Die Ludwig-Hofacker-Kirche ist eine von 43 nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Notkirchen in Deutschland und einer der ersten Kirchenneubauten in Stuttgart.

Nach dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 lag Stuttgart nach mehr als 50 Luftangriffen in weiten Teilen in Schutt und Asche. Auch die 1932 eingeweihte erste Ludwig-Hofacker-Kirche war im Juli 1944 samt Pfarrhaus durch eine Fliegerbombe zerstört worden.

Die Ludwig-Hofacker-Gemeinde war eine vergleichsweise junge Kirchengemeinde. Seit 1899 hatte es Bestrebungen für den Bau einer Kirche in der Wohngegend am Bopser gegeben und 1903 war von der Gesamtkirchengemeinde ein Anwesen für eine geplante Kirche erworben worden. Der Erste Weltkrieg und die Inflation verhinderten jedoch eine bauliche Realisierung. Erst 1932 entstand auf dem Bauplatz Dobelstraße/Oberer Reichelenberg nach Plänen des Architekten Zacharias Schäffer in nur fünf Monaten Bauzeit ein bescheidener, turmloser Betsaal mit 300 Sitzplätzen. Diese Kirche war zu Beginn Filiale der Leonhardskirche, 1937 erhielt sie ihre Selbstständigkeit. Man benannte sie nach dem evangelischen Pfarrer und Vertreter der pietistischen Bewegung Ludwig Hofacker (1798-1828), zeitweise Hilfsprediger an der Stuttgarter Leonhardskirche und bekannt für seine besondere Predigtgabe.

Nach der Zerstörung der Kirche 1944 wurden für die Ludwig-Hofacker-Gemeinde zunächst provisorische Gottesdienste im Erdgeschoss des Privathauses Dannecker Straße 36 abgehalten.

An einen Wiederaufbau des Kirchengebäudes konnte unmittelbar nach Kriegsende nicht gedacht werden, da Infrastrukturmaßnahmen und Wohnungen Priorität vor der Planung von Kirchenbauten hatten, obwohl es auch auf diesem Gebiet große Verluste gegeben hatte: Mehr als ein Drittel der Kirchen war durch die Folgen des Krieges unbenutzbar geworden, dazu kam, dass für viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene ebenfalls Kirchen und Gemeindezentren als Orte der Begegnung, Integration und Identifikation benötigt wurden. In dieser Situation erfolgte 1945 die Gründung des „Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland“ (HEKD), das neben vielfältigen Hilfen zur Selbsthilfe auch ein Kirchenbauprogramm initiierte. Die Leitung einer eigenen Bauabteilung wurde dem Architekten Prof. Dr. Otto Bartning (1883-1959) übertragen, der mit seinen Mitarbeitern ein Typen- und Baukastenprogramm für Notkirchen aus vorgefertigten Elementen entwickelte und organisierte.

Kirchen bildeten einen Schwerpunkt im umfangreichen Œuvre Bartnings, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg und während seines ganzen Lebens mit dem Bau protestantischer Kirchen befasst war – sowohl theoretisch, publizistisch wie auch als Architekt realisierter und visionärer Entwürfe. Er beeinflusste maßgeblich die Entwicklung des modernen evangelischen Kirchenbaus in der Weimarer Zeit und nach 1945 und sollte einer ihrer bedeutendsten Vertreter werden. Über die Vorgeschichte dieses Kirchentyps bemerkte Helmut Striffler: „Als Otto Bartning die Not-Kirchen konzipierte, konnte er die dafür notwendigen grundlegenden Raumgedanken aus seinem reichen Schatz an sublimierter Vorerfahrung ableiten. Sie waren nicht nur Jahrzehnte zuvor entwickelt, sondern auch in seinen prototypischen Kirchenbauten bereits abgearbeitet.“

Bartnings Entwurfsidee für das Notkirchenprogramm sah vor, serienmäßig vorgefertigte, standardisierte und leicht montierbare Typen zentral herzustellen. Konstruktiv war ein Tragwerk aus hölzernen Dreigelenkbindern in Verbindung mit der Dachkonstruktion als Grundskelett für die Kirchenbauten vorgesehen. Aber auch für lokale Gegebenheiten und Gestaltungsvorstellungen der Kirchengemeinden sollte Raum gelassen werden. Die Bauten wurden aus Spenden internationaler Kirchenverbände finanziert, die das World Council of Churches in Genf an das HEKD vermittelte. Die Spende kam im Fall der Ludwig-Hofacker-Kirche von der amerikanischen Sektion der „Lutheran World Federation“ (Lutherischer Weltbund). Nach den Stiftungsbedingungen hatten die bauenden Gemeinden einen eigenen Beitrag zu leisten, der darin bestand, den Bauplatz vorzuweisen, die Fundamente herzustellen und für die Ausmauerung der Umfassungswände bzw. Ausfachungen mit Trümmermaterialen zu sorgen. Bauteile und Ausstattungsstücke wie Fenster, Türen, Gestühl, Leuchtkästen und Emporen konnten nach Bedarf ebenfalls geliefert werden.

Bartning entwickelte zwei Modelle, einen nur zweimal gebauten Typ A und einen Typ B mit drei Varianten der Chorausbildung. Auf diese Weise und unter Beachtung der örtlichen Spezifika entstanden trotz Typisierung und serieller Produktion 43 individuelle Bauten in ganz Deutschland, die keine Lösungen im Sinne von Provisorien darstellten, sondern architektonisch und liturgisch würdige Kirchenräume bildeten. Ihr Gesamteindruck wurde geprägt von den längs auf den Altar ausgerichteten stützenlosen Sälen, den an den Längsseiten hintereinander gestaffelten, hölzernen Dreigelenkbindern und einem reduzierten Materialkanon. Bartning selbst verstand sie nicht als Notkirchen im Sinne eines Notbehelfs, sondern als Notzeitkirchen. Das Gebot der Bescheidenheit in der Architektur ging einher mit dem Wunsch nach einer Erneuerung der Gesellschaft.

Die Ludwig-Hofacker-Gemeinde ergriff 1948 die Initiative und bemühte sich um einen Bausatz aus diesem Programm. Der Bau wurde unter Leitung des ortsansässigen Architekten Richard Bareiss nach der Grundsteinlegung am 1. Mai 1949 innerhalb weniger Monate erstellt und am 12. Februar 1950 geweiht. Er entspricht nach wie vor dem Typ B in Form einer einfachen Saalkirche mit gemauertem Altarraum und abtrennbarem Gemeindesaal unter der Empore. Die mit einem einfachen Holzkreuz versehene rechteckige Altarapsis ist seitlich von quadratischen Räumen flankiert, die ursprünglich als Sakristei- und Mesnerraum ausgewiesen waren. Zu den Eigenheiten des Stuttgarter Kirchenbaus zählten neben dem Haupteingang an der Nordost-Seite ein zweiter überdachter Aufgang an der Südwest-Seite, ein Dachreiter für eine Glocke über dem Altargiebel mit Läutehäuschen, ein infolge der Hanglage teilweise ausgebautes Untergeschoss für Nebenräume sowie die Einfriedung zur Dobelstraße. Um die Trümmer-Backsteine optisch zu vereinheitlichen, wurden die Innenwände geschlämmt und später auch die Außenwände verputzt.

Während des gesamten Planungs- und Ausführungsprozesses stimmte Bareiss sämtliche bautechnischen, konstruktiven und formalen Details mit Bartning ab. In den Grundlagen des HEKD hieß es dazu: „Da das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland dem Spender gegenüber die Verantwortung für das künstlerische Gesamtbild des Inneren und Äußeren der Notkirche […] trägt, sind die Ausführungspläne […] dem Leiter der Bauabteilung, Prof. D. Bartning, vorzulegen.“

Das Kirchengebäude wurde im Laufe der folgenden Jahre um weitere Gemeindebauten nach Plänen der Architekten Greif und Theil ergänzt: 1955/56 entstand das Gemeindehaus mit Kindergarten, Gemeindesälen und Jugendräumen, 1960 der Campanile in einer Stahlbeton-Konstruktion mit Backsteinverblendung. Im Rahmen eines Umbaus des Gemeindehauses erhielt die Kirche einen barrierefreien Zugang. Insgesamt gibt die Kirche mit ihrer vorwiegend bauzeitlichen Ausstattung einen weitgehend authentischen Eindruck wider.

Die Otto Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau e. V. startete 2012 eine Initiative für die Aufnahme der Notkirchen als Ensemble der Erinnerung mit herausragender architektur-, kultur- und kirchengeschichtlicher Bedeutung in die Liste des Weltkulturerbes bei der UNESCO.

Text: Edeltrud Geiger-Schmidt
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 17/1 Hauptaktei Gruppe 3 2677.
Baurechtsamt der Stadt Stuttgart, Bürgerservice Bauen; Ludwig-Hofacker-Kirche, Dobelstraße 12, Bauakten von 1948, 1949, 1950, 1955.

Literaturhinweise:

Otto Bartning, Die 48 Notkirchen in Deutschland. Entwurf und Leitung: Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland/Bauabteilung Neckarsteinach, Heidelberg 1949.
Werner Durth/Wolfgang Pehnt/Sandra Wagner-Conzelmann, Akademie der Künste, Berlin, Wüstenrot-Stiftung, Ludwigsburg (Hg.), Otto Bartning (1893-1959) – Architekt einer Sozialen Moderne, Darmstadt 2017.
Evangelische Ludwig-Hofacker-Gemeinde Stuttgart (Hg.), Da(e)nkmal, Die Evangelische Ludwig-Hofacker-Kirche Stuttgart, Würzburg 2010.
Christoph Schneider, Das Notkirchenprogramm von Otto Bartning, Marburg 1997.
Svenja Schrickel, Die Notkirchen von Otto Bartning – eine serielle Kirchenbauproduktion der Nachkriegszeit. Überlieferte Zeichen eines Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege 34 (2005), Heft 4, S. 201-213.
Helmut Striffler, Otto Bartnings Beitrag zum Kirchenbau. Eine Würdigung, in: Die Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Charlottenburg und ihr Architekt Otto Bartning. Festschrift zum 75. Jahrestag der Einweihung, hg. von der Ev. Gustav-Adolf-Kirchengemeinde mit der Otto Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau, Gifhorn 2009.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Edeltrud Geiger-Schmidt, Ludwig-Hofacker-Kirche, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/f6ae0323-585a-4c3d-896d-b29ee0d20e26/Ludwig-Hofacker-Kirche.html