Geboren wurde Jella Lepman am 15. Mai 1891 in Stuttgart als Jella Lehmann. Der Vater Josef Lehmann (1853-1911), war Kaufmann, Fabrikant und Teilhaber der Firma Dreifus & Lehmann für Herrenkonfektion, die zunächst in der Marktstraße und ab 1910 in einem eigenen Gebäude, dem „Hansabau“ in der Paulinenstraße, ansässig war. Die Mutter Flora (1867-1940), geb. Lauchheimer, war die Tante des Soziologen Max Horkheimer.
Es war ein jüdisches-liberales Elternhaus, in dem Jella mit zwei Schwestern, der älteren Clara, der jüngeren Bertha, aufwuchs, zuerst in der Sophienstraße 19 A. In den folgenden Jahren wohnte die Familie dann in der Tübinger Straße 18, in der Weißenburgstraße 12 und in der Paulinenstraße 50. Jella Lehmann besuchte das Königliche Katharinenstift – bis 1903 in der Friedrichstraße, wo seinerzeit Mörike seine Fräuleinslektionen abgehalten hatte, dann am heutigen Platz in der Schillerstraße –, später verbrachte sie ein Jahr in einem Pensionat bei Lausanne und studierte Klavier.
Mit 17 Jahren organisierte sie 1908 eine internationale Lesestube für die Kinder der ausländischen Arbeiter in der 1906 von Emil Molt gegründeten Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart-Ostheim. Schon früh war Jella Lepman von der verständnisfördernden Bedeutung der Literatur überzeugt.
1913 heiratete sie den deutsch-amerikanischen Fabrikanten Gustav Horace Lepman (1877-1922), dessen Familie in 1850er Jahren in die USA ausgewandert und um die Jahrhundertwende zurückgekehrt war; er war Teilhaber der Bettfedernfabrik seines Vaters Lewis Lepman in Feuerbach. Im Ersten Weltkrieg war Gustave Horace Lepman Soldat in Frankreich, 1922 starb er an den Folgen seiner schweren Kriegsverletzungen.
Obwohl Mutter zweier kleiner Kinder – Annemarie war 1918 geboren, Günther 1921 – wurde Jella Lepman die erste weibliche Redakteurin beim liberalen Stuttgarter Neuen Tagblatt. Sie verfasste gesellschaftspolitische Artikel und gründete 1927 die Beilage „Die Frau in Haus, Beruf und Gesellschaft“, für die sie in der Folge auch arbeitete.
Zur Eröffnung des Tagblatt-Turms am 5. November 1928 erschien eine 108-seitige Sonderausgabe zum Stuttgarter Neuen Tagblatt in einer Auflage von 80.000 Exemplaren. Dafür verfasste Jella Lepman den Artikel „Die Stuttgarterin von heute“. Im selben Jahr erschien ihr Kinderbuch „Der verschlafene Sonntag“ im Hädecke Verlag und ihr Kindertheaterstück „Der singende Pfennig“ wurde im Kleinen Haus der Württembergischen Landestheater Stuttgart aufgeführt.
Als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und führend in deren Frauengruppe kandidierte Jella Lepman neben Theodor Heuss und Reinhold Maier 1929 für den Reichstag, allerdings ohne Erfolg.
Nach Hitlers Machtübernahme wurde ihr Vertrag als Redakteurin aufgelöst, bis 1935 beschäftigte man sie noch als freie Mitarbeiterin, 1936 emigrierte sie mit Tochter und Sohn über Italien nach England. 1940 wurde Jella Lepman Mitarbeiterin beim Deutschen Dienst des BBC, übernahm 1941 eine leitende Tätigkeit bei der neu geschaffenen „American Broadcasting Station in Europe“. Von dort wurde sie zur US-Botschaft in London versetzt, wo Vorbereitungen für eine europäische Nachkriegsillustrierte getroffen wurden.
Nebenbei veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Katherine Thomas einen Reader für den Deutschunterricht „Die Kinder vom Kuckuckshof, eine Detektivgeschichte aus dem Schwarzwald“ beim Verlag John Murray. Der Band erlebte zahlreiche Nachauflagen wie auch ihr 1943 in englischer Sprache erschienenes Buch „Women in Nazi Germany“.
Jella Lepman lebte die ganze Zeit, auch während der Bombenangriffe, in London, seit 1936 war sie staatenlos. Erst im November 1947 wurde ihrem Antrag auf die britische Staatsbürgerschaft stattgegeben. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat sie nie mehr beantragt.
Nach Kriegsende wurde sie gefragt, ob sie als „adviser for re-education“, als Beraterin für Frauen- und Jugendfragen, nach Deutschland gehen wolle – sie war 54. Sie entschloss sich, das Mandat anzunehmen: „Wäre es um die Erwachsenen gegangen, hätte ich keinen Augenblick gezögert, nein zu sagen. […] Die Kinder aber, lag der Fall hier nicht anders? […] Waren die Kinder Deutschlands nicht genauso schuldlos wie die Kinder überall auf der Welt, wehrlose Opfer furchtbarer Ereignisse?“, schrieb sie 1964 in ihren Lebenserinnerungen „Die Kinderbuchbrücke“.
Von Bad Homburg aus fuhr sie auf eigenen Vorschlag mit dem Jeep durch Süddeutschland, um – wie sie in der „Kinderbuchbrücke“ geschildert hat – „die Lage der Frauen und Kinder zu ergründen und Vorschläge für die ersten kulturellen Hilfsmaßnahmen zu machen“. Dabei kam sie auch nach Stuttgart, wo inmitten der zerstörten Stadt noch der Tagblatt-Turm stand, ihr einstiger Arbeitsplatz.
In ihren eigenen Erinnerungen werden diese Jahre mit den ganzen Nöten und Schwierigkeiten, ihrer Aufbruchsstimmung und eben Jella Lepmans Tatkraft lebendig; sie glühte für ihre Sache, neben Care-Paketen auch Nahrung für den Geist zu verbreiten.
Jella Lepman traf Freunde von einst wieder, Theodor Heuss, jetzt Kultusminister, und Elli Heuss-Knapp, Reinhold Maier, den ersten Ministerpräsidenten von Württemberg, den Buchhändler Konrad Wittwer. Und sie lernte Menschen kennen, mit denen sie über ihre Vision sprechen, mit deren Unterstützung sie sie realisieren konnte. „Die Kinder tragen keine Schuld an diesem Krieg, deshalb sollen ihre Bücher die ersten Boten des Friedens sein!“, heißt es in der „Kinderbuchbrücke“.
Ihre Idee war, eine Internationale Jugendbuchausstellung zu organisieren, um den deutschen Kindern und ihren Eltern nach zwölfjähriger Isolation zu zeigen, was in der Welt gelesen wurde. Sie bekam von ihren Vorgesetzten die Erlaubnis, Bücher und Kinderzeichnungen für die Ausstellung erbitten zu dürfen, schrieb unzählige Briefe an Verlage und Institutionen in zwanzig Ländern – mit fast allen hatte Deutschland sich im Krieg befunden. Sie erhielt aus Washington Geld, fand Unterstützung bei Eleanor Roosevelt und der Rockefeller Foundation. Und es klappte: Am 3. Juli 1946 wurde in München die erste Ausstellung eröffnet, mit etwa viertausend Kinder- und Jugendbüchern aus 20 Ländern, in denen man blättern und lesen konnte. Erich Kästner berichtete in der Neuen Zeitung, dass Kinder und Jugendliche das Haus der Kunst gestürmt hatten.
Für Stuttgart war Ähnliches geplant. Doch bis am 20. August 1946 in einigen instand gesetzten Räumen der Württembergischen Landesbibliothek eine Ausstellung mit rund viertausend internationalen Kinder- und Jugendbüchern eröffnet werden konnte, musste Jella Lepmann noch einige bürokratische Hürden überwinden, denn in den ausgebombten Städten war der Wiederaufbau von Wohnraum dringlicher als der von kulturellen Institutionen. Die Eröffnung erfolgte dann in Gegenwart der politischen Prominenz: des amerikanischen Militärgouverneurs, Oberst William W. Dawson, des Ministerpräsidenten Reinhold Maier, des Kultusministers Theodor Heuss, des Oberbürgermeisters Arnulf Klett und des Schweizer Generalkonsuls Eduard Suter.
In drei Wochen kamen 15.000 Besucher, insgesamt waren es bei weiteren Ausstellungen in München, Frankfurt, Hamburg und Berlin mehr als eine halbe Million. Dank des großen Erfolgs, den vorhandenen Beständen und ihrem immer beeindruckendem Elan gelang es Jella Lepman, die temporäre Ausstellung zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen, der 1949 eingeweihten Internationalen Jugendbibliothek (IJB) in München; dorthin war sie damals in die Redaktion der Illustrierten „Heute“, einem weiteren von der US-Militärregierung mit dem Ziel der demokratischen Umerziehung der Deutschen herausgegebenen Medium, versetzt worden und hatte unter anderen in Erich Kästner einen Mitstreiter gefunden – dem sie übrigens die Idee zu dem von Walter Trier illustrierten Bilderbuch „Konferenz der Tiere“ lieferte: „Wir werden die Welt schon in Ordnung bringen. Wir sind schließlich keine Menschen!“, heißt es darin optimistisch zu Beginn des Kalten Krieges.
Die Internationale Jugendbibliothek wurde am 14. September 1949 in der Münchner Kaulbachstraße eröffnet, seit 1983 hat sie im Schloss Blutenburg in Obermenzing ihren Sitz und ist seit Jahrzehnten eine weltweit höchst angesehene und zugleich fest im Münchner Kulturleben verankerte Institution.
Dass Jella Lepman damals München Stuttgart vorzog, kann man nur bedauern. Sie unterstützte aber die Württembergische Landesbibliothek mit Rat und Tat, als es 1950/51 um eine Wanderausstellung in acht mittleren Städten – Göppingen, Schwäbisch Gmünd, Ulm, Heidenheim, Ludwigsburg, Mergentheim, Heilbronn, Pforzheim – ging, die „Jugendbücherstube". Weitere Verdienste sind die Gründung des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch in Zürich und der internationalen Fachzeitschrift Bookbird sowie die Einrichtung des internationalen Hans-Christian-Andersen-Preises für Kinder- und Jugendliteratur und des nach ihm benannten Internationalen Kinderbuchtags am 2. April. Bis 1957 leitete Jella Lepman die Internationale Jugendbibliothek, 1959 zog sie nach Zürich und starb dort am 14. Oktober 1970. Auf ihrem Grabstein auf dem Friedhof Enzenbühl steht: „Gebt uns Bücher, gebt uns Flügel!“
Im Stuttgarter Süden ist eine Straße nach ihr benannt, außerdem ein Raum in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz wie zuvor schon in der Stadtbücherei im Wilhelmspalais.