Der zwischen Tübinger Straße, Paulinenstraße und Kurze Straße (heute Feinstraße) gelegene dreiteilige Komplex hatte vor der Hauptfassade einen Platz mit Lindenbäumen, für den auch der Name „Lindle“ üblich war. Das fünfgeschossige Gebäude im Neurenaissance- und Barock-Stil war angelehnt an die Architektur historischer Stadtpaläste. Es besaß aufwendige Architekturdetails wie Ziervasen, Kartuschen und Skulpturen an der Fassade, schmiedeeiserne Balkongeländer und stilisierte Lindenblätter auf Dachfirst und Giebel.
Karl Hengerer (1863-1943) war in der Zeit des Historismus in Stuttgart ein bekannter Architekt. Neben zahlreichen Villen und großbürgerlichen Wohn- und Geschäftshäusern entwarf er auch die Arbeiterkolonien Ostheim und Südheim.
Hengerer ist 1895 und 1896 auch als Eigentümer des Gebäudes in den Adressbüchern genannt, ab 1897 dann die „Zum Lindle GmbH“. Hengerer hatte sie gegründet, da er einen Teil des Gebäudes nicht verkaufen konnte. Er gab Anteilsscheine an den Stuttgarter Baudirektor Albert von Bok sowie den Sozialpolitiker und Bankier Eduard Pfeiffer aus, dessen Arbeiterbildungsverein den Bau der Kolonie Ostheim beauftragt hatte.
Der Komplex Hauptstätter Straße 86 A-C beherbergte Wohnungen und Geschäfte sowie ein Café und Restaurant namens „Lindenhof“. Im Gastraum im Erdgeschoss war als großformatige Wanddekoration ein Gemälde von Christian Speyer (1855-1929) aus dem Jahr 1895 angebracht. Es zeigt den „Einzug der siegreichen württembergischen Truppen in Stuttgart am 29. Juni 1871“. Postkarten mit Reproduktionen des Gemäldes warben für das Restaurant. Ebenfalls auf Postkarten beworben wurde der mit Palmen und Wasserfontäne ausgestattete „Wirtschaftsgarten“ im Innenhof, der Platz für rund 400 Personen bot. Die Tische für je acht Personen konnten mit Segeltuch vor der Sonne geschützt werden und waren in zwei Reihen um ein überdachtes Wasserbassin mit umlaufendem Weg und Begrünung gruppiert.
Links und rechts des Restaurants mit Küche, Gastraum und Saal hatte Hengerers Geschäftsräume sowie an der Ecke zur Paulinenstraße einen Laden vorgesehen. Im Zwischengeschoss sowie dem ersten bis dritten Stock befanden sich je vier 5- bis 8-Zimmer-Wohnungen mit Küche, Toilette und eigenem Badezimmer. Im Dachgeschoss waren neben Waschküchen und Bügelzimmern auch zahlreiche kleine Kammern und Zimmer für das damals übliche Dienstpersonal eingeplant.
Im Jahr 1896 war ein Damenkonfektionsgeschäft in dem Komplex untergebracht, aber auch das Architekturbüro von Karl Hengerer. 1921 wurde das Restaurant umgebaut und dessen Räume fortan als Büros genutzt. Im Adressbuch von 1930 werden in der Hauptstätter Straße 86 A-C eine Furnierhandlung, ein Privattanzlehrinstitut, aber auch verschiedene Kaufleute aufgeführt.
In den repräsentativen großbürgerlichen Wohnungen lebten meist wohlhabende Stuttgarter. Eine der Wohnungen im Lindenhof bewohnten seit 1919 die Geschäftsleute Israel Isidor und Esther Pomeranz, geb. Silber, mit ihren vier Kindern. Ihr Schicksal, dass die Stuttgarter Stolpersteininitiative recherchiert hat, steht für viele Stuttgarter Juden: Während die Kinder nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten noch im Ausland in Sicherheit gebracht werden konnten, wurden die Eltern 1938 verhaftet, nach Polen deportiert und im Vernichtungslager Majdanek ermordet.
Der Lindenhof brannte im Zweiten Weltkrieg großteils aus und wurde zur Ruine. Im Jahr 1950 befand sich daher nur noch Hausnummer 86 A im Adressbuch – mit einem einzigen Eintrag. In dem noch nutzbaren Teil betrieb in den 1950er Jahren der Rennfahrer Ernst Lautenschlager die Bar Maxim, ein „Nachtkabarett“, in dem Striptease-Aufführungen geboten wurden. Auf dem Platz vor der Lindenhof-Ruine wurde eine Tankstelle errichtet. Ende 1959 wurde das Gebäude Hauptstätter Straße 86 komplett abgebrochen, da in der Folgezeit an dieser Stelle der Verkehrsknoten Österreichischer Platz gebaut wurde.