Der Schwabtunnel ist nicht nur ein interessantes historisches Bauwerk, sondern in ihm verdichtet sich auch Stuttgarter Stadt- und Stadtverkehrsgeschichte. Seine Entstehung war mit der Expansion der württembergischen Hauptstadt in der Ära der industriellen Hochkonjunktur seit den 1890er Jahren verknüpft und seine weitere Geschichte veranschaulicht verschiedene Etappen der Stadtentwicklung im 20. und 21. Jahrhundert. Stuttgart entwickelte sich dabei von einer Straßenbahnstadt zu einer ökonomisch, sozial und kulturell stark vom Automobil geprägten Kommune, was auch am Schwabtunnel nicht spurlos vorüberging. Angesichts seiner historischen Relevanz und aktuellen Bedeutung ist es bedauerlich, dass es kaum historische Quellen zu Bau und Nutzung sowie nur wenig Literatur zur Geschichte des Tunnels gibt.
Stuttgarts Bevölkerungsanstieg im 19. Jahrhundert (von etwa 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Jahr 1850 auf knapp 170.000 im Jahr 1900) ging mit einem raschen Flächenwachstum einher. In ihrem Südwesten umschloss die Stadt bald den wie ein Sporn in den Stadtkessel hineinragenden Hasenberg. Nördlich des Hasenberges entstand die „Obere Stadt“, also das heutige Stuttgart-West, südlich die Karlsvorstadt, das heutige Heslach. Mit dem Wachstum der Stadt war ein Prozess der funktionalen und sozialen Differenzierung verbunden, in dessen Verlauf sich der Stuttgarter Westen zu einem Mischgebiet mit (Hinterhof-)Industrie, Gewerbe und (klein-)bürgerlicher Wohnbevölkerung entwickelte. Die Bewohnerinnen und Bewohner Heslachs hingegen gehörten überwiegend der Arbeiterschaft an. Nicht zuletzt diese Unterschiede ließen die Verkehrsströme zwischen beiden Stadtgebieten steigen, wobei es sich zunächst überwiegend um Fußgängerverkehr handelte, der über den Hasenberg hinweg oder um diesen herum abgewickelt wurde.
Im Oktober 1894 beschloss der Stuttgarter Gemeinderat den Bau eines Tunnels, der die beiden prosperierenden Stadtteile direkt miteinander verbinden sollte. Der Entwurf des neuen Tunnels ging auf den damaligen Stadtbaurat Karl Kölle (1857-1927) zurück, der die Abmessungen des Bauwerks von Anfang an so festlegte, dass zwei Fußwege, zwei Fahrbahnen sowie mittig ein Straßenbahngleis durch den Tunnel geführt werden konnten. Später nahm der Tunnel sogar zwei Straßenbahn-Richtungsgleise auf. Bei einer Länge von 125 Metern beträgt die lichte Weite des Tunnels 10,5 Meter, seine lichte Höhe in der Mitte des Bauwerkes 6,5 Meter, an den Tunnelmündern jeweils 8 respektive 8,5 Meter. Der Tunnel weitet sich also zu beiden Seiten hin konisch auf, was seiner besseren Belichtung und Belüftung dient.
Gebaut wurde der Tunnel in der sogenannten „englischen Tunnelbauweise“, d.h. zunächst wurde ein Sohlenstollen durch den Hasenberg getrieben, von dem aus Aufbrüche nach oben bis zur Höhe der zukünftigen Tunneldecke ausgeführt wurden. Von diesen aus konnte ein Firststollen vorangetrieben werden, der anschließend zu beiden Seiten und dann nach unten erweitert wurde. Es folgte abschließend eine Ausmauerung des Tunnelquerschnitts mit Backsteinen, die den zunächst erfolgten Holzausbau ersetzte.
Mit der Gestaltung des nördlichen und südlichen Tunnelmundes wurde der Stuttgarter Bildhauer Theodor Bausch (1848-1925) beauftragt. Die Tunnelausgänge werden jeweils beidseitig von Treppenaufgängen flankiert. Charakteristisch ist die Ausführung in der Kombination aus gelbem Sandstein (u.a. Arkadenbögen der Treppenanlage), rötlichem Buntsandstein (u.a. Treppenpfeiler, Tunnelbögen, Bildhauerarbeiten) und Granit (Füllmauerwerk der Arkadenbögen, Stützmauern, Treppenstufen). Eindrucksvolle Löwenköpfe schmücken die Schlusssteine der beiden Tunnelbögen. Auf der Nordseite gen Stuttgart-West ist darüber ein kleiner Balkon angebracht, auf dessen Brüstung in einer Kartusche das Stuttgarter Stadtwappen prangt. Das Rössle findet sich etwas kleiner auch über dem Tunnelmund auf der Heslacher Seite, wobei es dort von einer Handwerkerfigur links sowie einer Muse mit Weinrebe rechts flankiert wird. Gewerbe und Sinnenfreude, Fleiß und Wein symbolisieren hier die Stadt Stuttgart. Absolut zeittypisch ist, dass die historisierende Verkleidung der Konstruktion von Beginn an mit einer damals hochmodernen elektrischen Innenbeleuchtung kombiniert wurde. Hier inszenierte sich also eine mit der Hochindustrialisierung (endlich) prosperierende Kommune. Die „Leserichtung“ des Bildprogramms legt dabei nahe, den Tunnel von der südlichen Heslacher Seite aus zu durchschreiten oder zu durchfahren. Auf seiner Nordseite öffnet sich ein Blick über den Stuttgarter Westen. Mit einem durch den Schwabtunnel deutlich gesetzten städtebaulichen und architektonischen Akzent beginnt sich von dort aus die Schwabstraße dem Kesselboden zuzuneigen.
Nach knapp zwei Jahren Bauzeit konnte das ca. 300.000 Reichsmark teure Bauwerk am 29. Juni 1896 feierlich eröffnet werden. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang vermerkt, dass der Schwabtunnel der erste städtische Straßentunnel im Deutschen Reich gewesen sei und zum Zeitpunkt seiner Eröffnung auch der breiteste Tunnel Europas.
Es dauerte noch bis 1902, ehe die Straßenbahnverbindung durch den Schwabtunnel den Betrieb aufnahm. In den kommenden gut sieben Jahrzehnten sollte der Tunnel seine zentrale Verknüpfungsfunktion für den Straßenbahnverkehr insbesondere im Südwesten der Kernstadt behalten.
Als die erste Bahn durch den Tunnel fuhr, deutete sich bereits die nächste Verkehrsrevolution an. Es heißt, der Schwabtunnel sei weltweit überhaupt der erste Tunnel gewesen, durch den jemals ein Automobil gefahren sei, und das bereits im Jahr 1900. Noch blieb der Schwabtunnel allerdings ein Verkehrsbauwerk, das überwiegend vom öffentlichen Nahverkehr, von Fußgängern und Fußgängerinnen, Fuhrwerken und seit dem frühen 20. Jahrhundert dann auch zunehmend von Radfahrerinnen und Radfahrern genutzt wurde. Das begann sich erst in der Zwischenkriegszeit langsam zu verändern: Waren 1920 nicht einmal 700 Kraftfahrzeuge in Stuttgart zugelassen, so stieg deren Zahl bis 1938 auf über 30.000. Aus der Straßenbahnstadt entwickelte sich also langsam die Autostadt Stuttgart, in der die Motorisierungsdichte schon deutlich über dem Durchschnitt anderer deutscher Großstädte lag. Damit änderte sich allmählich auch der Verkehr, der durch den Schwabtunnel floss.
Die Motorisierungswelle endete jäh mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Und erneut spiegelte sich Stadtgeschichte auch in der Geschichte des Schwabtunnels. Ende 1943 nämlich wurde der Tunnel für den Verkehr gesperrt und in einen „Großluftschutzraum“ umgewandelt. Dazu wurden seine Portale jeweils mit zwei Mauern verschlossen, die die Schutzsuchenden vor dem Druck explodierender Bomben und vor Bombensplittern schützen sollten.
Das Innere wurde mithilfe einer hölzernen Zwischendecke in zwei Etagen aufgeteilt, sodass der Tunnel mehr Menschen, nämlich insgesamt etwa 1.500, aufnehmen konnte. Der Tunnel behielt nur insofern seine verbindende Funktion, als er sowohl der Bevölkerung des Stuttgart Westens wie auch derjenigen Heslachs als Schutzraum diente. Durch seine natürliche Überdeckung von 6 bis 20 Metern bot er einen sicheren Luftschutz.
Nach Ende des Krieges dauerte es noch bis zum Juni 1946, ehe der Schwabtunnel – nach dem Entfernen der Abmauerungen und Einbauten – wieder in seiner ursprünglichen Funktion als Verkehrsbauwerk genutzt werden konnte. Und Verkehr hieß nun erst einmal Fuß-, Rad- und insbesondere Straßenbahnverkehr.
Allerdings dauerte die Zeit der ÖPNV-Renaissance nicht allzu lange. Mit dem sich ab den frühen 1950er Jahren formierenden Nachkriegsboom stieg die Automobilindustrie zur bundesdeutschen Export- und Wachstumsbranche par excellence auf. Gerade Stuttgart wurde mit seinen Kfz-Endfertigungswerken und Zulieferbetrieben von diesem Boom rasch erfasst, was sich sehr bald in steigenden Kraftfahrzeug-Zulassungszahlen niederschlug: Wurde 1951 erstmals der Vorkriegsstand bei den in der Landeshauptstadt zugelassenen Personenkraftwagen knapp übertroffen, so vervielfachte sich deren Zahl in den 1950er Jahren auf gut 83.000; im Jahr 1970 waren es schon fast 171.000. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Stadt Stuttgart diese Entwicklung durch den autogerechten Umbau ihrer Verkehrsinfrastruktur kräftig beförderte. Ebenso ist festzuhalten, dass der öffentliche Nahverkehr bei sinkenden Fahrgastzahlen nun seine Fahrt in die roten Zahlen antrat.
Was das für den Schwabtunnel hieß, liegt auf der Hand: In dem Maße, wie sich Stuttgart zur Autostadt wandelte, wurde auch der Tunnel zum Kraftfahrzeugtunnel. Die nächste Zäsur in der Tunnelgeschichte verdeutlicht dieses nur zu gut, nämlich die Einstellung des Straßenbahnverkehrs durch den Schwabtunnel im Jahr 1972. So verlor der Tunnel seinen Charakter als Straßenbahntunnel, was nur vor dem Hintergrund der sukzessiven Umstellung des Stuttgarter Schienennahverkehrs auf das Stadtbahnkonzept zu verstehen ist. Seitdem durchfährt eine Buslinie, nämlich die Linie 42, den Schwabtunnel.
Es blieb nicht bei den 1970 erreichten Kraftfahrzeug-Zulassungszahlen, sondern diese stiegen in den folgenden Jahrzehnten rasch weiter an. 1980 waren über 220.000, zur Jahrtausendwende über 300.000 Pkw in Stuttgart zugelassen. Heute wird der Schwabtunnel von etwa 20.000 Kraftfahrzeugen am Tag durchfahren, wobei er nicht nur dem innerstädtischen Verkehr dient, sondern für den Stuttgarter Westen auch den Weg auf die Filderebene hinauf und also südlich aus der Stadt hinaus öffnet. Was das für seine Verkehrsfunktion bedeutet, wird allen Fußgänger/-innen und Radfahrer/-innen deutlich, die den Tunnel trotz der enormen Lärm- und Abgasbelastung während der üblichen Stoßzeiten durchqueren.
Es steht außer Frage, dass es sich beim Schwabtunnel um ein schützenswertes Zeugnis der Stadt-, Verkehrs-, Technik- und nicht zuletzt der Kulturgeschichte handelt. Das markante Bauwerk wirkt für den Stuttgarter Südwesten gerade wegen seiner zentralen Verkehrsfunktion identitätsstiftend. Diese Verkehrsfunktion macht es allerdings auch so schwierig, die immer wieder erhobenen Forderungen nach einer (Teil-)Sperrung des Tunnels für den Kraftfahrzeugverkehr oder nach seiner fahrrad- und fußgängerfreundlicheren Umgestaltung tatsächlich umzusetzen.