Der aus einer bekannten Stuttgarter Familie stammende Volkswirt Moriz Mohl gehörte zu den ersten „Berufsparlamentariern“ in Deutschland. Im württembergischen Landtag hatte er wesentlichen Anteil an der Ausarbeitung der Gewerbeordnung von 1862, genauso wie er als Abgeordneter den Eisenbahnbau forcierte.

Mohl wurde in eine Familie der württembergischen Ehrbarkeit hineingeboren. Sein Vater, Benjamin Ferdinand Mohl (1766-1845), war zuletzt Präsident des evangelischen Konsistoriums, Sekretär der I. Kammer und 1830 kurzzeitig württembergischer Innenminister. Von den vier Brüdern Mohls traten Julius (1800-1870) als Orientalist sowie Hugo (1805-1872) als Botaniker hervor. Der älteste Bruder, Robert von Mohl (1799-1875), wurde Staatslehrer in Tübingen und Heidelberg und war unter anderem während der Revolution 1848/49 Reichsjustizminister. Eduard (1814-1844), der jüngste, studierte Philosophie, trat aber wenig öffentlich in Erscheinung.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Stuttgart studierte Moritz Mohl Staatswissenschaften in Tübingen und wurde am landwirtschaftlichen Institut in Hohenheim ausgebildet. Ab 1826 war er Referendar beim württembergischen Finanzministerium in Stuttgart, zwei Jahre später wurde er Assessor bei der Oberzolldirektion, ebenfalls in Stuttgart, und 1832 bis 1834 technischer Beirat des württembergischen Gesandtschaftsträgers in Berlin. In dieser Funktion war er 1832 für die Verhandlungen Württembergs mit Preußen über den Beitritt Württembergs zum Zollverein verantwortlich. Die Verhandlungsrunde von 1832 scheiterte, was Zeitgenossen Mohl persönlich anlasteten. So warf ihm sein eigener Bruder Robert eine Überschätzung der eigenen Anschauungen vor, zugleich habe Moriz bei diesen Verhandlungen wie auch später an anderer Stelle die Argumente des Gegenübers nicht gelten lassen, vielmehr den Verhandlungspartner regelrecht als Feind angesehen. Außerdem habe sein jüngerer Bruder seiner Ablehnung gegenüber Preußen freien Lauf gelassen.

Zwischen 1834 und 1848 verblieb Mohl im Staatsdienst, wobei er bis 1841 zum wirklichen Obersteuerrat aufstieg; dienstliche Verwendung fand er in dieser Zeit u. a. beim Königlich württembergischen Steuerkollegium in Stuttgart, jedoch wurde er auch zweimal für kürzere Zeit als Finanzrat zur Finanzkammer in Reutlingen versetzt. Vor allem aber unternahm Mohl 1835 bis 1841 ausgedehnte wissenschaftliche Studienreisen nach Frankreich. Ergebnis dieser Studienreisen war der Ankauf ausgewählter französischer Gewerbeprodukte durch Mohl, die den Grundstock der Mustersammlung der Zentralstelle für Gewerbe und Handel bildeten. Später wurden sie im Landesgewerbemuseum in Stuttgart gezeigt. Insgesamt erwarb Mohl 982 Musterprodukte, die für Gewerbetreibende in Württemberg Anleitung und Motivation für eigene Weiterentwicklungen darstellen sollten. Zudem fasste Mohl die Erkenntnisse seiner Reisen in der umfassenden Schrift „Aus den gewerbswissenschaftlichen Ergebnissen einer Reise nach Frankreich“ zusammen, die zugleich seine wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen beinhaltete. So setzte er sich für eine gezielte staatliche Gewerbepolitik ein. Umfassende Förderung sollte nach Mohl die gewerbliche Bildung erhalten, genauso wie er sich für die Aufhebung des Zunftwesens bzw. die Einführung der Gewerbefreiheit einsetzte. Zudem wünschte Mohl Zollschutz für die sich gerade erst entwickelnde württembergische Industrie. Zugleich entwickelte Mohl anhand der Städte Geislingen, Göppingen und Schwäbisch Gmünd beispielhaft Pläne, wie die Industrialisierung vor Ort vorangetrieben werden könnte. – Auch über diese Studie hinaus veröffentlichte Mohl noch in den 1840er Jahren eine Vielzahl von tagespolitischen Schriften zu ökonomischen Fragen. In der Literatur ist Mohl gar als "Prophet der kommenden Industrialisierung" Württembergs bezeichnet worden.

Am Beginn der Revolution nahm Mohl am Vorparlament teil, im April 1848 wurde er, obwohl dauerhaft in Stuttgart wohnhaft, für den Bezirk Aalen-Heidenheim in die Nationalversammlung gewählt. Zu diesem Zeitpunkt quittierte Mohl den Staatsdienst, um sich ganz seiner Tätigkeit in Frankfurt zu widmen. Zwar wählte ihn die Bevölkerung Heidenheims im Mai 1848 auch in den Stuttgarter Landtag, doch verzichtete er aufgrund der großen Arbeitsbelastung in Frankfurt zunächst auf ein zweites Mandat. Beginnend mit der ersten Verfassunggebenden Landesversammlung 1849 gehörte er jedoch durchgehend 38 Jahre für den Wahlkreis Aalen dem Stuttgarter Parlament an.

Nur dank seines familiären Erbes und seiner überaus sparsamen Lebensweise – es heißt, Mohl habe nie auch nur eine Gaststätte besucht – konnte er sich ganz der Politik widmen. Seine Publikationen waren ein Zuschussgeschäft. Der württembergische Landtag zahlte immerhin Sitzungsgelder von fünfeinhalb Gulden, doch war die Sitzungsfrequenz des Stuttgarter Parlaments unregelmäßig, sodass die hieraus resultierenden Einnahmen unterschiedlich ausfielen.

In der Paulskirche verstand sich Mohl als freier und unabhängiger Parlamentarier, der meist mit der gemäßigten Linken stimmte und einen großdeutschen Standpunkt vertrat. Zudem arbeitete er fleißig im volkswirtschaftlichen Ausschuss mit und setzte sich in diesem wiederum für die Aufhebung der Zünfte ein. Daneben bildete die Abschaffung des Adels eines der zentralen Themen Mohls, dabei sollte der Adel nicht nur seine rechtlichen Privilegien verlieren, auch dessen gesellschaftliche Vorherrschaft sollte gebrochen werden. Ein erheblicher Schatten fällt auf die Tätigkeit Mohls in der Nationalversammlung, weil er der jüdischen Minderheit die staatsbürgerliche Gleichberechtigung versagen wollte, sondern vielmehr forderte, diese sollte einer Sondergesetzgebung des Reiches unterstellt werden. Gabriel Riesser (1806-1863) parierte die unrühmlichen antisemitischen Ausfälle Mohls souverän, sodass dessen Anträge deutlich unterlagen.

Der Nationalversammlung bzw. dem Rumpfparlament gehörte Mohl bis zu dessen erzwungener Auflösung Mitte Juni 1849 an. Als Mitglied der verfassunggebenden Landesversammlungen und des Landtags in den 1850er Jahren bekämpfte Mohl die allmählich stärker werdende Reaktion. So protestierte er vergeblich gegen die Aufhebung der Grundrechte wie auch die Einführung der Todesstrafe auf Hochverrat oder der Prügelstrafe auf Bettelei.

Am Beginn der 1850er Jahre konnte Mohl ohne weiteres der Volkspartei zugerechnet werden, doch betonte er stets seine Unabhängigkeit, genauso wie er sich vorbehielt, im gegebenen Fall auch mit der Regierung zu stimmen. Dabei beanspruchte Mohl für sich stets eine Position zu vertreten, die auf eingehenden wissenschaftlichen Überlegungen fuße. Die Forschung hat nachgewiesen, dass Mohl beim Abfassen von Gesetzentwürfen einer Systematik folgte, die zugleich in den Lehrbüchern seines Bruders Robert vertreten wurde. Zunächst gehe es darum, die bestehende Gesetzeslage zu studieren, um anschließend alle für das Gesetzesvorhaben relevanten Fakten zu ergründen und sich in einem dritten Schritt mit entsprechenden Gesetzen und Anschauungen in anderen Ländern vertraut zu machen. In diesem Zusammenhang, auch dies konnte die Forschung nachweisen, entwickelte Mohl, gleichsam als Einzelner und bahnbrechend, das Verfahren der Enquete bei der Ausarbeitung von Gesetzen, egal ob es um ein Weidegesetz ging, um Fragen des Hausiererhandels, eine Steuerreform oder um den Ausbau des Eisenbahnnetzes. Mohl versuchte, soweit es die Regierung gestattete, Akteneinsicht zu erhalten, er wandte sich mit Fragebögen an Betroffene, er nahm die entsprechende Angelegenheit persönlich in Augenschein und er befragte Experten, genauso wie er versuchte, sein Wissen um ausländische Beispiele mit einfließen zu lassen.

Das Ergebnis waren zum Teil mehrere Hundert Seiten starke Kommissionsberichte, die über Jahre hinweg ausgearbeitet und in mehrstündigen Parlamentsreden vorgestellt wurden. Mohls Engagement war vorbildlich, zugleich blieb er aber häufig im Detail stecken und überforderte den durchschnittlichen Parlamentarier in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zudem war Mohl überaus stark von sich eingenommen und eckte damit bei den Parlamentskollegen wie auch bei der Regierung an. – Dennoch: Mit großem Erfolg arbeitete Mohl an der württembergischen Gewerbeordnung von 1862 mit. Endlich kam es zur Aufhebung des Zunftwesens und zur Einführung der Gewerbefreiheit. Genauso setzte er sich oft gegen die kurzfristigen Interessen von Kommunen und privaten Waldbesitzern für die Pflege des Waldes ein, dessen ökologische Bedeutung für das Klima er stets betonte. Beim Ausbau des Eisenbahnnetzes war er gleichermaßen treibende Kraft. Hierbei war er ein nachdrücklicher Vertreter des Eisenbahnbaus auf Staatskosten. Privatbahnen lehnte er ab – damit konnte er dazu beitragen, dass Württemberg in den 1840er Jahren ein Bahnprojekt erspart blieb, das rein auf Spekulation basierte. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen lehnte er privat finanzierte Bahnen jedoch auch für Nebenstrecken ab. Selbst die Zahnradbahn von Heslach nach Degerloch sollte nach Überzeugung Mohls auf Staatskosten und nicht auf private Rechnung gebaut werden. Damit stand er im Gegensatz zur allgemeinen Lehrmeinung der Zeit.

In den 1860er Jahren stach Mohl als einer der schärfsten Gegner einer kleindeutsch-preußischen Einigung hervor. Dementsprechend lehnte er die Freihandelspolitik Preußens und damit die Erneuerung des Zollvereins ab, genauso wie er nach dem Deutschen Krieg 1866 die Schutz- und Trutzbündnisse sowie die Einführung der preußischen Heeresverfassung in Württemberg bekämpfte.

1868 wurde Mohl in das Zollparlament sowie 1871 bis 1873 in den Deutschen Reichstag gewählt. Hier vertrat er einen stark partikularistischen Standpunkt, wobei er das Ziel verfolgte, die Übertragung des Zivilrechts auf das Reich zu verhindern, wie er auch kein einheitliches Münz- oder Postsystem wünschte. Genauso widersprach er der Einführung der liberalen Reichsgewerbeordnung und der Schaffung eines Reichseisenbahnamts. Erst am Ende der 1870er Jahre akzeptierte Mohl allmählich innerlich die Reichsgründung, nicht zuletzt deshalb, weil Otto von Bismarck (1815-1898) ab 1879 den Übergang zu dem von Mohl stets geforderten Schutzzoll vollzog.

Der überzeugte Junggeselle Mohl erfreute sich zeit seines Lebens blühender Gesundheit, erst 1887 ließen seine Kräfte nach, sodass er – bis dahin einmalig in der württembergischen Parlamentsgeschichte – von sich aus seinen Aalener Wählern sein Landtagsmandat zurückgab. Wenige Monate später verstarb Mohl am 18. Februar 1888 in Stuttgart.

Text: Michael Kitzing
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Rumpfparlament
Literaturhinweise:

Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848-1850, Düsseldorf 1977.
Peter Michael Ehrle, Moriz Mohl, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 691-692.
Otto Elben, Nekrolog Moriz Mohl, in: Schwäbisch Kronik Nr. 44 vom 22.02.1888, S. 309-310.
Frank Engehausen, Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Frankfurt am Main/New York 2023.
Bernhard Mann, Die Württemberger und die Deutsche Nationalversammlung, Düsseldorf 1975.
Robert von Mohl, Lebenserinnerungen 1799-1875, 2 Bde., Stuttgart 1902.
Frank Raberg (Bearb.), Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933, Stuttgart 2001, S. 575-577.
Gerhard A. Ritter, Berufsparlamentarier und Experten in deutschen Parlamenten des 19. und 20. Jahrhunderts: Moriz Mohl, Paul Singer, Hermann Molkenbuhr, in: Archiv für Sozialgeschichte 47 (2007), S. 527-552.
Eugen Schneider, Moritz Mohl, in: Allgemeine Deutsche Biographie 52 (1906), S. 430-434.
Jörg Westermayer, Politik als Beruf. Der Parlamentarier Moriz Mohl 1802-1888, Düsseldorf 1998.

GND-Identifier: 117090565
Publiziert am: 29.05.2024
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Moritz Mohl (1802-1888), publiziert am 29.05.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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