Die Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) in der Württembergischen Landesbibliothek ist eine der größten Spezialbibliotheken für Zeitgeschichte in Europa. Ihr institutioneller Vorgänger ist die am 21. Mai 1921 in Schloss Rosenstein eröffnete „Weltkriegsbücherei“.

Während des Ersten Weltkriegs waren zahlreiche sogenannte Kriegssammlungen entstanden, die es sich zur Aufgabe machten, den Krieg, der als „große Zeit“ für Deutschland galt, möglichst umfassend zu dokumentieren. Mit der Eröffnung der „Weltkriegsbücherei“ in Schloss Rosenstein am 21. Mai 1921 wurde eine der größten privaten Kriegssammlungen zum Ersten Weltkrieg als wissenschaftliche Spezialbibliothek der Öffentlichkeit zugänglich. Ein Familienmitglied der Ludwigsburger Kaffee-Firma Franck, Richard Franck, hatte die Sammlung im November 1915 in Berlin gegründet und den aus Waiblingen stammenden Grafiker Friedrich Felger zum ersten Sammlungsleiter ernannt. 1920 zog die Sammlung nach Stuttgart um, wo die württembergische Staatsregierung den rechten Flügel von Schloss Rosenstein zur Verfügung stellte.

Bereits bei Kriegsende 1918 umfasste die Sammlung mehr als 50.000 Bücher und 3.000 Zeitungen und Zeitschriften sowie einen großen Bestand an Fotos, Plakaten, Flugblättern, Postkarten und anderen Medien. In der Weimarer Republik wurde das Sammelspektrum auf die Novemberrevolution und die Folgen des Ersten Weltkriegs ausgedehnt. Dank der anhaltenden finanziellen Unterstützung der Firma Franck, die den Aufbau bedeutender internationaler Bestände ermöglichte, entwickelte sich die Weltkriegsbücherei zu einer wichtigen Forschungsstätte zu Ursachen, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkriegs.

Im Mai 1933 eröffnete die „Weltkriegsbücherei“ im linken Flügel von Schloss Rosenstein auf der Basis ihrer umfangreichen Sammlungen ein Museum zum Ersten Weltkrieg. Der 1934 berufene Direktor Willi Eilers baute die immer noch private Bibliothek im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber weiter aus. 1936 konnte die Weltkriegsbücherei Teile der Kriegssammlung der Hofbibliothek des württembergischen Königshauses übernehmen. Mit Kriegsbeginn 1939 wurde das Sammelspektrum auf den Zweiten Weltkrieg ausgedehnt. 1940 übernahm Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess die Schirmherrschaft über die Weltkriegsbücherei, 1941 trat auf Vorschlag Hitlers Reichsstatthalter Wilhelm Murr an seine Stelle. Infolge der verstärkten Luftangriffe auf Stuttgart begann man 1942, die Bestände auszulagern. In der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 wurde Schloss Rosenstein von mehreren Brandbomben getroffen und brannte aus. Dabei gingen die noch im Gebäude verbliebenen Bestände – etwa ein Drittel des Gesamtbestandes – der Weltkriegsbücherei verloren.

Dennoch wagten der neue Direktor Erwin Weis, Wilhelm Heinrich Franck, Neffe des Gründers Richard Franck, sowie Wilhelm Hoffmann, Direktor der Württembergischen Landesbibliothek, nach Kriegsende einen Neuanfang. 1948 erfolgte eine Umbenennung in „Bibliothek für Zeitgeschichte“ (BfZ). Im Jahr darauf zog sie in die Räume der Württembergischen Landesbibliothek ein, wo sie bis heute ihren Sitz hat. Ab 1952 kooperierten die beiden Bibliotheken immer enger, bis die Bibliothek für Zeitgeschichte im Jahr 2000 in die Württembergische Landesbibliothek integriert wurde.

Jürgen Rohwer, seit 1959 neuer Direktor der Bibliothek für Zeitgeschichte, baute ein umfangreiches Fotoarchiv mit mehr als einer halben Million Exemplaren auf, die Sondersammlung „Marine“. 1964 erwarb die Bibliothek außerdem das sogenannte „Zarenarchiv“, eine bedeutende Sammlung von mehr als 10.000 Fotos aus dem Umfeld des letzten russischen Zaren Nikolaus II. Einen weiteren Sammelschwerpunkt bildeten Broschüren, Flugblätter und Plakate der Bewegungen, die aus der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition der hervorgegangen. Für sie wurde 1972 die „Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur“ eingerichtet, die heutige Sammlung „Neue Soziale Bewegungen“.

Unter Direktor Gerhard Hirschfeld entstand außerdem eine Lebensdokumentensammlung zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, die mehr als 140.000 Briefe sowie zahlreiche Tagebücher und Erinnerungswerke umfasst. 1991 rief Hirschfeld zudem eine bis heute bestehende regelmäßige Vortragsreihe zu Politik und Zeitgeschichte ins Leben. Die von der Bibliothek für Zeitgeschichte herausgegebenen „Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte – Neue Folge“ und die „Enzyklopädie Erster Weltkrieg“ leisteten einen wichtigen Beitrag zur zeithistorischen Forschung.

Der Buchbestand der Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek umfasst heute mehr als 400.000 Bände zur Zeitgeschichte und Politikwissenschaft. Hinzu kommen mehr als 420 abonnierte Zeitschriften und die Materialien der Sondersammlungen „Zeit der Weltkriege“, „Neue Soziale Bewegungen“ und „Marine“. Sammelschwerpunkte bilden die weltweiten Kriege und Konflikte, Völkermord sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Seit 2013 widmet sich die Bibliothek verstärkt der Digitalisierung ihrer Sondersammlungen.

Text: Christian Westerhoff
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Wissenschaftsfestival
Quellenhinweise:

 

 

Literaturhinweise:

Christian Westerhof (Hg.), 100 Jahre Bibliothek für Zeitgeschichte. 1915-2015, Stuttgart 2015.

GND-Identifier: 2001290-1
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Christian Westerhoff, Bibliothek für Zeitgeschichte, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/b13fb9e8-be61-4819-aa03-1e4741d33f5d/Bibliothek_fuer_Zeitgeschichte.html