Die Daimler-Benz AG – heute Daimler AG – machte zusammen mit der Maschinenfabrik Esslingen und der Firma Bosch den mittleren Neckarraum endgültig zu einem Industriezentrum. Das Daimlerwerk in Untertürkheim darf sich dabei zu Recht als eine der Wiegen des Automobilbaus in Deutschland bezeichnen.

Ursprünglich war das benachbarte Cannstatt Sitz der damaligen Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG). Bald stellte sich jedoch heraus, dass der Platz in dem Kurort nicht mehr ausreichte. Der Grund: Die Nachfrage nach Gottlieb Daimlers (1834-1900) Produkt, einem vierrädrigen Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor, den er mit Wilhelm Maybach (1846-1929) entwickelt hatte, wuchs so rasant, dass eine Werksvergrößerung nötig wurde. Diese war im beengten Cannstatt jedoch nicht zu realisieren. Das Unternehmen sah sich deshalb nach einem neuen Standort um und fand diesen am rechten Neckarufer auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen, aber kurz vor der Eingemeindung nach Stuttgart stehenden Gemeinde Untertürkheim. 1905 erfolgte dann die Eingliederung Untertürkheims in die württembergische Landeshauptstadt. Die DMG erwarb dort für 340.000 Reichsmark ein 185.000 m2 großes Grundstück, auf dem zunächst fünf Hauptgebäude, eine Gasfabrik mit Kesselbau zur Energieversorgung und mehrere Nebengebäude errichtet wurden. Der Kopfbau der ersten Schmiede des Werks ist bis heute erhalten geblieben. Bis 1913 wurde das Untertürkheimer Areal noch durch weitere Geländezukäufe auf 220.000 m2 erweitert. Nicht nur die Steigerung der Produktionszahlen hatte daran ihren Anteil, sondern auch die beginnende Veränderung der Fertigungsweise. Zwar herrschte auch in Untertürkheim noch Werkstattfertigung vor, dennoch schuf Daimler durch den hohen Maschinisierungsgrad wichtige Voraussetzungen für die Großserienproduktion von Kraftfahrzeugen.

Der Erste Weltkrieg bereitete dieser friedlichen Expansion ein abruptes Ende. Die DMG stellte ihre Produktion komplett auf Rüstung um. Hauptprodukte wurden Flugzeugmotoren und Schiffsantriebe. Im letzten Kriegsjahr 1918 wurden zwar 6.300 Motoren bzw. kriegswichtige Güter hergestellt – sechs Mal so viele Produktionseinheiten wie in Friedenszeiten –, für die Nachkriegszeit und den Frieden war ein solcher Betrieb mit seinen 16.000 Mitarbeitern bei Kriegsende allerdings überdimensioniert. Schmerzlich war dabei auch, dass das Unternehmen erst 1916 eine eigene Lehrwerkstatt zur Heranbildung seines Nachwuchses gegründet hatte. Im Sommer 1920 erreichten die Unruhen, die die junge Weimarer Republik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erschütterten, auch das Daimler-Werk Untertürkheim, dem nun ein empfindlicher Schrumpfungsprozess drohte. Die Arbeitskämpfe eskalierten und die württembergische Landesregierung sah sich schließlich veranlasst, das Werk für vier Wochen zu schließen. Als es wieder öffnete, fanden dort noch 4.200 Menschen einen Arbeitsplatz.

Die Gesundung des Werks gelang 1926 mit der Fusion von DMG und dem Unternehmen von Carl Benz. Der Automobilpionier hatte 1871 seine erste Firma in Mannheim ins Leben gerufen und mehrere Patente für den Zweitaktmotor erhalten. Im Jahr 1883 hatte der Ingenieur dort die „Benz & Co. Rheinische Gasmotoren-Fabrik“ gegründet. Der Erfolg seiner Firma verhalf Benz schließlich dazu, seinen Traum zu verwirklichen: den Bau eines ganzheitlich konzipierten Motorwagens. 1886 hatte Benz dafür das Patent Nr. DRP 37435 bekommen, das vor allem vom Konzern, aber auch in der Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes als „Geburtsurkunde des Automobils“ bezeichnet wird. Der Zusammenschluss von Daimler und Benz bedeutete somit weitaus mehr als eine Firmenfusion in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Durch diesen Schritt vereinigten sich zwei der weltweit führenden Automobilhersteller. Gleichzeitig mit der Fusion wurden die vorherrschenden Probleme der Automobilindustrie in Deutschland gelöst: Während des Ersten Weltkriegs war es für die Hersteller kaum möglich gewesen, zivile Produkte zu entwickeln. Zudem wirkten sich der Zusammenbruch der deutschen Währung ab 1919, die steigende Zahl von Wettbewerbern und der Verlust wichtiger Auslandsmärkte negativ aus. Daimler und Benz folgten mit ihrer Fusion also auch dem Gebot, durch die Bildung größerer wirtschaftlicher Einheiten Rationalisierungseffekte zu erzielen.

Das Werk Untertürkheim bildete von Anfang an den Mittelpunkt des neuen Konzerns, denn dort fand die Zentralverwaltung der nunmehrigen Daimler-Benz AG ihren Sitz. Darüber hinaus wurde in Untertürkheim die Konstruktionsabteilung konzentriert. Das Jahr 1926 markierte aber noch einen weiteren bedeutenden Meilenstein in Untertürkheim: Der Markenname „Mercedes-Benz“ wurde nun für alle Fahrzeuge verwendet, die dieses Werk bzw. die anderen Standorte der Daimler-Benz AG verließen.
Eingeführt worden war der Name „Mercedes“ 1899 vom österreichischen Daimler-Händler Emil Jellinek. Er verwendete ihn zunächst aber nur als Pseudonym für seine Fahrer, wenn sie an Rennen teilnahmen. Dadurch erreichte der spätere Markenname, zu dem ihn der Vorname seiner Tochter Mércedès inspiriert hatte, bald einen hohen Bekanntheitsgrad. Zur Automobilbezeichnung wurde „Mercedes“ erst 1900, als Jellinek die Fertigung des neuen, leistungsstarken Motorenmodells „Daimler-Mercedes“ vereinbart hatte. 1902 wurde der Markenname gesetzlich geschützt, 1909 als Warenzeichen eingetragen und ein Jahr später der charakteristische Mercedes-Stern als Markensymbol verwendet.

Seit seiner Gründung hatte das gewaltige Automobilwerk Einfluss auf die Entwicklung der Stadt Stuttgart genommen, vor allem in soziologischer Hinsicht: Kaum gab es in Deutschland einen Industriestandort, an dem sich die Mitarbeiter so stark mit „ihrem“ Werk und dessen Produkten identifizierten wie in Stuttgart-Untertürkheim. Bis zum heutigen Tag sichtbar sind die Infrastrukturmaßnahmen, die durch Daimler angeregt wurden: Sie reichen von der Eigenheimsiedlung Luginsland, die durch genossenschaftlich organisierte Daimler-Arbeiter entstand, über den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel zur besseren Anbindung von Stadtteil und Werk bis hin zur Schiffbarmachung des mittleren Neckar zum Großschifffahrtsweg einschließlich der Anlage des Industriehafens 1958. Und nicht zuletzt trug auch die hochqualifizierte Daimler-Belegschaft dazu bei, dass die Arbeitslosenquote in Stuttgart selbst auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise immer nur knapp über zehn Prozent lag.
Überkapazitäten, die aus der Rüstungswirtschaft im Ersten Weltkrieg herrührten, eine nach Kriegsende geringe Nachfrage nach zivilen Fahrzeugen sowie der Wettbewerb mit ausländischen Herstellern machten ab 1919 eine Reorganisation der Produktionstechnik in Untertürkheim notwendig. Alle Neuerungen sollten auch über die damit eingeführten Rationalisierungen Kosten sparen. Der erste Schritt auf dem Weg zur späteren Serienfertigung war die Gruppenfabrikation, den zweiten bildete die „flexible Qualitätsfertigung“. Bei der Gruppenfabrikation wurde die Verantwortung für die Fertigung eines bestimmten Aggregats einem Team übergeben, das das fertige Teil dann an die Endmontage lieferte. Der Zusammenbau des Fahrzeugs erfolgte aber noch auf einzelnen Montagewagen. Für die „flexible Qualitätsfertigung“ charakteristisch war der vereinzelte Einsatz von Montagebändern. Die endgültige Umstellung auf eine Serienbauweise, die sich ausschließlich auf Transportbänder in der Produktion stützt, kam in der damaligen Daimler-Benz AG erst ab 1928 und dann nur langsam voran. Daimler blieb deshalb bis zum Zweiten Weltkrieg – wie zahlreiche andere deutsche Unternehmen auf diesem Gebiet – weit hinter anderen Ländern, wie beispielsweise den USA, zurück.

Das Unternehmen entschloss sich, vier Grundmodelle der Mittel- und Oberklasse zu bauen. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler 1933 setzte einer friedlichen Entwicklung aber bald ein jähes Ende. Die nationalsozialistische Motorisierungspolitik sorgte zwar zunächst für einen Aufwärtstrend, jedoch mit zwiespältigem Charakter: Zum einen diente sie vorrangig militärischen Zwecken, zum anderen propagandistischen – der Bevölkerung sollte vorgegaukelt werden, jedermann könne bei entsprechendem Sparaufwand ein Auto zu seinem privaten Gebrauch erwerben. Für Untertürkheim bedeutete dieser Aufwärtstrend eine Produktionssteigerung um 40 %. Kernstück des Aufschwungs war das Modell 170 V Innenlenker. Erneut entstanden deshalb Platzprobleme, obwohl bereits Standorte in Sindelfingen sowie in Mannheim und Gaggenau vorhanden waren. So wurden von der Stadt Stuttgart weitere 10.000 m2 erworben.

1937 verlegte das Unternehmen seinen Sitz von Berlin nach Stuttgart-Untertürkheim; die Daimler-Benz AG wurde offiziell zum Rüstungsbetrieb ernannt. Von nun an liefen schwerpunktmäßig Fahrzeuge für das Heer sowie Motoren für Luftwaffe und Marine vom Band. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Untertürkheim deshalb zum bevorzugten Angriffsziel für die Bomber der Alliierten. Ab 1943 wurden die Bombardements so intensiv, dass erhebliche Teile des Werks auf das Umland verlagert werden mussten. Mit dem Angriff britischer Bomber in der Nacht zum 15. April 1943 verbindet sich ein besonders tragisches Ereignis. Weil die Bomber offenbar die Neckarseiten verwechselten, griffen sie irrtümlich das gegenüber von Untertürkheim gelegene Kriegsgefangenenlager an. Rund 400 Kriegsgefangene aus Frankreich und der früheren Sowjetunion fanden dabei den Tod. Zahlreiche von ihnen waren als Zwangsarbeiter auch im Werk Untertürkheim eingesetzt gewesen. Im Verlauf des Krieges sollten immer mehr Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für die Stuttgarter Betriebe in die Stadt gebracht werden – auch für das strategisch wichtige Daimler-Werk. Im Oktober 1944 befanden sich mehr als 28.000 ausländische Arbeitskräfte in Stuttgart. Der Angriff vom 5. September 1944 schließlich legte das Werk Untertürkheim in weiten Teilen lahm, auch wenn bis kurz vor Kriegsende die Produktion aufrechterhalten wurde. Am 8. Mai 1945 war das Werk Untertürkheim zu 70 % zerstört.

Der Wiederaufbau nach Kriegsende ging schneller voran als erwartet. Schon Ende 1950 standen auf dem Gelände wieder 80 % der ursprünglichen Gebäude und es wurden 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Sie fertigten seit der Währungsreform 1948 auch wieder Fahrzeuge mit dem Stern. In diesem Jahr hatte die US-Militärregierung den Bau eines Lieferwagens auf Basis des 170 V genehmigt. Der wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik und damit des Kraftfahrzeugmarktes machte erneut eine Umstrukturierung des Werks nötig. Die Endmontage wurde nach Sindelfingen verlagert, während sich Untertürkheim auf die Produktion von Motoren, Getrieben und Achsen konzentrierte. Platzprobleme wurden durch einen Geländetausch mit der Stadt Stuttgart gelöst, indem man die Mercedesstraße – bis dahin frei für den öffentlichen Verkehr – ins Werksgelände integrierte. Bis Anfang der 1970er Jahre entstand mit den Werkteilen in Hedelfingen, Mettingen, Brühl und Zuffenhausen ein Komplex von 1,5 Millionen m2. Bis Ende der 1980er Jahre kam jeder Pkw-Motor der Marke Mercedes-Benz aus Untertürkheim.

1980 wurde noch in weiterer Hinsicht zum Epochenjahr für das Werk: Unter Zuhilfenahme von Großrechnern der US-Weltraumbehörde NASA führte die Daimler-Benz AG CAD (Computer Aided Design) und CAM (Computer Aided Manufacturing) ein. Neue Autos entstanden von nun an zuerst am Bildschirm, bevor die ersten Entwürfe und Prototypen gebaut wurden. Veranlasst durch die Globalisierung gab sich das Werk Untertürkheim eine neue interne Organisation, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wurde: Die verschiedenen Bereiche wurden zu selbstständigen operativen Einheiten, je nach Aufgabenstellung zu Service-, Cost- oder Profitcentern. Heute besitzt Untertürkheim die Führungsfunktion im weltweiten Daimler-Produktionsverbund für Antriebsstränge. Es bildet das Kompetenzzentrum des Unternehmens für hocheffiziente Motoren, Hybridantriebe und Brennstoffzellen-Systeme. Auch der Bereich Forschung und Entwicklung mit Teststrecke zur Fahrzeugerprobung befindet sich dort. Die rund 19.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen nach wie vor Motoren, Achsen, Getriebe und Komponenten. Während in Untertürkheim und in dem in den 1990er Jahren errichteten Werksteil Bad Cannstatt V-Motoren gefertigt werden – hier ist auch die Schmiede angesiedelt –, erfolgt die Getriebeproduktion noch immer in Hedelfingen, die der Achsen nach wie vor in Mettingen. Dort befindet sich zudem die Gießerei. Die Ausbildung hat ihren Sitz in Brühl, die flexible Fertigung in der Stuttgarter Nachbarstadt Esslingen.

Text: Peter Poguntke
Schlagwort: Stuttgart-Untertürkheim
Literaturhinweise:

Wilfried Feldenkirchen, „Vom Guten das Beste“. Von Daimler und Benz zur DaimlerChrysler AG, Bd. 1: Die ersten 100 Jahre 1883-1983, München 2003.
Barbara Hopmann u.a. (Hg.), Zwangsarbeit bei Daimler-Benz (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 78), Stuttgart 1994.
Harry Niemann/Wilfried Feldenkirchen (Hg.), 100 Jahre DaimlerChrysler Werk Untertürkheim 1904-2004. Wo das Auto anfing – Mobilität und Industrialisierung im Neckarraum (Wissenschaftliche Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Bd. 8), Stuttgart 2005.

GND-Identifier: 1087309662
Publiziert am: 06.09.2021
Empfohlene Zitierweise:
Peter Poguntke, Werk Untertürkheim der Daimler AG, publiziert am 06.09.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/a7b425df-8110-4a1b-807d-472b152a3ecd/Werk_Untertuerkheim_der_Daimler.html