Gerda Taro schuf im Spanischen Bürgerkrieg mit ihrem Partner Robert Capa die moderne Kriegsfotografie. Die Stuttgarterin, die vor den Nazis geflohen war, revolutionierte die Berichterstattung und war die erste Kriegsfotografin, die bei der Arbeit ums Leben kam.

Gerda Taro wurde als Gerta Pohorylle am 1. August 1910 in Stuttgart geboren. Die Eltern Heinrich und Gisela Pohorylle waren ein Jahr zuvor aus Ostgalizien ins Königreich Württemberg eingewandert, wo seit langem Verwandtschaft ansässig war, die sich im Eierhandel betätigte. Der Vater betrieb erst in Reutlingen, dann in Stuttgart ein Eierimportgeschäft. Die Tochter jüdischer Kaufleute ist in der Alexanderstraße aufgewachsen. Ab 1917 besuchte sie die Königin-Charlotte-Realschule in der Zellerstraße, die erste von der Stadt eingerichtete Höhere Mädchenschule. Obwohl in Deutschland geboren und aufgewachsen, war sie erst österreichisch-ungarische, nach 1919 polnische Staatsangehörige.

Nach Ende der Realschulzeit verbrachte sie 1927 ein weiteres Schuljahr in einem Pensionat für höhere Töchter am Genfer See, um ihre Englisch- und Französischkenntnisse zu vervollkommnen. Nach dem Auslandsaufenthalt kam auf der Höheren Handelsschule in der Rotebühlstraße als dritte Fremdsprache Spanisch hinzu.

1929, im Jahr des Börsenkrachs und der Weltwirtschaftskrise, zog die Familie nach Leipzig. Das Erstarken der Nationalsozialisten und der zunehmende Antisemitismus führten zu einer raschen Politisierung. Die junge Jüdin fand Anschluss an Gruppen im Umfeld des Sozialistischen Schülerbunds und der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), die sich für eine Einheitsfront gegen Hitler einsetzte. 1933 an Flugblattaktionen beteiligt, wurde sie kurz nach dem Reichstagsbrand verhaftet. Jetzt war die Herkunft der Eltern hilfreich. Auf Druck des polnischen Konsulats kam sie nach knapp drei Wochen aus der Gefängnishaft frei.

Noch im Herbst 1933 floh sie nach Paris. In Frankreich waren die Flüchtlinge aus Nazideutschland nicht willkommen. Das Land litt stark unter den Folgen der Wirtschaftskrise. Im Umfeld der SAPD, die in Paris ihre Exilzentrale aufgebaut hatte, lernte sie u.a. Willy Brandt kennen. Seit 1934/35 lebte und arbeitete sie mit dem ungarischen Fotografen Endre Ernö (André) Friedman zusammen, der sie an der Kamera unterrichtete. Sie verkehrte mit den Fotografen Henri Cartier-Bresson und „Chim“ David Seymour, arbeitete als Bildagentin bei der Fotoagentur Alliance Photo, seit Februar 1936 auch für A.B.C.-Press-Service in Amsterdam. Mit den international klingenden Künstlernamen Gerda Taro und Robert Capa hoffte das jüdische Fotografenpaar Diskriminierungen überwinden und ihre Fotos besser verkaufen zu können.

Seit Anfang August 1936 in Spanien, fotografierte sie zusammen mit Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg und veröffentlichte ihre Arbeiten unter „Photo Taro“ bzw. unter dem gemeinsamen Signet „Reportage Capa & Taro“. Ihre Bilder erschienen aber auch, wie in den 1930er Jahren oft noch üblich, gänzlich ohne Namen sowie unter Capas Namen. Dies begünstigte später, dass viele ihrer Arbeiten Robert Capa zugeschrieben wurden.

Gerda Taro fotografierte mit einer Spiegelreflexkamera (Mittelformat, quadratisches Bild), seit Februar 1937 mit einer Leica Kleinbildkamera (rechteckiges Bildformat). Es entstanden Fotogeschichte machende Bilder, wie das einer Milizionärin bei Schießübungen am Strand von Barcelona. In Madrid lernte sie Ernest Hemingway kennen, fotografierte die Schriftsteller André Malraux, Rafael Alberti, Anna Seghers und viele andere mehr.

Ein Jahr lang arbeitete Gerda Taro an nahezu allen Kriegsschauplätzen. Sie dokumentierte das Leid der Zivilbevölkerung und war die erste Frau, die direkt im Gefecht fotografierte. Ihre Fotos wurden über internationale Agenturen vertrieben. Sie erschienen in französischen und englischen Zeitschriften, amerikanischen Magazinen, in der Schweiz, in Prag, in den Niederlanden, Skandinavien usw. Während eines Angriffs der Legion Condor an der Madrider Front von einem republikanischen Panzer überrollt, starb die Fotografin in einem Frontspital. Nach öffentlichen Aufbahrungen in Madrid und Valencia wurde sie nach Paris überführt.

Gerda Taro wurde an ihrem 27. Geburtstag, dem 1. August 1937, in Paris beerdigt. Tausende folgten dem Sarg zum Friedhof Père-Lachaise und machten ihre Trauerfeier zu einer Kundgebung für die Spanische Republik. Unter ihnen Politiker und Dichter wie Pablo Neruda und Kollegen wie Henri Cartier-Bresson. Der Bildhauer Alberto Giacometti gestaltete ihr steinernes Grabmal.

Nach dem Spanischen Bürgerkrieg überlagerte der Zweite Weltkrieg mediengeschichtlich bald alles; die jüdische Emigrantin aus Stuttgart und ihr fotografisches Werk gerieten in Vergessenheit. Gerda Taros Familie war im Holocaust umgekommen, ihre Bilder aus dem Spanischen Bürgerkrieg wurden vielfach unter Robert Capas Namen vertrieben und erst 1994 von der Forschung wiederentdeckt. 2007 erweiterte der Fund des „Mexikanischen Koffers“ mit tausenden verschollen geglaubten Negativen aus dem Spanischen Bürgerkrieg ihr schmales Werk um über 800 Bilder. Der Bildnachlass von Gerda Taro wird im International Center of Photography (ICP) in New York betreut.

In Stuttgart erinnert seit 2008 der Gerda-Taro-Platz an die Pionierin der Kriegsfotografie. Die kleine Grünfläche im Stadtbezirk Mitte, wo Taro und ihre Familie gelebt hatte, wurde 2014 neu gestaltet und von OB Fritz Kuhn eingeweiht. Neun Stelen mit ihrem Namenszug informieren seitdem über Leben und Werk der Stuttgarterin.

Aufgewachsen in der Weimarer Republik, war Gerda Taro von der Bildästhetik der 1920er Jahre ebenso geprägt wie durch das kulturelle und politische Milieu ihres Pariser Exils. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte für Taro existenzielle Bedeutung; sie setzte sich über Frontverbote hinweg und strebte experimentierfreudig und risikobereit einen Blickwinkel als Teilnehmer an. Dieser fotohistorisch bedeutsame Perspektivenwechsel setzte neue Maßstäbe für die fotografische Kriegsberichterstattung und kostete Taro das Leben. Ihr Werk steht mit den Arbeiten ihres Partners Robert Capa am Beginn der modernen Kriegsfotografie.

Text: Irme Schaber
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Irme Schaber, Gerta Taro, Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg, Marburg 1994.
Irme Schaber, Gerda Taro – Fotoreporterin. Mit Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg, Marburg 2013.
Irme Schaber/Richard Whelan/Kristen Lubben (Hg.), Gerda Taro, New York/Göttingen 2007.
Richard Whelan, This is War! Robert Capa at Work, New York/Göttingen 2007.
Cynthia Young (Hg.), The Mexican Suitcase, The Rediscovered Spanish Civil War Negatives of Capa, Chim, and Taro, 2 Bde., New York/Göttingen 2010.

https://www.icp.org/browse/archive/collections/gerda-taro-september-26-2007-january-6-2008?page=3 [zuletzt aufgerufen am17.06.2017].
https://www.icp.org/browse/archive/collections/the-mexican-suitcase [zuletzt aufgerufen am17.06.2017].
https://www.appl-lachaise.net/appl/article.php3?id_article=388 [zuletzt aufgerufen am17.06.2017].

GND-Identifier: 119206706
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Irme Schaber, Gerda Taro (1910-1937), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/d2d602de-4d07-4199-bd8b-a3909c4828fd/Gerda_Taro_%281910-1937%29_.html