunsten weiterer Sportanlagen wurde schon 1955 ins Auge gefasst. Äußerer Anstoß war der Bau des Fernsehturms und die damit verbundene Schaffung von Parkraum in dessen unmittelbarer Nähe. Die daraus resultierenden Raumverluste zulasten der Vereine sollten mit der neuen Sportplatzanlage „Baumschule“, der späteren Bezirkssportanlage, kompensiert werden. Am südlichen Rand des Areals wurde gewissermaßen der Schlussstein für die Entwicklung der Waldau in ihrer heutigen Form gesetzt: 2005 eröffneten die beiden Sektionen Schwaben und Stuttgart des Deutschen Alpenvereins hier ihr gemeinsames Kletterzentrum, eine der größten Anlagen ihrer Art in Deutschland.

Text: Jürgen Lotterer
Schlagwort: Stuttgart-Degerloch
Literaturhinweise:

Jürgen Lotterer, Die Waldau. Ein Stuttgarter Sportfeld als Spiegel der Großstadtgesellschaft, in: Martin Furtwängler/Christiane Pfanz-Sponagel/Martin Ehlers (Hg.), Nicht nur Sieg und Niederlage. Sport im deutschen Südwesten im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2011, S. 111-122.
Wacker, Pfeil, Delphin, Gut Heil. Stuttgarter Großstadtsport 1860–1960, hg. vom Stadtarchiv Stuttgart, Stuttgart 2007.

Publiziert am: 11.10.2023
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Lotterer, Sport- und Erholungsgebiet Waldau, publiziert am 11.10.2023 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/97b9e9c3-5f9f-4b0d-93c3-7395c8a0515b/Sport-_und_Erholungsgebiet.html