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Stuttgart war drei Jahre lang der zentrale Ort des Wirkens von Joseph Süß Oppenheimer als hochkompetenter Berater des württembergischen Herzogs Karl Alexander in finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen. In Stuttgart musste er nach dessen Tod als Opfer eines Justizmords für die herzogliche Politik büßen, die den Interessen der traditionellen Führungselite zuwidergelaufen war.

Stuttgart ist mit seinem Namen vor allem als Ort seiner Hinrichtung verbunden. Am 4. Februar 1738 wurde Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer, so der vollständige Name, als Opfer eines Justizmords auf dem Galgenberg vor den Toren der Stadt in einem rot angestrichenen Käfig stranguliert. Den Leichnam ließ man an dem eigens aufgerichteten Galgen sechs Jahre lang hängen. Die Vollstreckung des Todesurteils stand am Ende eines „Kriminalprozesses“, in dem geltende Rechtsgrundsätze auf schändliche Weise verletzt worden waren. Inszeniert wurde sie vor einem breiten, teils von weither angereisten Publikum. Die Produktion einer Flut von Schmähschriften hatte das widerrechtliche Vorgehen gegen Oppenheimer von Anfang an begleitet. Damit setzte eine Medialisierung des Geschehens ein, die bis in unsere Tage fortwirkt. Der antisemitische Film „Jud Süß“ von Veit Harlan aus dem Jahr 1940, dessen Entstehung Joseph Goebbels persönlich initiiert und beeinflusst hat, stand in einer langen Tradition von Darstellungen, in denen gezielt Tatsachen und Kontexte verfälscht wurden.

In Stuttgart hatte Joseph Süß Oppenheimer als Finanzberater des württembergischen Herzogs Karl Alexander (1684-1737) Karriere gemacht, der ihn nach seinem Regierungsantritt an den Hof geholt hatte. Die persönliche Verbindung reichte weiter zurück. Schon 1732 war er von Karl Alexander und seiner Frau Maria Augusta aus dem Hause Thurn und Taxis zum Hof- und Kriegsfaktor bzw. Agenten bestellt worden, um Geld- und Warengeschäfte für sie zu erledigen. Kennengelernt hatten sich Oppenheimer und Karl Alexander 1732 in Wildbad unter Vermittlung des württembergischen Hoffaktors Isaak Simon Landauer.

Über seinen Lebensweg vor Eintritt in die Dienste Karl Alexanders ist nicht allzu viel bekannt. Geboren wohl 1698 in Heidelberg als Sohn eines jüdischen Kaufmans, der 1707 verstarb, war er in Frankfurt am Main und Mannheim im Warenhandel und als Privatbankier tätig geworden. Als Pächter des kurpfälzischen Stempelpapiers in den Jahren 1723 bis 1729 und Kabinettsfaktor wie auch Münzproduzent des Landgrafen von Hessen-Darmstadt 1733 war er zugleich in Dienstverhältnisse zu verschiedenen Landesherren getreten. Mit seinen geschäftlichen Aktivitäten hatte er an traditionelle Bahnen der Familie Oppenheimer angeknüpft, deren Mitglieder sich als Großhändler, Bankiers, Hoffaktoren und Heereslieferanten hohes Ansehen im Reich erworben hatten und deren prominentester Vertreter der kaiserliche Hoffaktor Samuel Oppenheimer (geb. 1630 in Heidelberg, gest. 1703 in Wien) war.

Karl Alexander aus der Seitenlinie Württemberg-Winnental hatte unter Prinz Eugen in österreichischen Diensten gegen die Türken gekämpft und als kaiserlicher Generalfeldmarschall und Statthalter in Belgrad Erfahrungen gesammelt, die sein Selbstverständnis nachhaltig prägten. Das Zusammenwirken zwischen dem Landesherrn und der Landschaft, wie es sich speziell in Württemberg seit dem frühen 16. Jahrhundert – insbesondere bei der Steuerbewilligung – entwickelt hatte, musste ihm als Militär, der strikten Gehorsam gewohnt war, fremd sein. Zudem war er in österreichischen Diensten zum Katholizismus konvertiert, was im lutherischen Württemberg zwangsläufig zu Misstrauen und Befürchtungen führte. Noch vor der Huldigung musste er sich verpflichten, das evangelische Bekenntnis als ausschließliche Landesreligion beizubehalten, und alle landesbischöflichen Rechte an den der Landschaft verpflichteten Geheimen Rat und das Konsistorium übertragen.

Damit wurde die Position der Landschaft, die als bürgerliche Funktionselite die zentralen Positionen im württembergischen Staatswesen einnahm, nochmals gestärkt, die des Herzogs dagegen entschieden geschwächt. Dieser verfolgte daher die Politik, den Einfluss der Landschaft, die verwandtschaftlich untereinander eng verbunden war, wieder zurückzudrängen und ein absolutistisches Regiment zu errichten. Dazu wollte er die Finanzen konsolidieren, die Verwaltung modernisieren und in merkantilistischer Manier die Wirtschaft fördern. Um die Schulden seines Vorgängers abzubauen, gleichzeitig aber auch ein projektiertes stehendes Heer sowie seine kostspielige Hofhaltung und eine Beteiligung an Kriegen wie dem Polnischen Erbfolgekrieg zu finanzieren, sollten die Staatseinnahmen erhöht werden. Karl Alexander orientierte sich in all diesen Bestrebungen, wie Joachim Brüser 2010 gezeigt hat, an einem Programm, das er ähnlich bereits in Serbien als kaiserlicher Statthalter entwickelt hatte. Bei der Landschaft mussten sie freilich auf erbitterten Widerstand stoßen, war doch ihre traditionelle Machtstellung davon elementar bedroht. Der Konflikt war quasi vorprogrammiert.

Dieses Szenario bildete den Hintergrund einerseits für den Werdegang Joseph Süß Oppenheimers in herzoglichen Diensten, andererseits aber auch für seinen Sturz, der sofort nach dem Tod des Herzogs von der Landschaft eingeleitet wurde und mit dem Justizmord endete. Denn Oppenheimer diente dem Herzog tatkräftig bei der Realisierung seines Programms. Mit seiner Expertise in Geldgeschäften und wirtschaftlichen Betätigungen wurde er als kreativer und fleißiger Berater auf dem Feld der Finanz- und Wirtschaftspolitik herangezogen, um geeignete Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen. In der Folge wurde das Finanzwesen neu geordnet und kontrolliert, wurden Monopole errichtet, Fabriken und Manufakturen ins Leben gerufen, eine Staatsbank gegründet sowie das Münzwesen auf neue Beine gestellt.

Joseph Süß Oppenheimers Tätigkeit in württembergischen Diensten nahm 1734 ihren Ausgangspunkt mit der Bestellung zum Württembergischen Residenten in Frankfurt am Main. 1736 erhielt er erst das Amt eines Kabinettsfiskals und sodann eines Geheimen Finanzienrats. Ihm unterstellt wurden zwei neu geschaffene Behörden: das Gratialamt, das Titel und Ämter gegen eine Abgabe an die herzogliche Schatulle vergab, sowie das Fiskalatamt, das Beschuldigten die Möglichkeit bot, durch die Zahlung einer Geldsumme an die herzogliche Kasse der Strafverfolgung zu entgehen. Beide Einrichtungen dienten der Erhöhung der Staatseinnahmen und stärkten mit im Absolutismus gebräuchlichen Mitteln die Position des Landesherren.

Joseph Süß Oppenheimers vorrangiger Wirkungsort war seit 1734 die Residenzstadt Stuttgart, wohin der Herzog gleich nach seinem Regierungsantritt auf Verlangen der Landschaft und der Stadt Stuttgart den Hof und den Verwaltungsapparat von Ludwigsburg zurückverlegt hatte. Hier nahm er seine Aufgaben wahr, hier erledigte er als Pächter die Geschäfte der Münze. Bei Hof hatte er jederzeit Zutritt zu Karl Alexander, woran die Landschaft, deren Einfluss der Herzog beschränkte, besonderen Anstoß nahm. Neben der Finanzberatung des Landesherren in administrativen Kontexten und wirtschaftlichen Angelegenheiten erfüllte er weiterhin die Rolle eines Hoffaktors, der für Karl Alexander Heereslieferungen organisierte und finanzierte, Geschäfte tätigte, Kredite, Waren und Luxusartikel besorgte, darunter auch Juwelen, für die der Herzog eine besondere Vorliebe hatte. Welcher Art das persönliche Verhältnis in diesem Szenario letztlich war, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Peter H. Wilson und Joachim Brüser haben überzeugend argumentiert, dass die treibende Kraft des politischen Programms der Herzog war, der sich der fachlichen Kompetenz seines ihm persönlich vertrauten Finanzfachmanns bediente. Seine erste Unterkunft in Stuttgart hatte Joseph Süß Oppenheimer im Obergeschoss der Münze, die zunächst in der Turmstraße und dann am Dorotheenplatz untergebracht war. 1736 ließ er sich in Ludwigsburg nieder, erwarb aber zugleich in Stuttgart ein Palais in der Seegasse, wozu der Herzog am 4. Dezember seine spezielle Genehmigung erteilte. Weil nach württembergischen Recht Juden Grundbesitz verwehrt war, erfolgte das Geschäft über den Regierungsrat Laux.

Lange konnte er das großzügige Gebäude jedoch nicht nutzen, in dem er auch seine Geschäfte als Händler und Bankier abwickelte und Angestellte beschäftigte. Schon zu Beginn des Jahres 1737 spitzte sich der Konflikt mit der Landschaft zu. Am 1. Februar 1737 bat Joseph Süß Oppenheimer angesichts massiver Vorwürfe, die gezielt gegen ihn gestreut wurden, den Herzog um seine Entlassung sowie um ein Reskript, mit dem er der Verantwortung für alle geleisteten und noch zu leistenden Dienste enthoben werden sollte. Der Bitte um Demission entsprach der Herzog nicht; am 12. Februar unterzeichnete er jedoch ein „Absolutorium“, mit dem er seinen Finanzienrat im erbetenen Sinne freistellte.

Als der Herzog am 12. März 1737 unerwartet verstarb, wurde dieses Dokument indes ignoriert. Joseph Süß Oppenheimer wurde unmittelbar danach in der Seestraße unter Hausarrest gestellt und sodann erst auf der Festung Hohenneuffen, dann auf dem Hohenasperg inhaftiert. Seines Rückhalts bei Herzog Karl Alexander beraubt, wurde der schutzlos gewordene Jude als „schlechter Berater“ des Herzogs diffamiert und zum Sündenbock für dessen Politik gemacht. Die Landschaft „konnte mit Nachdruck auf die Verletzung ihrer angestammten Rechte verweisen und deren Wiederherstellung verlangen und sich doch gleichzeitig dem Herrscherhaus treu verbunden fühlen“, so Oliver Auge 2004. Der „Kriminalprozess“, in dessen Rahmen gegen Oppenheimer ermittelt wurde, war in mehrfacher Hinsicht auf geradezu absurde Weise von Rechtsbrüchen geprägt. Besonders gravierend war, dass ihm die Berufungsmöglichkeiten an das Reichkammergericht und den Reichshofrat willkürlich genommen wurden. Seine Haftbedingungen, unter denen die Folter Anwendung fand, indem er „kurz geschlossen“ (die rechte Hand wurde an den Fuß gekettet) war, waren entwürdigend; sein körperlicher Zustand zunehmend beeinträchtigt; er war schließlich so abgemagert, dass die Handfessel von ihm fiel. Keiner der konstruierten Anklagepunkte ließ sich verifizieren. Die Begründung des Todesurteils, auf das die Landschaft aus politischen Gründen von Anbeginn an gezielt hatte, blieb überaus vage.

Bei der Vollstreckung des Urteils rezitierte Joseph Süß Oppenheimer, für den die Religion seiner Herkunft in der Haft Bedeutung gewonnen hatte, das jüdische Glaubensbekenntnis.

In Stuttgart erinnert heute der Name eines Platzes an Joseph Süß Oppenheimer, dessen Auswahl an entlegener Stelle in der Kritik stand. Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart werden die Akten des Kriminalprozesses verwahrt, darunter zahlreiche Unterlagen, die im Zuge der Ermittlungen in den Wohn- und Geschäftsräumen Joseph Süß Oppenheimers beschlagnahmt wurden. Auskunft über die Behandlung seines Vermögens geben die Akten der „Süßischen Inventur-Deputation“, aus denen nicht zuletzt hervorgeht, in welchem Maße sich Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts und seine früheren Gegner nach seinem Tode an der Versteigerung von Gegenständen aus seinem persönlichen Besitz beteiligt haben.

Text: Robert Kretzschmar
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Quellenhinweise:

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A 48, https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/startbild.php?bestand=21351 [zuletzt aufgerufen am 03.11.2017].

Literaturhinweise:

Beschlagnahmte Briefschaften. Der Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer 1737/38, Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, https://www.landesarchiv-bw.de/web/43659 [zuletzt aufgerufen am 03.11.2017].
Joachim Brüser, Herzog Karl Alexander von Württemberg und die Landschaft (1733 bis 1737). Katholische Konfession, Kaisertreue und Absolutismus (VKgL, Bd. 180), Stuttgart 2010.
Gudrun Emberger/Robert Kretzschmar (Hg.), Die Quellen sprechen lassen. Der Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer 1737/38, Stuttgart 2013.
Gudrun Emberger, Rotraud Ries, Der Fall Joseph Süß Oppenheimer. Zum historischen Kern und den Wurzeln seiner Medialisierung, in: Jud Süß. Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild, hg. von Alexandra Przyrembel/Jörg Schönert, Frankfurt am Main/New York 2006, S. 29-55.
Hellmut G. Haasis, Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer, Reinbek 1998.
Hellmut G. Haasis, Der Justizmord an Joseph Süß Oppenheimer, in: Joseph Süß Oppenheimer – ein Justizmord. Historische Studien zur Situation der Juden im Südwesten und der Hofjuden im 18. Jahrhundert, hg. von Volker Gallé, Worms 2010, S. 9-32.
Paul Sauer, Ein kaiserlicher General auf dem württembergischen Herzogsthron. Herzog Carl Alexander von Württemberg 1684-1737, Filderstadt 2006.
Selma Stern, Jud Süß. Ein Beitrag zur deutschen und jüdischen Geschichte, Berlin 1929, Nachdruck München 1973.
Peter H. Wilson, Der Favorit als Sündenbock. Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), in: Michael Kaiser/Andreas Pecar (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 32), Berlin 2003, S. 155-176.
Oliver Auge, Holzinger, Enzlin, Oppenheimer. Günstlingsfälle am spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hof der Württemberger, in: Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis 17. Jahrhundert, hg. von Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Residenzenforschung 17), Ostfildern 2004, S. 365-399.

GND-Identifier: 118757733
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Robert Kretzschmar, Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/aedd5996-c81e-4a67-bd21-3a51cb9904ef/Joseph_Suess_Oppenheimer.html