Mit Johann Jakob Astor aus dem kurpfälzischen Walldorf, der es in den USA zu einem gigantischen Vermögen gebracht hatte, hatte das neue Unternehmen nur mittelbar zu tun: Die Bezeichnung „Waldorf-Astoria“ war über Tochterunternehmen, die sich von der amerikanischen „Mutter“ längst gelöst hatten, nach Deutschland gelangt. Den klangvollen Namen übernahm 1906 eine Firma, die der aus Schwäbisch Gmünd stammende Unternehmer Emil Molt zusammen mit hanseatischen Geldgebern gründete. Sitz des Unternehmens war Hamburg, die Produktionsstätte für die Markenzigaretten sollte in Stuttgart stehen.
Das erste Fabrikgebäude war das Hinterhaus Cannstatter Straße 97 am Stöckach, gleich neben der Tierärztlichen Hochschule. Die zunächst 34 Zigarettenmacher und sonstigen Kräfte verarbeiteten ausschließlich Orienttabake; die preiswerteren Sorten hießen Oku und Modzu, die teureren wurden nach nordamerikanischen Städten wie Halifax, Montreal, Boston oder Washington benannt. Rasch kamen Filialen hinzu, in Cannstatt, Fellbach, Pfullingen, sogar im ostpreußischen Königsberg (bis 1918); am längsten – bis in die 1920er Jahre – bestand die Niederlassung in Zuffenhausen (Wörthstraße 27, heute Cheruskerstraße).
Schon im Mai 1907 kam es zu einem ersten Streik im Unternehmen. Drei Arbeiter hatten die schlechte Qualität der Zigarettenhülsen beklagt und sich mit Blick auf ihre Akkordlöhne geweigert, diese weiter zu verarbeiten. Daraufhin erhielten sie die sofortige Kündigung. Andere Arbeiter solidarisierten sich. Unmut erregte vor allem der Hinweis der Geschäftsleitung gegenüber den meist türkischen, griechischen und rumänischen Zigarettenmachern, eigentlich gefragten Fachleuten, bei weiterhin unbotmäßigem Verhalten könnte es zu behördlichen Maßnahmen kommen. Gemeint war wohl der Entzug der Arbeitserlaubnis. Die Beteiligten wurden ausgesperrt, die Filialen leisteten Streikbrecherarbeit. Aber man setzte sich an einen Tisch und einigte sich nach knapp einer Woche doch noch gütlich.
Das Geschäft florierte, weshalb größere Fabrikationsräume benötigt wurden. Die Architekten des Berger Bauunternehmers Paul Hausser planten den 1908 bezogenen und mit allen technischen Finessen ausgestatteten Neubau Hackstraße 11 oberhalb des Stöckachplatzes; rückwärtige Gebäude kamen bald hinzu. Eine Erhöhung der Zigarettensteuer 1909 nahm das Unternehmen zum Anlass, die Produktion nach und nach zu automatisieren. Den Anfang machten die Zigarettenmaschinen, welche die Glimmstängel füllten. Hierauf spezialisierte Zigarettenarbeiter wurden entlassen und gründeten 1910 die Tabakarbeitergenossenschaft Stuttgart mit ihrer Marke TAG, die hier immerhin zehn Jahre lang bestand.
Den bald nötigen Erweiterungsbau der Waldorf-Astoria (Hackstraße 9) erstellte ebenfalls Hausser in den Jahren 1912/1913. Nach dessen Bezug, Ende 1913, arbeiteten bei Waldorf-Astoria fast 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einschließlich der verbliebenen Filialen Zuffenhausen und Königsberg. Die Marken hießen nun Clio, Blau Punkt, Walasco oder Graf Waldo. Die Firma stellte den Händlern zahlreiche Werbemittel zur Verfügung, wie verschiedene Drucksachen, Karton- und Glasplakate, Aschenbecher oder Leuchtreklame, und schaltete eine Vielzahl von Inseraten, vor allem in Tageszeitungen.
Während des Ersten Weltkrieges konnte der Betrieb notdürftig aufrechterhalten werden, obwohl viele männliche Arbeiter und Angestellte zum Kriegsdienst eingezogen wurden und der Rohstoffnachschub oft stockte.
Schon vor dem Krieg hatte es bei Waldorf-Astoria einige außergewöhnliche Sozialleistungen gegeben: Das Unternehmen betrieb zwei Erholungsheime, eine Kantine und eine Bibliothek, eine betriebseigene Sparkasse zahlte überdurchschnittliche Zinsen, und ein Pensionsfonds sollte für das Alter vorsorgen. Nun kamen Bildungsangebote hinzu: die anspruchsvolle Mitarbeiterzeitschrift „Waldorf-Nachrichten“, eine Arbeiter-Bildungsschule, die teilweise während der Arbeitszeit besucht werden konnte und, 1919, vor allem die Waldorfschule „für die Kinder der Arbeiter und Angestellten“. Erster Leiter des in einem ehemaligen Ausflugslokal am Kanonenweg, der heutigen Haußmannstraße, untergebrachten Instituts war Dr. Rudolf Steiner (1861-1925), der die Schule im Sinne der Anthroposophie führte.
Um die Mitte des Jahrzehnts, in den „Goldenen Zwanzigern“, liefen die Geschäfte prächtig. Gegen dessen Ende allerdings begann die Weltwirtschaftskrise heraufzuziehen. Auch der türkische Großkaufmann und Tabakhändler Kiazim Emin, inzwischen Mehrheitseigner von Waldorf-Astoria und Teilhaber an vielen anderen Unternehmen, geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Er verkaufte sein Aktienpaket im April 1929 an den Reemtsma-Konzern, der den Stuttgarter Betrieb als lästigen Konkurrenten umgehend schloss. Um die 1000 Menschen verloren mit einem Schlag ihre Arbeit. Die „Schwäbische Tagwacht“ berichtete in jenen Tagen mehrfach und ausführlich über den Vorgang und die vergeblichen Bemühungen der Gewerkschaften und der Stadtverwaltung, die Schließung doch noch zu verhindern. In das Fabrikgebäude an der Hackstraße zog 1930 Roth’s Molkereimaschinenfabrik ein.