Das architektonische Œuvre Ludwig Eisenlohrs fällt in die wandlungsreiche Zeit des späten 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung vom Historismus hin zum Jugendstil wurde von Architekten wie Ludwig Eisenlohr geprägt. In seinem Werk lässt sich beispielhaft der Wandel nachvollziehen, der sich in der Stuttgarter Architektur Ende des 19. Jahrhunderts vollzog.
Ludwig Eisenlohr wurde am 17. März 1851 in Nürtingen geboren. Sein Vater Theodor Eisenlohr war Rektor des Nürtinger Lehrerseminars. Seine Mutter Auguste Eisenlohr war neben ihrer Aufgabe als Mutter von sechs Kindern schriftstellerisch tätig.
Ludwig Eisenlohr besuchte das Gymnasium in Reutlingen und bestand 1867 die Aufnahmeprüfung an der Polytechnischen Schule in Stuttgart, an der er zunächst das Grundstudium in der mathematischen Grundabteilung absolvierte. Als Eisenlohr sich 1871 in die Fachschule für Architektur an der Polytechnischen Schule einschrieb, lehrten in Stuttgart Gelehrte wie der Historiker Emil Denzel, der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke und der Philosoph und Literaturwissenschaftler Friedrich Theodor Vischer. Es wurde den Studenten der Fachschule für Architektur nahegelegt, sich neben ihren Pflichtkursen auch diesen allgemeinbildenden Fachbereichen zu widmen. Der wichtigste Lehrer für Eisenlohr war jedoch zweifelsohne Christian Friedrich Leins. Leins, führender Baumeister des Historismus in Württemberg, legte großen Wert auf die Ausarbeitung der Grundrisse, die als funktionale Gefüge das Innere wie das Äußere eines Bauwerks bestimmen sollten. Die stilistische Gestaltung der Fassade und die Wahl des historisierenden Baustils waren der Funktion des Gebäudes entsprechend erst in einem zweiten Schritt zu bestimmen. So wurden die künftigen Architekten darauf vorbereitet, die neuen und immer komplexeren Bauaufgaben des städtischen Lebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu meistern und zu gestalten.
Im Herbst 1874 schloss Eisenlohr sein Studium an der Polytechnischen Schule mit der ersten Staatsdienstprüfung ab. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Berlin an der Bauakademie und im Atelier von Richard Lucae sowie einer Bildungsreise durch Frankreich und Italien folgte 1877 die zweite Staatsprüfung und danach die Gründung des ersten eigenen Architekturbüros in Stuttgart, des Büros Eisenlohr & Weigle.
Ludwig Eisenlohr und Carl Alexander Weigle (1849-1931) kannten sich seit der Studienzeit. Ihre Zusammenarbeit sollte bis 1910 andauern. Beide Architekten waren entwerfend für das Büro tätig. Weigle allerdings scheint sehr viel mehr den Part des Aquisiteurs innegehabt zu haben. Er verfügte über ein exzellentes Netzwerk und pflegte Beziehungen bis hin zur königlichen Familie Württembergs. Das, und wohl auch die Arbeit der Architekten als Redakteure der Kunstgewerbezeitschrift „Gewerbehalle“ sowie der Architekturzeitschrift „Architektonische Rundschau“, halfen dem jungen Büro in Stuttgart Fuß zu fassen. Ab 1879 erhielten Eisenlohr & Weigle erste Aufträge. In der Fachwelt waren sie spätestens nach den erfolgreichen Teilnahmen am Wettbewerb um den Berliner Reichstag 1882 (Ankauf) und um das Leipziger Reichsgericht 1884 (2. Preis) anerkannt.
Die Bauten der Anfangsjahre des Büros Eisenlohr & Weigle bis 1890 sind dem Historismus verpflichtet und geprägt durch asymmetrische Grundrisse und Fassaden im Stile der Neurenaissance, des Neubarocks und der Neugotik. Anschauliche Beispiele hierfür sind die Villa Murschel, Hölderlinstraße 54 (1884) oder die Villa in der Alexanderstraße 4a (1890), aber auch das Mietshaus Kernerstraße 45 (1882), das Etagenwohnhaus Mörikestraße 5 (1889-1890) oder das nicht mehr erhaltene Ausstellungsgebäude des Württembergischen Kunstvereins in der Schellingstraße 6 (1888-1889) – der erste öffentliche Bauauftrag des Büros.
Zwischen 1890 und 1900, dem letzten großen Jahrzehnt des Historismus, etablierte sich das Büro Eisenlohr & Weigle endgültig in Stuttgart. Ab 1894 begann Eisenlohr den Neubiedermeierstil für sich zu entdecken. Ein Stil, der durch schlicht verputzte Fassaden, durch den Verzicht auf extravagantes Ornament und durch zunehmend geschlossene Grundrisse ganz neue Möglichkeiten eröffnete, die das Büro Eisenlohr & Weigle zunächst im Bau privater Wohnhäuser umsetzte.
Beispielhaft für diese Zeit sind etwa die Degerlocher Villen: Villa Müller, Nägelestraße 8 (1894), Villa Schmitz, Jahnstraße 38 (1891) und Villa Eisenlohr, Nägelestraße 7 (1895-1905). Aber auch die Stuttgarter Villa in der Hasenbergsteige 31 (1899-1900), die vier Wohnhäuser für den Möbelfabrikanten Erwin Behr in der Relenbergstraße 76-82 (1896), die Villa Breuninger am Herdweg 22 (1894) oder die nicht mehr erhaltene Villa Simolin, die Eisenlohr 1898 bis 1900 für die Fabrikantenwitwe Sophie von Knosp auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Familie an der Rotebühlstraße 70 errichtete.
Neben dem Engagement für Privatbauten erhielt das Büro zunehmend auch Aufträge für den öffentlichen Bereich: Von 1890 bis 1896 entstanden so das mondäne Hotel Marquardt an der Königstraße 22, 1894 bis 1895 die Russische Kirche an der Seidenstraße 69, 1899 die Volksbibliothek in der Silberburgstraße 191 und 1899 bis 1900 die Lebensversicherungs- und Ersparnisbank in der Silberburgstraße 174.
Allerdings sind es wohl die Jahre zwischen 1900 und 1914, die die wichtigste Phase der Arbeit Ludwig Eisenlohrs umfassen. 1910 trennten sich die altgedienten Partner Ludwig Eisenlohr und Carl Weigle. Beide taten sich mit neuen, jungen Kompagnons zusammen. Carl Weigle mit seinen Söhnen im Büro Oberbaurat Weigle & Söhne und Ludwig Eisenlohr mit dem jungen Architekten Oscar Pfennig im Büro Eisenlohr & Pfennig, dem sich wenig später auch Eisenlohrs Sohn Werner Eisenlohr anschloss.
Ludwig Eisenlohr zählte um 1900 zu den renommierten Architekten Stuttgarts, sein Urteil wurde bei allen großen architektonischen Projekten der Stadt, unter anderem als Juror, beachtet. 1901 bat man ihn sogar, den später durch Theodor Fischer besetzten Lehrstuhl für Bauentwürfe an der Technischen Hochschule zu übernehmen, was Eisenlohr jedoch ablehnte.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte Ludwig Eisenlohr die formalen Errungenschaften des Villenbaus der 1890er Jahre systematisch weiterentwickelt. Flächige, schlichte Fassaden mit gezielt eingesetztem historisierendem Ornament sowie geschlossene, axial angelegte Grundrisse prägten immer häufiger auch seine Mietsbauten und zahlreiche öffentlichen Gebäude. Er genoss das Vertrauen der Bauherren, die sich von diesem neuen Formenvokabular überzeugen ließen. Das war bei weitem nicht selbstverständlich, denn im Laufe des 19. Jahrhunderts waren für Bauten wie Schulen, Rathäuser oder Kirchen Grundrissschemata und Stilspielarten festgelegt worden, durch die sich die jeweiligen Institutionen auch funktional in der Öffentlichkeit präsentierten. Es galt also, eine architektonische Formensprache zu finden, die einerseits modern war, die jedoch andererseits das Publikum nicht vor den Kopf stieß. Die große Zahl öffentlicher Bauten, die Eisenlohr mit seinem Büro zwischen 1900 und 1914 errichtete, demonstriert eindrucksvoll, wie überzeugend er die Stilerneuerung der Vorkriegszeit vertrat.
Zu den öffentlichen Bauten dieser Zeit zählen unter anderem das Finanzministerium, Kienestraße 45 (1900-1904), die Bauten für das Kaufhaus Breuninger in der Münzstraße 4 (1900), der Sporerstraße 2 (1905) und der Marktstraße 1 (1913), die sich leider nicht erhalten haben. Ebenfalls nicht erhalten ist der Bau des Interimstheaters im Oberen Schlossgarten (1902). Andere maßgebliche Gebäude sind die Rathäuser in Vaihingen (1905-1907) und Feuerbach (1905-1909), die Nikolauspflege, Am Kräherwald 271 (1906-1908), die Württembergische Hypothekenbank in der Büchsenstraße 28 (1907-1908), die Königliche Kunstgewerbeschule, Am Weißenhof 1 (1908-1913), das Johannes-Kepler-Gymnasium in Bad Cannstatt, Daimlerstraße 8 (1911-1912), die Heilandskirche bei der Villa Berg, Sickstraße 37 (1911-1913) sowie auch der Eingang des Hauptfriedhofs Steinhaldenfeld, dessen Entwurf aus dem Jahr 1913 in stark veränderter Form von 1916 bis 1919 umgesetzt wurde.
Im privaten Wohnungsbau dieser Jahre sind zu nennen: das Landhaus für Kommerzienrat Leicht in Vaihingen, Fanny-Leicht-Straße 13 (1903), die Villa Rauscher, Etzelstraße 9 (1908), und die Villa Federer, Mörikestraße 20 (1910), sowie die Mietsbauten der Knosp‘schen Siedlung, Knospstraße (1901-1904), bei deren Entwurf Eisenlohr versuchte, trotz der in Stuttgart feuerpolizeilich vorgeschriebenen Drei-Meter-Abstände zwischen den Bauten ein geschlossenes Straßenbild zu schaffen.
Die letzte Phase des Werkes Ludwig Eisenlohrs umfasst die Jahre 1914 bis 1928. Eisenlohr übergab nach und nach das Büro seinen Kompagnons Oscar Pfennig und Werner Eisenlohr. Es war ihm gelungen, das Büro über die Kriegsjahre zu erhalten und ihm einen geordneten Neuanfang zu ermöglichen. Ende der 1920er Jahre konnte das Büro noch einmal zwei bedeutende Bauten in Stuttgart realisieren: den Mittnachtbau an der Königstraße 46 (1925-1928) und den vierten Neubau des Kaufhauses Breuninger an der Marktstraße 4 (1931).
1921 ehrte die Technische Hochschule Stuttgart Ludwig Eisenlohr mit der Verleihung der Doktorwürde ehrenhalber „In Anerkennung Ihres verdienstlichen Wirkens als feinsinniger Förderer aller künstlerischen Bestrebungen und als führender Baukünstler, der in steter Erneuerung ein Menschenalter lang Stuttgart und Württemberg um eine Fülle vorbildlicher Bauwerke bereicherte“, so die Mitteilung der Technischen Hochschule Stuttgart zur Verleihung der Ehrendoktorwürde am 12. März 1921.
Ludwig Eisenlohr verstarb 1931 mit 80 Jahren in seinem Haus in Degerloch. Die Stuttgarter Hinterlassenschaft der Büros Eisenlohr & Weigle und Eisenlohr & Pfennig umfasst 172 Projekte, die bis auf wenige Ausnahmen alle ausgeführt wurden und die in der überwiegenden Zahl heute noch erhalten sind, 63 davon stehen unter Denkmalschutz. Bis heute zeugen sie davon, wie umsichtig die Architekten Ende des 19. Jahrhunderts die Errungenschaften des Historismus mit neuen Bauformen verbinden konnten. Formen, die die Stuttgarter Architektur der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg prägten. Und die ihren Teil dazu beitrugen, den Weg für die Akzeptanz von modernen Bauten wie dem Tagblattturm, dem Kaufhaus Schocken oder dem Kaufhaus Breuninger zu ebnen und vorzubereiten.