Die Sprengung des Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 bedeutete noch nicht das Ende der Revolution in Württemberg: Noch bis Herbst 1850 rangen Regierung und Parlament im Landtag um die Revision der württembergischen Verfassung auf der Basis der Grundrechte und der Reichsverfassung.

Auch nach der Sprengung des Rumpfparlaments verabschiedete das württembergische Märzministerium unter Friedrich Römer (1794-1864) im Zusammenspiel mit dem Landtag eine Reihe von Reformgesetzen. Den Schlussstein dieser Reformgesetze sollte eine Revision der Landesverfassung auf der Basis der Grundrechte und der Reichsverfassung darstellen: Da infolge der Grundrechte die Standesherren ihr Privileg auf einen Sitz in der I. Kammer des Landtags verloren hatten, galt es zu klären, wie künftig der württembergische Landtag zusammengesetzt sein sollte. Dementsprechend schrieb das Ministerium Römer Wahlen für eine Verfassunggebende Landesversammlung aus, wobei das Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 für diese Zeit überaus demokratisch ausfiel. Dieses sah das gleiche, direkte und nahezu allgemeine Männerwahlrecht vor.

Der Wahlkampf in Stuttgart wurde am 11. Juli durch die „Württembergische Zeitung“ eröffnet, die der liberal-konstitutionellen Gruppe um Römer nahestand. Dabei warf die „Württembergische Zeitung“ den Demokraten vor, dass es sich bei ihnen um eine Partei handle, die alles überstürze, sinnlos zerstöre und zum verantwortungsbewussten Handeln unfähig sei. Einen Tag darauf bezeichnete der demokratisch geprägte, ebenfalls in Stuttgart angesiedelte „Beobachter“ seinerseits die Liberalen als preußenhörig. Zugleich entwickelte Moriz Mohl (1802-1888) im „Beobachter“ das Programm der Demokraten. Diese sprachen sich für die Gültigkeit der Reichsverfassung aus, allerdings nicht mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) als Reichsoberhaupt. Alle Bestimmungen der württembergischen Verfassung sollten der des Reiches angepasst werden. Weitere Anliegen der Demokraten bildeten eine Verbesserung der Volksbildung, Volksbewaffnung und eine Senkung der Staatsausgaben in Verbindung mit steuerlicher Umverteilung und Gewerbeförderung.

In Stuttgart kandidierte bei den Wahlen am 1. August der liberale Landtagspräsident Wilhelm Murschel (1795-1869) gegen Mohl als Vertreter der Demokraten. Letztlich setzte sich Murschel entgegen dem Landestrend in der liberalen Hochburg Stuttgart durch. In Württemberg insgesamt gewannen die Demokraten knapp 44 der 64 Sitze. Die Liberalen kamen auf 20 Abgeordnete. Das Ministerium Römer bot deshalb König Wilhelm I. (1781-1864) seinen Rücktritt an, den dieser jedoch ablehnte.

Am 12. Oktober 1849 legt schließlich das Ministerium Römer dem König einen ersten Verfassungsentwurf vor. Dieser sah ein Zweikammerparlament vor. Eine Kammer sollte nach dem Wahlrecht vom 1. Juli 1849, die andere Kammer, der „Senat“, indirekt aus Vertretern der Amtsversammlungen und Obmännern der Bürgerausschüsse gewählt werden. Zudem sah der Entwurf umfassendere Rechte für die Kammern vor – Wilhelm I. lehnte diesen Entwurf ab. Wenig später kam es aufgrund von nationalpolitischen Differenzen zur Entlassung des Ministeriums Römer: Zwei Minister unterstützten die Bemühungen Preußens, im Zusammenspiel mit Sachsen und Hannover eine kleindeutsche Reichseinigung herzustellen, während Wilhelm I. dieses Projekt vehement ablehnte. Der König wechselte die gesamte Regierung aus und berief am 28. Oktober Johannes Schlayer (1792-1860), der bereits von 1832 bis 1848 an der Spitze der Regierung gestanden hatte, zum Innenminister.

Sowohl von den Demokraten wie auch von den Liberalen wurde Schlayer als Vertreter der Reaktion angesehen, sodass er in der ersten Verfassunggebenden Landesversammlung keinerlei Rückhalt hatte. Immerhin bekannte sich Schlayer zu den von der Paulskirche verabschiedeten Grundrechten, nicht jedoch zur Gültigkeit der Reichsverfassung. Dementsprechend fehlte im Eid der Abgeordneten der Hinweis auf diese, weshalb die meisten Parlamentarier den Eid nur unter Protest ablegten.

Für die Demokraten hatte inzwischen Mohl, der in Aalen gewählt worden war, einen konkurrierenden Verfassungsentwurf erarbeitet: Dieser sah ein Einkammerparlament mit 64 Abgeordneten vor, gewählt entsprechend den Bestimmungen des Wahlgesetzes vom 1. Juli 1849. Mohl wollte die Rechte dieser Kammer auf das Feld der Außenpolitik erweitert wissen. Zudem sollte sich die Kammer nach Mohl selbst versammeln dürfen sowie über ein umfassendes Budgetrecht und das Initiativrecht für Gesetze verfügen. Wenngleich Mohl dem König noch ein Veto zubilligte und der Monarch die Kammer auflösen konnte, so zielte sein Entwurf letztlich auf die Schaffung einer parlamentarischen Monarchie. Im scharfen Gegensatz hierzu stand das Konzept Schlayers. Dieses sah eine „Volkskammer“ vor, die nach einem Klassenwahlrecht gewählt werden sollte, wobei die Hälfte der Volksvertreter indirekt gewählt werden sollte. Daneben wünschte Schlayer die Schaffung eines Oberhauses, in dem Vertreter der Amtsversammlungen und der Höchstbesteuerten neben den Prinzen des Hauses Württemberg sowie Abgeordneten der Kirchen, der Universitäten sowie der Zentralstellen für Landwirtschaft wie Gewerbe und Handel sitzen sollten.

Schon allein aufgrund der von Schlayer intendierten Aufhebung des Wahlrechts vom 1. Juli 1849 stand für die Demokraten der Verfassungsentwurf des Innenministers im Widerspruch zu den Grundrechten. Zudem werteten die Demokraten den fehlenden konstitutionellen Verweis im Eid der Abgeordneten als Verfassungsbruch. Dementsprechend deutlich formulierten sie ihre Ablehnung in einer Botschaft an den König, der im Gegenzug am 22. Dezember 1849 die erste Verfassunggebende Landesversammlung auflöste.

Aus den Neuwahlen am 19. Februar 1850, die wiederum auf der Grundlage des Wahlgesetzes vom 1. Juli 1849 erfolgten, gingen die Demokraten mit einer Dreiviertelmehrheit hervor. In Stuttgart konnte, wie auch später bei den Wahlen für die dritte Verfassunggebende Landesversammlung, mit Albert Schott (1781-1862) ein Demokrat das Mandat erringen. Die Eröffnung der zweiten Verfassunggebenden Landesversammlung erfolgte am 16. März 1850. Im Rahmen der Thronrede griff Wilhelm I. die Versuche Preußens, eine deutsche Einigung unter seiner Führung zu erreichen, überaus scharf an. Zugleich zeigte sich Wilhelm I. darüber verärgert, dass die beiden hohenzollerischen Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen, die er gerne für Württemberg gewonnen hätte, im Gefolge der Revolution Teil des Königsreich Preußen geworden waren. Als Folge der Thronrede brach Preußen die diplomatischen Beziehungen zu Württemberg ab.

Im März und April 1850 war die zweite Landesversammlung zunächst noch vertagt. In einem Ausschuss berieten Parlament und Regierung über die Verfassungsfrage. Zu einer Einigung kam es nicht, zumal der von Schlayer dieses Mal vorgelegte Entwurf noch konservativer ausfiel. Zum Bruch zwischen zweiter Verfassunggebender Landesversammlung und Regierung kam es aber auf dem Feld der Deutschen Frage. Wilhelm I. hatte sich im Februar 1850 dem sogenannten Vierkönigsbündnis angeschlossen, das auf eine Wiederherstellung des Deutschen Bundes unter Einbeziehung ganz Österreichs zielte. Die Mehrheit der zweiten Verfassunggebenden Landesversammlung, die sich der Durchsetzung der Paulskirchenverfassung verschrieben hatte, missbilligte dieses Bündnis bzw. bestritt die Kompetenz von Außenminister Karl von Wächter-Spittler (1798-1874) zu diesem Bündnisabschluss. Dementsprechend klagte sie von Wächter-Spittler erfolglos vor dem Staatsgerichtshof an. Im Gegenzug kam es zur Auflösung der zweiten Verfassunggebenden Landesversammlung. Da Schlayer diese im Augenblick noch nicht vollziehen wollte, war er vom König durch Freiherr Joseph von Linden (1804-1895) ersetzt worden.

Auch das Ministerium Linden schrieb ein weiteres Mal Wahlen für eine Verfassunggebende Landesversammlung aus, erneut auf der Grundlage des Wahlgesetzes vom 1. Juli 1849. Bei allerdings stark gesunkener Wahlbeteiligung konnten die Demokraten ihren Wahlerfolg wiederholen. Linden präsentierte der dritten Verfassunggebenden Landesversammlung einen auf den ersten Blick entgegenkommenden Verfassungsentwurf: Dieser sah ein Zweikammersystem vor, wobei beide Kammern nach einem Klassenwahlrecht in unterschiedlich großen Wahlkreisen indirekt gewählt werden sollten. Für die Zeitgenossen war unklar, ob Linden diesen Entwurf überhaupt ernst meinte. Konfliktfeld zwischen Parlament und Regierung wurde wiederum die Deutschlandpolitik. Wilhelm I. hatte inzwischen Mitte Oktober mit Österreich ein Bündnis zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes abgeschlossen, wobei zur Verwirklichung dieses Ziels notfalls auch ein Krieg in Betracht gezogen wurde. Dementsprechend verlangte die Regierung vom Parlament Mittel in Höhe von 300.000 Gulden, die die dritte Verfassunggebende Landesversammlung verweigerte. Linden löste das Parlament am 6. November 1850 auf. Das Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 wurde suspendiert. Der König regierte mit Notverordnungen, zugleich wurde eine Neuwahl der Kammer gemäß der Bestimmungen von 1819 angekündigt. Vergeblich bestellte der demokratische Präsident der dritten Landesversammlung, Adolf Schoder (1817-1852), einen landständischen Ausschuss, der gegen das Vorgehen der Regierung protestierte. Die Regierung ließ das Landtagsgebäude in Stuttgart kurzerhand besetzen. Der Landtag trat 1851 entsprechend den Bestimmungen der Verfassung von 1819 wiederum zusammen. Im März 1852 gab die nun wieder liberal-konservative Landtagsmehrheit in einer Abstimmung die Grundrechte als Landesgesetz preis. Der Deutsche Bund hatte die Aufhebung der Grundrechte bereits im August 1851 dekretiert.

Die Revolution blieb trotzdem nicht ohne Folgen: Es war zur Einführung von Schwurgerichten gekommen, genauso wie es nunmehr keine lebenslänglich gewählten Gemeinderäte mehr gab. Durch die Ablösung der Feudallasten hatte sich die Rechts- und Wirtschaftsordnung der bäuerlichen Gesellschaft grundlegend verändert. Auch war eine politische Öffentlichkeit entstanden, an die in der Neuen Ära ab dem Ende der 1850er Jahre wieder angeknüpft wurde.

Text: Michael Kitzing
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Rumpfparlament
Quellenhinweise:

Verhandlungen der Württembergischen Kammern und der Verfassungsberathenden Landesversammlungen des Königreichs Württemberg 1848-1850, hg. und eingeleitet von Werner Schubert, Unveränderter Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1848-1850, 13 Bände Vaduz 1991.

Literaturhinweise:

Albert Eugen Adam, Ein Jahrhundert Württembergischer Verfassung, Stuttgart 1919.
Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1848-1850, Düsseldorf 1977.
Walter Grube, Der Stuttgarter Landtag: 1457-1957. Von den Landständen zum demokratischen Parlament, Stuttgart 1957.
Dieter Langewiesche, Liberalismus und Demokratie in Württemberg zwischen Revolution und Reichsgründung, Düsseldorf 1974.
Bernhard Mann, Württemberg 1800-1866, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Band 3: Vom Ende des Alten Reiches zum Ende der Monarchie, hg. im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg von Hansmartin Schwarzmaier, Stuttgart 1992, S. 235-331.
Bernhard Mann, Kleine Geschichte des Königreichs Württemberg 1806-1918, Leinfelden-Echterdingen 2006.
Franz Mögle-Hofacker, Zur Entwicklung des Parlamentarismus in Württemberg. Der „Parlamentarismus der Krone“ unter Wilhelm I., Stuttgart 1981.
Thomas Schnabel, Nachwirkungen. Württemberg und die Reichsverfassung 1849 bis 1852, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart (Hg.), Rettet die Freiheit. Das Rumpfparlament 1849 in Stuttgart – eine Revolution geht zu Ende, Stuttgart 1999, S. 76-87.
Jörg Westermayer, Politik als Beruf. Der Parlamentarier Moriz Mohl 1802-1888, Düsseldorf 1998.

Publiziert am: 29.05.2024
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Verfassunggebende Landesversammlungen 1849/50, publiziert am 29.05.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/b79d9da0-3c21-40fd-9882-94d7d09e98e6/Verfassunggebende.html