Der Theaterbau, ein Hauptwerk des Architekten Max Littmann, galt zur Zeit seiner Eröffnung 1912 als einmalig in Europa. Heute stellt das inzwischen mehrfach veränderte Opernhaus das letzte herausragende Zeugnis von Stuttgarts „Belle Époque“ dar.

In der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1902 war das alte Hoftheater am Schlosspark bis auf die Grundmauer abgebrannt. König Wilhelm II. von Württemberg entschied, einen Neubau mit Mitteln des Landes und der Stadt zu errichten. Hoftheaterintendant Joachim Gans Edler von Putlitz (1860-1922) betrachtete dies als Chance für eine grundlegende Neuordnung der Stuttgarter Theaterverhältnisse, wobei er sich von Anfang an der baufachlichen Mithilfe des seinerzeitigen Stararchitekten und Theaterspezialisten Max Littmann (1862-1931) versicherte. Mit dem 1901 parallel ausgeführten Bau des monumentalen Prinzregententheaters in München und des intimen Münchner Schauspielhauses war dieser als Schöpfer zweier gegensätzlicher moderner Theatertypen überregional bekannt geworden. Seine zahlreichen Theaterschöpfungen reichen von Neustrelitz über Berlin und Posen bis Bozen. Littmann, der auch in anderen Bereichen architektonische Maßstäbe setzte, verband zudem geschickt wie kaum ein Zweiter Stilelemente des Jugendstils mit denen des Barock, der Renaissance oder der Klassik – jeweils passend zur Umgebung. Auch der Stuttgarter Theaterbau sollte sich in die Umgebung des Neuen Schlosses und der Oberen Neckarstraße (heute Konrad-Adenauer-Straße) mit ihren inzwischen größtenteils verlorenen repräsentativen Prachtbauten einfügen. Man entschied sich für eine Trennung von Drama und Oper und befürwortete die Einrichtung zweier Theater, die aus ökonomischen Gründen allerdings als Doppeltheater unter einem Dach vereint werden sollten.

Noch im Frühjahr 1907 diskutierte die „Kommission für die Aufstellung eines Programms über die Stadtentwicklung“ über den geeigneten Bauplatz. Am 2. November 1907 bestimmte König Wilhelm II. den heutigen Standort. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben; über 23 Entwürfe gingen ein. Littmanns Entwurf errang den ersten Preis.

Im September 1909 war Baubeginn beim Großen Haus (2001 Umbenennung in „Opernhaus“); Anfang 1910 ging man parallel dazu an die Arbeiten am Kleinen Haus („Schauspielhaus“). Im Herbst 1912 waren alle Bauarbeiten abgeschlossen, die Gesamtbaukosten betrugen 7,454 Millionen Mark. Die Bauausführung lag bei der „Generalunternehmung für die Neubauten der Kgl. Hoftheater“, zu welcher sich die Münchner Baufirma Heilmann & Littmann, an der Max Littmann beteiligt war, aus regionalen Gründen mit dem Stuttgarter Architekturbüro Schmohl & Stähelin, das den dritten Preis errungen hatte, zusammengeschlossen hatte.

Am 14. und 15. September 1912 wurden die Königlichen Hoftheater, die nach Ende der Monarchie in Württembergische Staatstheater umbenannt wurden, durch König Wilhelm II. mit dem zeitüblichen Pomp feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Gleichzeitig erfolgte Littmanns Ernennung zum Königlich Württembergischen Geheimen Hofrat.

Bereits bei den Eröffnungsvorstellungen hatten sich die Gäste von der hervorragenden Akustik in beiden Häusern überzeugen können. Schon bald galt das Stuttgarter Theater als Zentrum des klassischen und modernen Musiklebens, an dem berühmte Sänger, Dirigenten und Regisseure wirkten, und kein Geringerer als der bekannte Theatermann Max Reinhardt hat das Stuttgarter einst als das schönste Theater der Welt bezeichnet. Bereits 1924 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.

Mit der Verwirklichung der Idee, den gemischten Spielbetrieb mit Aufführungen des Musik- und des Sprechtheaters auf zwei unterschiedlich geformte Häuser aufzuteilen, wurde – wie Littmann selbst äußerte – „ein neuer Typ“ geschaffen, auch wenn im Kleinen Haus anfangs ebenfalls kleine Opern aufgeführt wurden. Am 25. Oktober 1912 etwa fand hier die Uraufführung von Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ statt.

Die Vorteile zweier miteinander verbundener Theater für Oper – später auch Ballett – und Schauspiel liegen auf der Hand: Die Betriebsräume können gemeinschaftlich genützt werden, die technischen Einrichtungen beide Häuser versorgen, wodurch sich die Betriebskosten erheblich reduzieren. Die von Littmann gewählte Parallelstellung der beiden Häuser wurde nicht nur von Architekten, sondern auch von Theaterfachleuten als mustergültig anerkannt.

Die Unterschiede wurden durch den Stil der Außenarchitektur unterstrichen: das Große Haus mit dem repräsentativen Portikus mit Doppelsäulenstellung in einem barock gefärbten Klassizismus, das Kleine Haus dagegen in strengen antikisierenden Formen. Die Zuschauerräume und Foyers waren nicht nur in den Raumdimensionen, sondern auch im Grundriss, dem Raumaufbau und der Ausstattung in starken Gegensatz gesetzt. Bei der Ausgestaltung beschäftigte Littmann renommierte Stuttgarter Künstler wie Ludwig Habich und Karl Donndorf. Von Donndorf stammt auch der Schicksalsbrunnen vor dem Verwaltungsgebäude (1914).

Die technische Ausführung in dem ehemals feuchten Untergrund hatte wegen der komplizierten und dadurch kostspieligen Gründung, die Littmann ausführlich in seiner Publikation darlegte, von Beginn an größere Schwierigkeiten bereitet. Die Frage „Amphitheater oder Rangtheater?“ war im Vorfeld ebenfalls heftig diskutiert worden. Littmann entschied sich für einen Kompromiss: Das als Hoftheater konzipierte Gebäude machte Ränge unvermeidlich. Die ungewöhnliche Steigung des Parketts, die allen Parkettzuschauern einen ungehinderten Blick ermöglichte, gab diesem jedoch nahezu die Gestalt eines Amphitheaters. Darüber wurden im Großen Haus drei Ränge angeordnet, von denen der erste die große Galaloge des Hofes mit den mächtigen Atlanten umschließt. Das Große Haus mit 1.450 Plätzen wirkt feierlich monumental, das Kleine mit einst 857 Plätzen vermittelte einen intimeren Eindruck.

Durch einen schlicht gehaltenen Verwaltungstrakt waren die beiden Häuser zu einer harmonischen Einheit verbunden. Vervollkommnet wurde das Bild durch einen kleinen runden Anlagensee, der allerdings anlässlich der Bundesgartenschau 1961 in ein mehreckiges Betonbecken, den „Eckensee“, gezwängt wurde.

Insgesamt sollte das Aussehen des gesamten Komplexes auf Wunsch des Königs in relativ schlichten Formen gehalten werden, auch im Innern. „Trotzdem wusste der Architekt dem Zuschauerraum des großen Hauses eine repräsentative Wirkung zu geben; er erreichte dies durch den Dreiklang der Farben Grau, Gelb und Silber; es ergab sich eine harmonische und zugleich monumentale Farbenstimmung des Zuschauerraumes“, berichtete 1912 die Süddeutsche Bauzeitung. Bis zum ersten Rang wurden aus akustischen und praktischen Gründen grau gehaltene Ahornvertäfelungen gewählt, darüber die Wandflächen mit Damast in Altgold bespannt. Den Abschluss bildet ein Fries mit gemalten Kartuschen. Darüber wölbt sich die tief kassettierte Decke mit einer flachen Kuppel, die vom Kunstmaler Julius Mössel mit Sternbildern verziert worden war. Den Prunkraum des Großen Hauses bildete das im I. Rang gelegene Foyer, das ebenfalls von Meisterschülern Habichs ausgestaltet worden war. In sechs Nischen fanden Stelen mit Büsten bedeutender Männer der Literatur und Musik Platz, ausgeführt vom Bildhauer Emil Epple.

Das Kleine Haus war einfacher gehalten, galt als behaglicher und stand in der Gunst der Stuttgarter Theaterbesucher stets höher als das Große. Das Innere war mit dunklem Kirschbaumholz vertäfelt, darüber eine grüne Brokatbespannung. Der Stuckplafond war lediglich leicht getönt. Den Foyersaal zierte ein Fries von Adolf Münzer.

Besonders hervorgehoben wurde in zeitgenössischen Berichten das heute nicht mehr existierende, seinerzeit stets als „gemütlich“ bezeichnete Restaurant im Unterschoss des Verbindungsbaus. Im Zusammenhang mit der Renovierung von 1984 wurde es durch den Buffetpavillon nach Entwürfen von Gottfried Böhm ersetzt.

Die maschinellen Bühneneinrichtungen von „Hofrat Schick“ aus Wiesbaden wiesen 1912 zahlreiche Neuerungen auf dem Gebiet der Theatertechnik auf. Anstelle einer Drehbühne wurde für einen schnellen Szenenwechsel eine fahrbare Seitenbühne eingebaut. Die feste Bühnenmaschinerie sowie die bewegliche Obermaschinerie waren ebenfalls auf der Höhe der Zeit, unter anderem durch sechs hydraulisch betriebene Versenkungen im Großen Haus und eine elektrisch betriebene Plateauversenkung im Kleinen Haus. Heizungs- und Lüftungsanlagen entsprachen modernsten Standards, ebenso die elektrischen Licht- und Kraftanlagen, die ihren Strom vom städtischen Elektrizitätswerk durch eine auf dem Terrain des Katharinenstifts errichteten Unterstation erhielten. Und in Erinnerung an den Brand des alten Theaters hatte man ein besonderes Augenmerk auf ein funktionsfähiges Feuermeldesystem gelegt.

Das Kleine Haus ging im Zweiten Weltkrieg gänzlich verloren. 1958 bis 1962 ersetzte man es durch einen modernen Neubau nach Plänen von Hans Volkart, Kurt Pläcking und Bert Perlia, der in den Jahren 2010 bis 2013 saniert wurde. Von Volkart stammen auch die Pläne für das ebenfalls 1962 eröffnete Kulissengebäude an der Konrad-Adenauer-Straße.

Das Große Haus, für das inzwischen auch die Bezeichnung „Littmann-Bau“ üblich geworden ist, blieb als eines der wenigen Monumentalgebäude im Stadtzentrum von der Vernichtung im Zweiten Weltkrieg verschont und bedurfte nach Auszug der Amerikaner, die das Theater als „PX-Club“, also als Warenhaus und Freizeitzentrum für Armeeangehörige, zweckentfremdet hatten, nur weniger Renovierungsarbeiten. Die radikale „Modernisierung“ im Innern 1956 nach Plänen von Paul Stohrer, die nach anfänglicher Begeisterung allgemein auf wenig Gegenliebe stieß, hat man anlässlich der 1983/84 durchgeführten Innenrestaurierung beseitigt und sich nach Originalplänen und historischen Fotos dem Zustand von 1912 wiederum angenähert. Wiedereröffnung war am 31. Oktober 1984, die Kosten lagen bei 75,7 Millionen DM. Nun steht erneut eine umfangreiche Sanierung an. Stand 2017: Spätestens 2019 muss das Theater geräumt sein; der Abschluss der Arbeiten ist für 2025 geplant.

Das Stuttgarter Drei-Sparten-Theater wird heute für Oper, Ballett und Schauspiel genutzt, gelegentlich auch für ein Konzert oder andere Veranstaltungen wie das Dreikönigstreffen der FDP. Die Theater wurden mehrfach als Theater bzw. Oper des Jahres (letztmals 2016) ausgezeichnet, das Ballett, das nicht zuletzt dem Choreographen John Cranko seinen Weltruhm verdankt, wählte man 2011 zur Kompagnie des Jahres.

Text: Cornelia Oelwein
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Kgl. Kabinettsakten)
Staatsarchiv Ludwigsburg (Hoftheater)
Stadtarchiv Stuttgart (Bauakten)
Deutsches Theatermuseum München (mehrere tausend Pläne)
Max Littmann, Die Königlichen Hoftheater in Stuttgart, Darmstadt 1912.

Literaturhinweise:

Festschrift der Württembergischen Staatstheater Stuttgart anläßlich der Eröffnung des Kleinen Hauses (5. Oktober 1962), hg. v. Generalintendanz der Württembergischen Staatstheater, Stuttgart 1962.
Finanzministerium Baden-Württemberg (Hg.), Das große Haus der Württembergischen Staatstheater. Die Restaurierung 1983-1984, Stuttgart 1984.
Cornelia Oelwein, Max Littmann (1862-1931). Architekt – Baukünstler – Unternehmer, Petersberg 2013.

GND-Identifier: 2093394-0
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Oelwein, Opernhaus, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/e30fd250-e669-4860-8bd8-f4e8f9731b4a/Opernhaus.html