Zwei junge Klavierbauer, die sich in der Klavierwerkstatt von Nannette Streicher, geb. Stein in Wien fortgebildet und angefreundet hatten, verließen Ende Mai 1809 die Musikmetropole Europas und gingen nach Stuttgart. Es waren dies der Stuttgarter Carl Wilhelm Friedrich Dieudonné (1782-1825) und Johann Lorenz Schiedmayer (1786-1860), aus Erlangen gebürtig und Enkel des ersten Klavierbauers in der Familie Schiedmayer: Balthasar Schiedmayer (1711-1781). Die beiden eröffneten im August 1809 in der Charlottenstraße 160, spätere Hausnummer 4, in einem kleinen Gartenhaus die Klavierbauwerkstatt „Dieudonné & Schiedmayer“. Die gefertigten Instrumente waren so begehrt, dass die Werkstatt und Wohnungen in der Charlottenstraße bald zu eng wurden. Man fand für einen Neubau ein passendes Grundstück in der Neckarstraße 14-16 (heute Konrad-Adenauer-Straße) und im Oktober 1819 begannen die Bauarbeiten unter der Oberaufsicht des renommierten Hofbaumeisters Nikolaus Friedrich von Thouret (1767-1845). 1821 wurde die neue Fabrik bezogen.
Es ist bemerkenswert, dass die beiden höchst erfolgreichen Klavierbauer auch mit der Weitergabe ihres Wissens nicht sparten: Im Jahr 1824 erschien das Büchlein „Kurze Anleitung zu einer richtigen Kenntniß und Behandlung der Forte-Pianos in Beziehung auf das Spielen, Stimmen und Erhalten derselben, besonders derer, welche in der Werkstätte von Dieudonné und Schiedmayer in Stuttgart verfertigt werden“.
1825 gab es einen großen Einschnitt für die junge Firma: Carl Dieudonné starb. Nun machte Johann Lorenz allein weiter. Ihm lag immer daran, bei seinen Instrumenten wesentliche Verbesserungen anzubringen und sie weiterzuentwickeln, da er die Ansprüche der Komponisten und Pianisten kannte. So war er auch der erste in Deutschland, der die englische Flügelmechanik auf Tafelpianinos einführte. Die erste Ehrung für den handwerklichen und wirtschaftlichen Erfolg des Klaviergewerbes wurde 1842 ausgesprochen: Der „Pianofortefabrik von Schiedmayer“ wurde von König Wilhelm I. die „Württembergische Gewerbemedaille“ in Gold verliehen.
Im Jahre 1845 nahm Johann Lorenz seine beiden ältesten Söhne Adolf sen. (1819-1890) und Hermann sen. (1820-1861) in die Geschäftsleitung auf. Sie hatten beim Vater das Handwerk des Klavierbaus erlernt und in London, Paris und Sankt Petersburg ihr Wissen und Können erweitert. Die Firma nannte sich fortan folgerichtig „Schiedmayer & Soehne“. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in der Fabrik schon annähernd 3.600 Instrumente gefertigt worden, und man hatte sich auf dem Weltmarkt einen fundierten Ruf erworben: So gab es Lieferungen in alle Kontinente, beispielsweise ab 1844 nach Indien. Infolge der Expansion bezog man 1864 erneut einen Firmenneubau. Auch Innovationen spielten für die Erfolge eine wichtige Rolle. So wurden „Schiedmayer & Soehne“ mehrere Patente erteilt, beispielweise 1851 das erste Patent „auf eine neue Construction der Doppel-Mechanik für Klaviere“. Auch der Produktionsablauf wurde optimiert: In den 1850er Jahren gingen zwei Dampfkessel in Betrieb und Holzbearbeitungsmaschinen wurden angeschafft.
Johann Lorenz und seine Frau Louise Catherine, geb. Rieß (1793-1832), hatten vier Söhne und eine Tochter. Als die beiden jüngeren Söhne Julius (1822-1878) und Paul (1828-1890) 1853 aus Paris zurückkamen, wo sie bei Alexandre-François Debain (1809-1877) das Harmoniumshandwerk erlernt hatten, baute der Vater für sie ein Extragebäude in der Neckarstraße 12: die erste Harmonien-Fabrik Deutschlands. Beide Fabriken existierten selbständig nebeneinander: „Schiedmayer & Soehne“ mit Klavieren und „J. & P. Schiedmayer“ mit Harmonien.
Der Tod von Johann Lorenz Schiedmayer im Jahr 1860 war nicht nur für die Familie einschneidend, auch das gewerbetreibende Stuttgart und darüber hinaus die aufblühende Industrie im Königreich Württemberg verlor einen bedeutenden Fabrikanten. Seine Mitarbeiter trauerten um einen guten Chef, der sich besonders durch Gründung einer Kranken- und Sterbekasse für seine Mitarbeiter hervorgetan hatte. Die Verdienste von Johann Lorenz Schiedmayer wurden 1896 gewürdigt: Sein Reliefbildnis wurde am Bau des Württembergischen Landesgewerbemuseum in Stuttgart (heute Haus der Wirtschaft) angebracht, da er wie kein anderer Klavierbauer Württembergs die Entwicklung des Klaviers begleitet und beeinflusst hatte.
Als im Jahr 1861 Hermann Schiedmayer sen. starb, führte bei „Schiedmayer & Soehne“ Adolf sen. das Geschäft allein weiter, bis im Jahre 1871 Adolf Schiedmayer jun. (1847-1921) und sein Cousin Hermann Schiedmayer jun. (1849-1891) in die Firma eintraten; 1876 wurden sie Teilhaber. Die Firma erhielt für die herausragende Qualität ihrer Instrumente vielfache Auszeichnungen, u.a. bei Weltausstellungen in London 1862 die „Große Preismedaille“ und in Paris 1867 eine „Erste Silberne Medaille“. Zudem durfte sich die Firma ab 1877 mit dem Titel „Königlich Württembergische Hoflieferantin“ schmücken.
In der Harmoniumfabrik von Julius und Paul Schiedmayer wurden einige Jahre nach dem Tod von Johann Lorenz, entgegen der Absprachen, auch Klaviere hergestellt. Das führte zu einem Prozess zwischen den beiden Schiedmayer-Firmen. Zudem entstand aus der Familie heraus eine weitere Firma, die Klaviere herstellte: Erwin Müller (1848-1927) gründete im Jahr 1874 die Klavierfabrik „Müller-Schiedmayer“ in Würzburg. Erwin Müller war der Sohn von Marie Louise Schiedmayer (1824-1888), die 1844 den Buchhändler Carl Müller (1819-1889) geheiratet hatte. Nun gab es also drei Schiedmayer-Klavierfabriken, wobei alle Familienmitglieder, die diesen Firmen vorstanden, bei „Schiedmayer & Soehne“ und/oder bei „J. + P. Schiedmayer“ gelernt hatten.
Das Jahr 1909 brachte die 100-Jahr-Feier der Firma „Schiedmayer und Soehne“ in Stuttgart. In dieser Zeit wurden von über 200 Mitarbeitern auf 5.300 m2 Arbeitsfläche mehr als 1.000 Instrumente pro Jahr gefertigt. Zum Firmenjubiläum wurde Adolf Schiedmayer jun. von König Wilhelm II., zum „Geheimen Kommerzienrat“ ernannt. Auch aus dem Ausland bekam er eine Ehrung: Ihm wurde der Titel „k. und k. österreichisch-ungarischer Hoflieferant“ verliehen. Er selbst aber feierte das Großereignis mit der Gründung der „Adolf Schiedmayer-Stiftung“, die ganz in der Familientradition zur Versorgung invalider und alter Betriebsangehöriger bestimmt war. Und weit über die Firma hinaus engagierte sich Adolf Schiedmayer jun. vielfältig: Unter anderem war er Vorsitzender der Berufsgenossenschaft der Musikinstrumentenindustrie und des Vereins deutscher Pianofortefabriken, zudem Mitbegründer der Berufsschule für Musikinstrumente (heute der Zweig Musikinstrumentenbau der Berufsschule in der Oscar-Walcker-Schule) in Ludwigsburg.
Für die außerordentliche Qualität der Schiedmayer-Instrumente spricht, dass zahlreiche Klaviervirtuosen und Komponisten die Firmen besuchten und auf Schiedmayer-Instrumenten konzertierten, so Clara Schumann, Franz Liszt, Fryderyk Chopin und Richard Wagner. Als 1912 im neuen Opernhaus in Stuttgart „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss zur Uraufführung kam, hieß es in der Partitur: „Celesta aus dem Hause Schiedmayer, Harmonium aus dem Hause Schiedmayer“.
Der Erste Weltkrieg mit der Sperrung der Grenzen brachte große Einschnitte: Material wurde knapp und der Arbeitermangel beschränkte die Produktion der Firma Schiedmayer spürbar. Doch 1919 gelang es Adolf Schiedmayer jun. (1843-1927) zusammen mit seinem Neffen Gustav (1883-1957) den Betrieb wieder in ertragreiche Bahnen zu lenken.
Im Zweiten Weltkrieg kam es wieder zu gravierenden Einschränkungen. Erneut fehlten Material, Arbeitskräfte und die Verbindung zu den ausländischen Kunden. Die Gebäude in der Neckarstraße überstanden einige Bombenattacken, aber am 26./27. Juli 1944 wurde bei einem der schlimmsten Luftangriffe auf Stuttgart auch die Fabriken der Schiedmayers vernichtet.
1946 improvisierte Gustav Schiedmayer beim Wiederaufbau in der Neckarstraße 12-16. Im September beschaffte er neue Spezialmaschinen, stellte den Stamm der Facharbeiter, der durch den Krieg dezimiert war oder sich zerstreut hatte, wieder zusammen und beschaffte Kapital. Er warb Kunden im In- und Ausland an, was nicht schwerfiel, da die Qualität der Schiedmayer-Instrumente weiterhin überzeugte.
1953, vier Jahre vor seinem Tod, nahm Gustav Schiedmayer seinen Sohn Georg (1931-1992) als Teilhaber auf. – Mitte der 1960er Jahre gab es eine gravierende Veränderung. Da in der Neckarstraße ein „Kulturmeile“ entstehen sollte, musste die Firma Schiedmayer ihr Gelände unter Androhung der Enteignung verlassen. Als Kompensation erhielt man ein Grundstück in der Heilbronner Straße 157-163, die ehemalige Gärtnerei Gaucher. Dort wurde 1966 der Grundstein des neuen Büro- und Fabrikationsgebäudes gelegt. Als es Ende 1968 bezugsfertig war, zog die Fabrikation dort aber nicht ein, denn parallel zu den Verhandlungen mit der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg gab es auch Gespräche zwischen den beiden Stuttgarter Schiedmayer-Fabriken. Im Ergebnis übernahm Georg Schiedmayer 1969 die Firma „Schiedmayer Pianofortefabrik“ vormals „J. & P. Schiedmayer“, und es erfolgte ein Umzug nach Altbach, wo „J. & P. Schiedmayer“ bereits ab 1911 eine Klavier- und Celesta-Fabrik betrieben hatte. Die globalen Veränderungen im Klavierbau machten es nötig, dass 1980 die Klavierproduktion im Hause Schiedmayer vorläufig eingestellt wurde. Man spezialisierte sich nun auf die Herstellung von Celesten und Tastenglockenspielen (auch für den Einbau in Orgeln). 1985 wurde die Produktion nach Wernau (bei Plochingen) verlegt. Nach dem Tod von Georg Schiedmayer 1992 übernahm seine Witwe Elianne Schiedmayer, geb. Villard, die Geschäftsführung. Die Firma „Schiedmayer Celestabau GmbH“ wurde 1995 gegründet. 2000 wurde eine neue Produktionsstätte in Wendlingen bezogen, und seit 2003 heißt die Firma „Schiedmayer Celesta GmbH“. In alter Schiedmayer-Tradition gründete Elianne Schiedmayer 2016 die „Schiedmayer Stiftung“ mit Sitz in Wendlingen. Mit Stuttgart aber blieben die Schiedmayers immer verbunden, nach wie vor ist die Firma hier im Handelsregister eingetragen.