Der 1912 erbaute, heute denkmalgeschützte Degerlocher Wasserturm war zentraler Bestandteil des Wasserversorgungssystem Degerlochs und weiterer Gemeinden auf den Fildern. Die frühe Stahlbetonkonstruktion ist von hohem architektonischen Wert. Mit ihr verbinden sich zugleich Einblicke in die Geschichte der württembergischen kommunalen Wasserversorgung.

Der Degerlocher Wasserturm war ein hochwichtiger Bestandteil des weitverzweigten Stuttgarter Wassernetzes, er regulierte bis vor wenigen Jahren jeden Tag die Wasserversorgung zehntausender Stuttgarter Bürger. Seine Geschichte führt in die früheste Frühzeit der kommunalen Wasserversorgung im Königreich Württemberg und damit zum Beginn dessen, was heute umfassend „kommunale Daseinsvorsorge“ genannt wird.

Der Turm war noch von der Filderwasserversorgung (FWV), die seit 1906 die Wasserversorgung Degerlochs betrieb, für deren Verbesserung projektiert worden. Nach der Eingemeindung Degerlochs nach Stuttgart 1908 wurde er sozusagen als „Joint Venture“ von FWV und Städtischem Wasserwerk Stuttgart verwirklicht. Bauherr war noch die FWV, die Planung lag beim Städtischen Hochbauamt Stuttgart, gebaut wurde er von der Stuttgarter Eisenbetonbaugesellschaft in den Jahren 1911/12, die Kosten teilten sich FWV und Stadt Stuttgart.

Der Turm stellt eines der frühesten Stahlbetonbauwerke Süddeutschlands dar. Diese damals sehr moderne Konstruktion prägt als hohes Mittelstück auch das Bild des 31 Meter hohen Turms. Die acht hellen Sichtbeton-Eckpfeiler, ergänzt durch weiter 16 Betonstützen und ausgefacht mit roten Klinkersteinen, sitzen auf einem hohen oktogonalen Sockel und tragen oben den 400 Kubikmeter fassenden Wasserbehälter, ebenfalls aus Stahlbeton und umgeben von einem Revisionsgang mit Fenstern. Den oberen Abschluss bildet ein Ziegeldach in Holzkonstruktion. Bis auf Wasserbehälter, Leitungen, Treppe und Stützkonstruktionen ist das Innere des Turms leer und weiß. Seit 1986 steht er unter Denkmalschutz.

In mehreren Veröffentlichungen wird übrigens Paul Bonatz als Architekt des Wasserturms bezeichnet, aber weder das Baugesuch noch der Bescheid zur Denkmalwürdigkeit nennen seinen Namen; auch sonst fehlen konkrete Nachweise.

Wenige Meter westlich des Turmeingangs deutet eine verblassende blaue Markierung auf der Teerdecke den Vorgänger des heutigen Turms an, der an dieser Stelle am höchsten Punkt der alten Degerlocher Gemarkung stand (485 Meter über Normalnull). Erbaut 1897, lediglich 13 Meter hoch und mit einem 70-Kubikmeter-Stahlbehälter auf gemauertem Unterbau ausgestattet, war er Teil der alten Wasserversorgung von 1872 der selbstständigen Gemeinde Degerloch. Ihr Kernstück war das alte Degerlocher Wasserwerk in der Rosshaustraße 61, im Volksmund „Dampfhaus“ genannt und heute Naturfreundehaus. Das erste Wasserwerk auf den Fildern war eines der allerersten im Königreich Württemberg und ist heute das älteste noch erhaltene kommunale Wasserwerk auf Stuttgarter Gemarkung. Diese wahre Pioniertat wurde von Oberbaurat Karl Ehmann, dem „Ersten Staatstechniker für das öffentliche Wasser-Versorgungs-Wesen“ errichtet, der später auch die berühmte Albwasserversorgung und das Wasserwerk Berg schuf.

Degerloch und sein Schultheiß Wilhelm Gohl nahmen die staatliche Unterstützung, die König Karl seinen Kommunen seit 1869 in Form kostenloser Beratung in Sachen Wasserversorgung durch Ehmann anbot, gern an. Dies war auch bitter nötig, denn das Dorf litt seit Jahrhunderten unter akuter Wassernot. Auch durch seine neue Wasserversorgung hatte das bisherige Bauern- und Weingärtnerdorf Degerloch plötzlich einen Standortvorteil, wandelte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts grundlegend und definierte sich neu als bevorzugtes Wohngebiet mit „Villenkolonie“, als Ausflugsort der Stuttgarter aus dem stickigen Kessel, als Luftkurort mit Sanatorien und Kurhotel – was unter dem früheren Zustand des Degerlocher Wassers undenkbar gewesen wäre.

Man muss sich die schwierige Wassersituation Mitte des 19. Jahrhunderts in Degerloch vor Augen führen, um den Impuls für die Entwicklung der Gemeinde zu würdigen, der von der Verfügbarkeit des sauberen und reichlichen Wassers ausging. Im Ort selbst gab es keine öffentlichen Brunnen; Wetten, also Teiche mit stehendem Wasser, dienten als Viehtränke, Feuerlöschteiche und Waschwasser. Das Wasser war verschlammt und besonders im Sommer oft stinkend. Das Trinkwasser musste von Schöpfbrunnen vor allem im Ramsbachtal mit Butten oder Fässern in die Häuser geschafft werden, Dementsprechend schlecht waren die hygienischen Verhältnisse und die Säuglingssterblichkeit war besonders hoch, wie die Oberamtsbeschreibung von 1851 feststellte. Das Ehmann‘sche Wasserwerk fasste die Schüttung der verschiedenen Quellen in einem Sammelbehälter in der Falterau zusammen. Von dort wurde das Wasser per Dampfkraft in ein höher gelegenes Reservoir etwa am heutigen Hainbuchenweg 10 gepumpt, von wo es per Schwerkraft ins Dorf lief. Das fließende Wasser war zwar ein gewaltiger Fortschritt, und die Degerlocher feierten dies mit einem großen Wasserfest am 18. November 1872. Aber ausgerechnet die anspruchsvollen neuen „Villenkolonisten“ konnten nicht ganz glücklich sein: Manche ihrer Villen lagen fast auf gleicher Höhe mit dem Reservoir, sodass das Wasser nur den Keller erreichte oder zusätzliche Pumpenanlagen errichtet werden mussten.

So war es nur folgerichtig, dass die Gemeinde nach einer Wasserwerkserweiterung 1893 infolge erneuten Wassermangels 1897 einen Wasserturm erbaute, eben den fast an gleicher Stelle gelegenen Vorgänger des heutigen Wasserturms. Damit verbesserten sich die Druckverhältnisse, waren aber wegen der geringen Höhe des Turms immer noch nicht ideal. Als sich das stetig wachsende Degerloch um 1900 erneut um seine Wasserversorgung kümmern musste, kam, maßgeblich auf sein Betreiben, gemeinsam mit den Nachbargemeinden 1904 die Filderwasserversorgung zustande, die bis 1906 nach den Plänen von Hermann Ehmann gebaut wurde, dem Vetter und Nachfolger im Amt von Karl Ehmann. Das alte Degerlocher Wasserwerk wurde daraufhin stillgelegt. Die FWV pumpte nun vom neuen Wasserwerk Neckartailfingen das Neckarwasser auf die Filder. Der alte Degerlocher Wasserturm wurde auch gleich durch einen neuen abgelöst, den heutigen Turm, der mit seiner Höhe und großen Kapazität viele Probleme in Degerloch löste; der alte wurde 1912 abgerissen, nachdem sich der neue im Probebetrieb bewährt hatte.

Ursprünglich nur für die Versorgung von Degerloch vorgesehen, wuchs die Bedeutung des neuen Turms über die Jahre, vor allem nachdem 1919 das Städtische Wasserwerk Stuttgart den technischen Betrieb der Wasserversorgung übernommen hatte. 1927 wurde mit dem Pumpwerk Wernhalde eine Verbindung zur Landeswasserversorgung eingerichtet und 1930 ein Wasserbehälter mit 1500 Kubikmeter unmittelbar hinter dem Turm errichtet, der 1950 mit einer zweiten Kammer um 5000 Kubikmeter ausgestattet wurde. Ab da versorgte der Turm Degerloch, Sillenbuch, Rohracker, Heumaden, Riedenberg, Plieningen, Kemnat und Ruit. Das Wasser kam immer noch aus Neckartailfingen, bis 1958 die Bodenseewasserversorgung anfing zu liefern. Mit der erzwungenen Eingemeindung der Fildervororte 1942 ging auch das Eigentum am Wasserturm an die Technischen Werke Stuttgart (TWS) über, die die Wasserversorgung der Vororte übernahmen. Nach dem Aufgehen der TWS in den Neckarwerken Stuttgart (NWS) 1997 und deren Verkauf 2003 an die EnBW ist diese heute Eigentümerin des Turms. Sie hat 2008 die beiden alten Wasserhochbehälter durch einen neuen mit 15.000 Kubikmeter Fassungsvermögen ersetzt; seither ist der alte Turm nach 96 Jahren Einsatz funktionslos – der Wasserdruck im Netz für rund 90.000 Kunden wird nun nicht mehr von ihm, sondern von Pumpen aufrechterhalten.

Immer wieder wurden danach Überlegungen bekannt, wie der Bau künftig genutzt werden könnte. Größtes Hindernis für eine Umnutzung ist, dass auch der Stahlbeton-Wasserbehälter als technisches Denkmal nicht angetastet und damit kein Platz im Turmkopf geschaffen werden kann. Trotz der sichtbaren Schäden präsentiert sich der Turm an der Jahnstraße auch heute noch markant, massiv und doch elegant durch die rot-weiße Gliederung seiner Stahlbeton-/Klinkerfassade und die fragilen Sprossenfenster als ein Industriedenkmal, das deutlich den Stolz seiner Erbauer auf ihre Einrichtung ausdrückt.

Text: Helmut Doka
Schlagwort: Stuttgart-Degerloch
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 11 Depot B Nr. 1038, 904 Degerloch Nr. 489.

Literaturhinweise:

Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau, Stuttgart 1851.
Karl von Ehmann, Das öffentliche Wasser-Versorgungswesen im Königreich Württemberg. Denkschrift, Stuttgart 1876.
Marina Geitz, Es ist viel Wasser den Turm hinuntergeflossen, in: Stuttgarter Zeitung, Ausgabe Blick vom Fernsehturm, 16.05.2008, S. IV.
Walter Meyer-König, 75 Jahre Filderwasserversorgung 1904-1979, Leinfelden-Echterdingen 1979.
Technische Werke der Stadt Stuttgart (Hg.), 50 Jahre Filderwasserversorgung, Stuttgart 1954.
Rudolf Weißer, Die Wasserversorgung der Filder, in: Stuttgarter Neues Tagblatt vom 20.08.1928, Nr. 388, Abend-Ausgabe.
Rudolf Weißer, Denkmale der Filder, Vaihingen-Stuttgart 1929.
Zweckverband Filderwasserversorgung (Hg.), Wasser für die Filder. 100 Jahre Filderwasserversorgung, Leinfelden-Echterdingen 2006.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Helmut Doka, Wasserturm Degerloch, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/bca29fb3-df68-404e-bfe3-847d110d0819/Wasserturm_Degerloch.html