Der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss verbrachte nur ein Zehntel seiner Lebenszeit in Stuttgart. Dennoch war der bekennende Schwabe zeit seines Lebens der Stadt politisch, kulturell, landschaftlich und durch viele Freundschaften eng verbunden. So lag es nahe, dass er nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit 1959 seinen Wohnsitz in Stuttgart nahm.

Am 16. September 1959 feierte Stuttgart die Heimkehr ihres Ehrenbürgers in den Schoß der Stadt. Bereits am Hauptbahnhof offiziell durch den Oberbürgermeister Arnulf Klett begrüßt, machte sich der Geehrte auf zum Killesberg, wo eine Menschenmenge sein frisch errichtetes Haus im Feuerbacher Weg 46 regelrecht belagerte. Theodor Heuss, dessen zweite Amtszeit als Bundespräsident erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen war, wollte nun in aller Ruhe sein neues Domizil beziehen, um seinen Buchprojekten nachzugehen, sich Familie und Freunden zu widmen sowie einige geplante Auslandsreisen durchzuführen. Den Bürgern, die vor seinem Haus auf ihn gewartet hatten, machte er deshalb – laut Stuttgarter Zeitung vom 17. September 1959 – klar: „So, das war jetzt das erste und das letzte Mal. Jetzt ganget no hoim zu eure Kender ond lasset mir mei Ruh!“

Warum hatte Heuss Stuttgart zu seinem Alterswohnsitz gewählt? Schon in einem seiner ersten Briefe an die verehrte Elly Knapp schwärmte er 1906: „Gelt, Stuttgart gehört doch zu den wunderbarsten Punkten.“ Dem schloss sich seine Verlobte ein Jahr darauf an und träumte von einer gemeinsamen Zukunft: „Du Liebster, glaubst Du wirklich, daß wir später mal so viel verdienen können, daß wir ein Häuschen kriegen? Vielleicht in Stuttgart?“ Ein gutes halbes Jahrhundert später – die Mittel für ein Haus in bester Stuttgarter Lage hatten mittlerweile gereicht – begründete Heuss seine Entscheidung in einer Schrift aus Anlass der Bundesgartenschau 1961: „Weil diese Stadt die Mitte meiner Heimat ist, wo noch Freundschaft der Vergangenheit lebendig ist und Vertrautheit der Familie“. Dabei legt die Biographie von Heuss nicht unbedingt einen Lebensabend in „Schwabens Hauptstadt“ nahe. Zwar von Haus aus bekennender Schwabe, verbrachte er mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit außerhalb seiner württembergischen Heimat und nur insgesamt acht Jahre in Stuttgart. Obwohl die Schwabenmetropole also nur relativ kurz Wohnort von Heuss war, blieb sie lebenslanger Bezugspunkt.

Bereits als Schüler hatte der junge Theodor Heuss öfter Stuttgart besucht und war beeindruckt von den dortigen Ausstellungen im Museum für Bildende Kunst und den Theateraufführungen in der Hofbühne. Für seine Doktorarbeit über „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn a. N.“ recherchierte er auch im Königlichen Haus- und Staatsarchiv. Während seiner Zeit als Chefredakteur der „Neckar-Zeitung“ in Heilbronn war Heuss ab 1913 auch Schriftleiter der Kulturzeitschrift „März“, traf sich in dieser Funktion regelmäßig mit dem Herausgeber Conrad Haußmann in Stuttgart und musste sich während des Ersten Weltkriegs wiederholt mit den dortigen Zensurbehörden auseinandersetzen. Ende 1917 wechselte er berufsbedingt nach Berlin, aber auch in dem nun folgenden Vierteljahrhundert an der Spree riss der Kontakt zu Stuttgart nicht ab.

Nach dem Scheitern bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung 1919 engagierte sich Heuss stärker im württembergischen Landesverband der liberalen Deutschen Demokratischen Partei. Erst 1924 gelang ihm über einen sicheren württembergischen Listenplatz die Wahl in den Reichstag. Um sich weiterhin des politischen Rückhalts zu versichern, unterhielt er enge Beziehungen zu seinen Parteifreunden in Stuttgart, besuchte dort zahlreiche Parteitage und hielt unzählige Reden. Mit seiner Frau Elly Heuss-Knapp erwog er bereits 1920 eine Übersiedlung nach Stuttgart. Zehn Jahre später rang er mit der Frage, eine Professur für Geschichte an der Technischen Hochschule Stuttgart anzutreten, entschied sich aber dagegen, weil er im Südwesten keine größere politische Wirksamkeit erwartete.

1943 siedelte Heuss mit seiner Frau nach Heidelberg um, um dem Zugriff der Gestapo und den alliierten Bombenangriffen zu entgehen. Im September 1945 erfolgte schließlich der Umzug nach Stuttgart-Degerloch in die Löwenstraße 86 auf Veranlassung der amerikanischen Militärregierung, die ihn zum württemberg-badischen „Kultminister“ ernannte. Provisorisch untergebracht in der Keplerstraße 10, später in der Dillmanstraße 3, stieß Heuss in dieser Funktion in den Kern der demokratischen Umerziehung vor: in die Bildungs- und Kulturpolitik. In dem gut einem Jahr seiner Amtszeit schuf er wichtige Grundlagen für die Erneuerung von Schulen, Hochschulen und Kultureinrichtungen. Heuss förderte nach Jahren ideologischer Indoktrination die Wiederaufnahme eines offenen Theater- und Opernprogramms im Staatstheater. Er setzte sich erfolgreich für den Wiederaufbau der zerstörten Landesbibliothek in der Neckarstraße ein. Nachdrücklich wirkte er auf eine ausgeglichene Besetzung des Lehrkörpers der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste hin und wehrte sich dabei gegen Einflussnahme von außen. Zugleich sorgte er sich um die Einrichtung einer geisteswissenschaftlichen Abteilung in der Technischen Hochschule. Ihr blieb Heuss auch weiterhin verbunden, als er Anfang 1948 zum Honorarprofessor für Politische Wissenschaften ernannt wurde und im folgenden Sommersemester zwei Vorlesungen hielt. Doch seine intensive Mitarbeit am Grundgesetz im Parlamentarischen Rat in Bonn machte eine weitere Lehrtätigkeit unmöglich. 1954 verlieh ihm die Hochschule eine Ehrenpromotion.

Während des „Dritten Reiches“ vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, begann Heuss sein parteipolitisches Engagement bei der liberalen Demokratischen Volkspartei (DVP) in Stuttgart und rückte Anfang 1946 in den württemberg-badischen Parteivorstand auf. Als Abgeordneter der DVP beriet er 1946 in der Verfassunggebenden Landesversammlung im Furtbachhaus über die Verfassung von Württemberg-Baden. Im November wurden er und Elly Heuss-Knapp in den 1. Landtag von Württemberg-Baden gewählt, der ab Sommer 1947 im Eduard-Pfeiffer-Haus tagte. Nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 12. September 1949 verließen er und seine Ehefrau die Landeshauptstadt in Richtung Bonn; beide wurden am 1. Oktober vom Landtag feierlich verabschiedet.

Für die nun folgenden beiden Amtszeiten war Bonn der Dienst- und Wohnsitz des Bundespräsidenten. Doch gerne nahm er offizielle Anlässe wahr, die ihn nach Stuttgart führten, wo er bis 1959 an die 40 Reden hielt. So eröffnete er Anfang Juni 1950 gemeinsam mit seiner Ehefrau die Deutsche Gartenschau auf dem Killesberg. 1951 sprach er auf der ersten Jahresversammlung des neugegründeten Instituts für Auslandsbeziehungen, vormals Deutsches Ausland-Institut. Neben Thomas Mann hielt er anlässlich des 150. Geburtstages Friedrich Schillers 1955 im Staatstheater eine Ansprache. Die Wiedereröffnung der Staatsgalerie 1958 führte ihn abermals nach Stuttgart. Auch von Bonn aus beschäftigten Heuss die politischen Entwicklungen in Stuttgart. So sprach er gegenüber seinem Parteifreund Reinhold Maier seine Bedenken über die Regierungsbildung 1952 im Südwesten aus, von der die CDU ausgeschlossen wurde. Die Stadt Stuttgart zeichnete das Staatsoberhaupt schließlich 1954 mit der Ehrenbürgerwürde aus, woraufhin der Geehrte in seinen Dankesworten gestand: „Hier sind die tiefsten Wurzeln meiner Kraft.“

Das Grundstück für das geplante Haus im Feuerbacher Weg 46 hatte Heuss gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits 1950 ausgesucht, um der herzkranken Elly Heuss-Knapp ebenerdige Spaziergänge auf den Stuttgarter Höhen zu ermöglichen; doch sie sollte schon 1952 versterben. So zog er nun als Witwer am 16. September 1959 in das neu erbaute Haus ein. Neben einer großen Bibliothek beherbergte es auch zahlreiche Kunstwerke einer gemäßigten Moderne, darunter drei Porträts der befreundeten Stuttgarter Malerin Käte Schaller-Härlin, welche Theodor Heuss, Elly Heuss-Knapp und den Sohn Ernst Ludwig darstellen. Zwar war das Ruhebedürfnis des Altbundespräsidenten in seinem Eigenheim groß, aber am öffentlichen Leben der Stadt nahm er regen Anteil. Ein klares Signal setzte er im April 1961 zur Einweihung des Amerikahauses, als er sich zur Frage der politischen Emigration äußerte und gegen die Diffamierung von Remigranten wie z. B. Willy Brandt deutlich Stellung bezog. Im folgenden Sommer war der Altbundespräsident anwesend bei der Einweihung des Neubaus des Landtags in der Konrad-Adenauer-Str. 3, seiner alten Wirkungsstätte. Im Neuen Schloss findet sich heute eine Bronzeplastik von Heuss, die 1960 von Bernhard Heiliger im Auftrag des Landes angefertigt wurde. Der ehemaligen First Lady und Gründerin des Deutschen Müttergenesungswerkes gedachte die Stadt Stuttgart mit dem von Fritz Nuss gestalteten Elly-Heuss-Knapp-Brunnen in der Silberburganlage, den Heuss 1962 einweihte.

Im Laufe des Jahres 1963 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Heuss dramatisch; im Katharinenhospital musste ihm ein Bein amputiert werden, doch eine Besserung stellte sich nicht ein. Am 12. Dezember 1963 starb er in seinem Haus im Feuerbacher Weg. Sein Sarg war zwei Tage im Landtag aufgebahrt, wo seine Person in einem Staatsakt gewürdigt wurde. Die Trauernden nahmen am 17. Dezember in der Stiftskirche Abschied von Theodor Heuss. Seine letzte Ruhestätte fand er neben seiner Ehefrau auf dem Waldfriedhof.

An den ersten Bundespräsidenten erinnern in Stuttgart viele Orte. So wurde kurz nach seinem Tode die mehrspurige Rote Straße in Theodor-Heuss-Straße umbenannt, heute eine beliebte „Partymeile“. Die Bundeswehrkaserne in Cannstatt erhielt 1973 den Namen „Theodor-Heuss-Kaserne“, um Heuss’ Wertschätzung des Soldatentums in der Demokratie Ausdruck zu verleihen. Vor allem das Theodor-Heuss-Haus im ehemaligen Alterswohnsitz hat sich zu einem lebendigen Erinnerungsort in Stuttgart entwickelt. Dort führt die überparteiliche Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus anschaulich vor Augen, wie der im Schwäbischen verwurzelte Heuss sich als liberaler Bürger im 20. Jahrhundert behauptete und uns noch heute zum Nachdenken über „Demokratie als Lebensform“ anregen kann.

Text: Ernst Wolfgang Becker
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Quellenhinweise:

Theodor Heuss, Schwabens Hauptstadt (1933), in: Theodor Heuss, Von Ort zu Ort. Wanderungen mit Stift und Feder, hg. von Friedrich Kaufmann/Hermann Leins, Tübingen 1959, S. 28–36.
Theodor Heuss, Dankesworte zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Stuttgart am 26.01.1954, in: Amtsblatt der Stadt Stuttgart, 28.01.1954.
Theodor Heuss, Ausklang, in: Stuttgart. Die große Stadt im Grünen, hg. aus Anlaß der Bundesgartenschau 1961, Stuttgart 1961, S. 143.
Theodor Heuss/Elly Heuss-Knapp, So bist Du mir Heimat geworden. Eine Liebesgeschichte in Briefen aus dem Anfang des Jahrhunderts, hg. von Hermann Rudolph, Stuttgart 1986.

Literaturhinweise:

Ernst Wolfgang Becker, Theodor Heuss. Bürger im Zeitalter der Extreme, Stuttgart 2011.
Peter Merseburger, Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident, München 2012.
Joachim Radkau, Theodor Heuss, München 2013.


GND-Identifier: 118550578
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Wolfgang Becker, Theodor Heuss (1884-1963), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/fd7e3331-c5b5-4e62-a669-8af7970d15d8/Theodor_Heuss_%281884-1963%29.html